Süddeutsche Zeitung

Autobahn A94:"Wort halten, Herr Söder"

Nach dem ersten Jahr seit der Eröffnung ist entlang der Isentalautobahn nichts besser geworden. Die Anwohner setzten alle Hoffnung in den Ministerpräsidenten, der mehr Lärmschutz zugesagt hat.

Von Florian Tempel, Dorfen

Ein Jahr nach der Eröffnung der Isentalautobahn haben die Anwohner nur noch eine Hoffnung: Dass ihnen die CSU, die ihnen alles eingebrockt hat, helfen wird. "Wort halten, Herr Söder" stand auf einem großen Plakat, als sich Autobahnanwohner am vergangenen Mittwochabend bei Eck bei Dorfen trafen, zum stillen Protest gegen den dröhnenden A 94-Lärm. Nach dem kläglich gescheiterten Tempolimit war das weniger eine strenge Mahnung, als vielmehr ein verzweifelter Hilferuf. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat gesagt, er sei für mehr Lärmschutzwände, man sollte da ruhig etwas großzügiger sein. Das ist das Wort, dass er halten soll.

Auf der Wiese oberhalb der Autobahn brannte am Mittwoch ein großes Feuer als weithin sichtbares Zeichen, dass etwas passieren muss, damit das Leben für viele Menschen wieder erträglicher wird. Am Zaun vor der Böschung entlang der A 94 standen Dutzende Leute mit Fackeln. Unten rauschten, pfiffen und knatterten die Autos und Lastwagen vorbei, und ab und an hupte einer rauf zu den Protestierenden. Ja, wir sehen euch, hieß das wohl auf jeden Fall. Was es sonst noch bedeutete, weiß man nicht. Das ist ebenso ungewiss, wie die Frage, ob sich an der Isentalautobahn jemals noch etwas zum Besseren ändern wird.

Bei der "feierliche Verkehrsfreigabe" vor einem Jahr auf einem Autobahnparkplatz, Luftlinie drei Kilometer östlich vom Mahnfeuer bei Eck, wurden drei junge Männer, die "Kein Grund zum Feiern" skandierten, vom Altöttinger Landrat Erwin Schneider (CSU) beschimpft. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ließ sich davon seine gute Laune aber nicht vermiesen. Ebenso wenig wie der damalige bayerische Verkehrsminister Hans Reichart (CSU), der den Tag zum "Tag der Freude" erklärte. Marcel Huber (CSU), ehemalige bayerischer Umweltminister freute sich über einen "historischen Tag". Der Dorfener Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) lobte die Isentalautobahn als "einen Meilenstein für die Infrastruktur unseres Raumes", der "eine Vielzahl an Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten" biete. Die Landtagsabgeordnete und frühere Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) hatte sichtlich Spaß bei einem Oldtimer-Corso und hupte ausgelassen und ausdauernd auf einer Nostalgiehupe. Und ausgerechnet Bürgermeister Grundner sagte dann noch diesen Satz: "Es ist an der Zeit, die Fakten zu akzeptieren oder zumindest hinzunehmen."

Grundner war ein Jahr später natürlich auch zum großen Mahnfeuer der A 94-Anwohner gekommen. Wer das schizophren findet, versteht nicht, wie Politik in Bayern funktioniert. Vom Bürgermeister bis rauf zum Ministerpräsidenten haben CSU-Mitglieder versprochen, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, und zu helfen, wo und wie es nur geht. Diese Bemühungen sahen bislang so aus: Die Abgeordnete Scharf hat im Landtag eine akustische Überprüfung des A 94-Lärms vorangetrieben, die aktuell gerade gemacht wird. Von den Kommunen Lengdorf und Dorfen sind aber bereits Lärmmessungen vorgenommen worden, die wenig Hoffnung machen, dass auf diese Weise irgendetwas Positives für die Anwohner herausspringen wird. Die Grenzwerte sind - das waren die ernüchternde Ergebnisse - eingehalten. Jeder, der auf der A 94 fährt, erlebt zwar, dass der Fahrbahnbelag auf den Neubaukilometern akustisch sonderbar ist. Doch die Messungen des Fahrbahnbelags im Bereich des Stadt Dorfen haben ergeben, dass akustisch nichts zu beanstanden wäre.

Gerhard Steger, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Lärmimmissionsschutz, der bei den Prozessen gegen die A 94 als Gutachter dabei war, war Ende Oktober 2019 noch einmal ins Isental gekommen und hatte es so vorhergesagt. Der Lärm, den die Anwohner als unerträglich empfinden, sei noch lange nicht das, was "gesetzlich zulässig" sei, erklärte er damals. Ein Tempolimit würde wenigstens etwas Erleichterung bringen, sagte Steger auch noch, es wäre die einfachste und effektivste Maßnahme.

Im Januar zauberte dann Ministerpräsident Söder tatsächlich eine Geschwindigkeitsbegrenzung aus dem Hut, die ab Februar galt. Da zwischenzeitlich Corona alles änderte, war die Wirksamkeit des Tempolimits aber nicht so richtig deutlich. Als das Verwaltungsgericht München das Tempolimit als rechtswidrig einstufte und erstsatzlos strich, war das dennoch eine herbe Enttäuschung in die Möglichkeiten der Politik, und ein Schlag voll auf die Ohren der Anwohner: Die Raser, die einen nachts aus dem Schlaf reißen, sind seitdem zurück.

Ein Jahr nach der Eröffnung der Isentalautobahn ist zwischen Heldenstein und Pastetten alles noch miserabler als zuvor. Der Lärm ist kein bisschen weniger geworden, aber die Hoffnungen, dass sich etwas ändern wird, schwinden zusehends.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2020
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