Belletristik :Mörderischer Frieden

In Leonhard M. Seidls neuem Krimi geht das Sterben gleich nach dem Zweiten Weltkrieg daheim weiter

Von Florian Tempel

Er mag den Bayerischen Wald. Zwei Dinge haben es dem Isener Autor Leonhard M. Seidl dort angetan: "Erstens sind die Leute da freundlich, im Gegensatz zu anderen Gegenden wie Oberbayern. Zweitens ist es die Ruhe dort." Tja, so sind sie die Schriftsteller. Denn der Schauplatz seines neuen Kriminalromans "Schwarzer Regen Rotes Blut", das fiktive Dörfchen Schachtenstein, das Seidl unweit von Zwiesel verortet, ist alles andere als liebenswert und erholsam. Im Buch ist dieser Winkel des Bayerischen Walds eine düstere Region, in der eine Menge verkommener Menschen leben und sich gegenseitig umbringen. Das Ganze spielt aber - zur Ehrenrettung der heutigen Zwiesler Gegend - schon vor langer Zeit. Im Sommer 1945, als das Morden gerade aufgehört zu haben schien - und daheim weiter ging.

Naturpark Bayerischer Wald feiert 40-jähriges Bestehen

Im sonst so ruhigen Bayerischen Wald nahe Zwiesel passieren in "Schwarzer Regen Rotes Blut" sehr unschöne Dinge.

(Foto: Picture-Alliance/ dpa)

Leonhard M. Seidl verbindet in seinem Buch drei Genre, die er sehr gut beherrscht und gelungen zusammengestrickt. "Schwarzer Regen Rotes Blut" ist zum einen ein Krimi, ganz klassisch mit einem Kommissar als Hauptperson und der bis zuletzt spannenden Frage, wer der Täter war. Das Buch ist zudem auch ein Heimatroman, nicht im gefühlsduseligen Sinn, sondern durch seine überzeugende Darstellung von Land und Leuten. Und drittens ist das Buch auch ein historischer Roman, der mit einer anregenden Geschichte etwas über Geschichte erzählt.

Leonhard M. Seidl in Isen, 2019

Schriftsteller Leonhard M. Seidl.

(Foto: Renate Schmidt)

Entstanden ist der Krimi als Auftrag des Gmeiner Verlags, der bei Seidl, obwohl in Isen lebender Giesinger, explizit einen Bayerwald-Krimi bestellt hat. Mit dem Schreiben begonnen hat Seidl schon 2016, als er mit einem Stipendium der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention einige Monate in Meran verbrachte. Erschienen ist das Buch in diesem Februar.

"Was mich interessiert, sind die Bruchstellen in der Geschichte, die Grenzsituationen und rechtlosen Zeiten", sagt Seidl. Dieses Interesse hat er in früheren Büchern bereits sehr gekonnt umgesetzt. In Seidls Roman "Hundsgift" sucht eine junge Frau während der Cholera-Epidemie des Jahres 1854 in München ihren Vater, um ihn zu töten. In "Novemberlicht" war der Hauptcharakter ein entwurzelter Mann, der in den Wirren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im revolutionären und umkämpften München nach den Mördern seiner Eltern suchte. Im neuesten Buch geht es am Sonntag, 13. Mai 1945, los, gerade mal fünf Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Belletristik : Leonhard Michael Seidl, "Schwarzer Regen Rotes Blut“, 314 Seiten, Gmeiner Verlag, 12 Euro

Leonhard Michael Seidl, "Schwarzer Regen Rotes Blut“, 314 Seiten, Gmeiner Verlag, 12 Euro

(Foto: Gmeiner Verlag)

In seinem Klappentextentwurf hat Seidl die Auftaktsituation kurz, knapp und brutal angerissen: "Im Wirtshaus Pfanzelt im Dorf Schachtenstein im Zwiesler Winkel kehren vier schwerbewaffnete Heimkehrer ein. Sie saufen und fressen und werden gewalttätig. Bald liegen in der Gaststube Leichen." Die Ermittlungen in diesem Fall übernimmt der einarmige Polizeikommissar Leo Klemm, der zunächst völlig allein und auf sich gestellt ins mörderische Dorf geschickt wird. Es wird noch einige Tote mehr geben. Die Leute werden erschossen, lebendig verbrannt, erstochen oder bei Explosionen zerfetzt. Die gerade angebrochene Friedenszeit ist die Fortsetzung des Krieges mit kaum anderen Mitteln.

Von der Abgedrehtheit seiner Krimigrotesken "Letzte Ausfahrt Giesing" und "Besäufniserregend" ist Seidel aktuelles Buch weit entfernt. Der Plot des Krimis ist deftig, aber nicht durchgeknallt. Die Handlung bringt authentische und schräge Charaktere ins Spiel, baut Nazi-Seilschaften und die US-Militärbehörde ein, verlogene Pfarrer und verfressene Rosshändler, gespenstische Erscheinungen und eine Showdown-Schießerei wie in einem Sam Peckinpah-Film. Absolut lesenswert.

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