Aussteiger aus der rechten Szene:Aus dem Leben eines Neonazis

Felix Benneckenstein war einst der bekannteste Neonazi aus Dorfen. Dann stieg er aus. Nun hat er sich in seiner oberbayerischen Heimatstadt seinen früheren Widersachern im Dialog gestellt. Ein denkwürdiger Abend, der viele Emotionen weckte.

Heiner Effern

Ein paar Halbstarke schlurfen durchs Zentrum, einer trägt bei der Hitze sichtlich schwer an seinen Springerstiefeln. Die Mädchen auf der anderen Seite schlecken unbeeindruckt am Eis. Ein Motorradfahrer dreht knatternd eine Runde um das Café Zebra auf dem Stadtplatz, die Gäste trinken Weißbier und Spritz.

Aussteiger aus der rechten Szene: Felix Benneckenstein, einst ein bekannter rechtsextremer Liedermacher, kam nach seinem Ausstieg aus der Szene in seine Heimatstadt Dorfen im Landkreis Erding, um sich seinen früheren Feinden zu stellen. Ein Abend, der viele Emotionen weckte.

Felix Benneckenstein, einst ein bekannter rechtsextremer Liedermacher, kam nach seinem Ausstieg aus der Szene in seine Heimatstadt Dorfen im Landkreis Erding, um sich seinen früheren Feinden zu stellen. Ein Abend, der viele Emotionen weckte.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein lauer Sommerabend in Dorfen wie viele andere. Doch nicht für alle: Felix Benneckenstein, einst der bekannteste Neonazi aus der Stadt, ist für diesen Abend zurückgekehrt in seine Heimat. Und er sitzt den Menschen gegenüber, denen er eine Heidenangst gemacht hat. Menschen, die seine Feinde waren.

Doch diesmal ist alles anders: Benneckenstein hat sich mit 25 Jahren losgesagt von seinen Neonazi-Freunden. Im evangelischen Pfarrzentrum stellt er sich seinen damaligen Gegnern vom Bündnis "Dorfen ist bunt". Organisiert hat das Treffen die evangelische Projektstelle gegen Rechtsextremismus, die Benneckenstein dabei unterstützt, mit einem eigenen Verein anderen Neonazis den Ausstieg zu ermöglichen.

Sie sitzen im Stuhlkreis, Benneckenstein in Jeans und schwarzem Metallica-Shirt, das um den Bauch etwas spannt. Er trägt Brille, normale Kurzhaarfrisur. Um ihn herum großteils gesetzte Bürger, sozial und politisch engagiert. Es waren die Mutigen, die sich gewehrt haben. Die sich plötzlich als Linksradikale im Verfassungsschutzbericht wiederfanden.

Zum Beispiel Michaela Meister, SPD-Stadträtin und Sprecherin des Bündnisses. Sie kennt "den Felix" schon als kleinen Buben. "Unser jüngster Sohn war mit ihm in einer Klasse, er hat gegenüber gewohnt." Das letzte Mal gesehen haben sich die beiden vor sieben Jahren - als die Neonazis aufmarschiert sind. "Ich war entsetzt, was er macht", sagt sie. Auch Adalbert Wirtz denkt zurück an beklemmende Zeiten. "Ich habe heute erkannt, dass wir von großer Angst besessen waren: Neonazis tauchen hier auf, eine gewalttätige Szene. Kriegen wir das hin, dass wir Dorfen frei halten?"

Benneckenstein hat vor sieben, acht Jahren Schwergewichten der rechtsextremen Szene wie Norman Bordin den Weg in die Stadt geebnet. An diesem Abend erfahren seine Feinde von damals, warum. Dorfen habe sich mit dem linken Jugendzentrum stark engagiert gegen Rechtsextremismus.

"Dort konnte man sehr schön Öl ins Feuer gießen", sagt er. Dass das auch deshalb besonders leicht ging, weil das Jugendzentrum bis in die bürgerliche Mitte hinein viel Ablehnung erfuhr, das spart sich Benneckenstein. Er sagt nur. "Wir hatten die Hoffnung, dass wir welche auf unsere Seite ziehen könnten."

Wie ticken Rechtsextreme?

Von Angst ist im Stuhlkreis nicht viel die Rede, doch das Fenster wird trotz tropischer Temperaturen nicht geöffnet. Als draußen ein Auto anhält mit ein paar Jugendlichen, die neugierig hereinschauen, kommt der Vorschlag, auch noch die Vorhänge zuzuziehen. Im Gespräch gewinnt aber zusehends die Neugier die Oberhand gegen das Misstrauen. Vor allem eines wollen die Dorfener von dem Ex-Neonazi wissen: War die Strategie, offensiv zu demonstrieren, die richtige?

Offenbar schon: "Für die Szene ist es ein großer Erfolg, wenn sie am Marktplatz direkt in der Innenstadt auftreten kann und nicht auf einem Parkplatz außerhalb", sagt Benneckenstein. Es werde als Kapitulation wahrgenommen, wenn die Einwohner ihre Stadt den Neonazis überließen. "Blockieren bringt immer was, weil die Leute keine Lust haben, fünf Stunden mit dem Zug zu fahren, drei Stunden rumzustehen und wieder zurückzufahren. Auf solche Demos fährt man ungern."

Es wird auch klar an diesem Abend, dass die Neonazis einen Keil zwischen die Dorfener getrieben haben. In der Frage des Umgangs mit den rechten Aufmärschen war die Stadt tief gespalten. "Es gab Diskussionen, dass wir schuld sind, wenn wir eine Gegendemo machen. Das war zutiefst frustrierend", sagt einer im Stuhlkreis.

So frustrierend wie der Umgang mit der Polizei. Sie fühlen sich heute noch ausgebremst, insbesondere das Misstrauen gegen den Verfassungsschutz ist enorm. Im Nachhinein sieht sich das Bündnis bestätigt. "Es ist wichtig aufzustehen und Flagge zu zeigen. So weit zu gehen, wie man darf, nicht immer nur brav stehenzubleiben", sagt Michaela Meister. Doch so ganz euphorisch lässt Benneckenstein seine aufmerksamen Zuhörer nicht werden. Aufgehört hätten die Aufmärsche in Dorfen auch deswegen, weil er als lokale Kontaktperson nach Dortmund gezogen sei, sagt er.

Die Fragen bewegen sich dann aus der Stadt heraus, die Bürger wollen verstehen, wie die Rechtsextremen ticken. Zwischendurch wirkt die Szenerie wie ein Proseminar an der Uni: Von was leben Neonazis? "Ich habe als Liedermacher von der Hand in den Mund gelebt." Was lesen sie? "Unterschiedlich." Was treibt sie an? "Unzufriedenheit mit der eigenen Rolle in der Gesellschaft." Was machen Neonazis, wenn sie älter werden? "Familien gründen, aus dem Hintergrund unterstützen." Was können Eltern für Kinder tun, die in die Szene abgleiten? "Eine Fachstelle aufsuchen, Garantien gibt es keine."

Unheimlich wird es vielen, als eine Frau fragt, welchen Status er als Neonazi im Gefängnis gehabt habe. Unter den Häftlingen, meint sie wohl. Benneckenstein sagt: "Es gab einige Justizbeamte, die mir auf die Schulter geklopft haben: Endlich mal ein Gescheiter hier, solche gehören doch nicht eingesperrt."

Nach einem "für alle emotional sehr sehr schwierigen Abend", wie es ein Teilnehmer sagt, gehen die früheren Feinde auseinander. Es sei aus seiner Sicht gut gelaufen, sagt Benneckenstein. "Es hat mich ziemlich viel Überwindung gekostet, hierher zu kommen. Ich habe gehofft, dass mir keiner den Kopf abreißt." Adalbert Wirtz resümiert am Ende so: "Wir haben einen glücklichen Aussteiger. Das Problem ist grundsätzlich damit aber nicht gelöst."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: