Ausgrabungen:Spuren einer Siedlungskammer

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Aufgrund natürlicher Strukturen siedelten sich schon sehr früh Menschen um Erding an. Der Fund eines römischen, mittelkaiserzeitlichen Brandgrabs schließt eine zeitliche Lücke. Vermutet werden weitere Hinweise im Boden

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wer zurzeit ins Gewerbegebiet West in Klettham fährt, wird auf einen großen Erdwall entlang der Sigwolf- und Dachauer Straße stoßen. Doch nicht die Bauarbeiten zu dem neuen Gewerbegebiet haben dort begonnen, sondern die Archäologen haben vor drei Wochen ihre Arbeit aufgenommen. Und sie sind bereits fündig geworden. Etwas überraschend wurde eine leider stärker "verpflügte" römische Brandbestattung entdeckt - das erste mittelkaiserzeitliche Grab auf dem Stadtgebiet von Erding, wie es im ersten Zwischenbericht der Grabungsfirma "Singularch" heißt. Für Martina Pauli, die Gebietsreferentin des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, zeigt der Fund, dass Erding, vor allem der Raum Altenerding, sehr früh schon eine "Siedlungskammer" war, die von natürlichen Strukturen wie Moore und Waldflächen geschützt war.

Bis Mitte August darf nur ein Teilbereich der Flächeuntersucht werden. (Foto: Renate Schmidt)

Zur Zeit sind die Archäologen allerdings einer Beschränkung unterworfen: Die Arbeiten des ersten Abschnitts müssen wegen verschiedener Bodenbrüter, wie die Feldlärche, bis Mitte August auf einen rund 30 Meter breiten Streifen entlang der Sigwolf- und Dachauer Straße beschränkt bleiben, wie Stefan Biermeier von "Singularch" schreibt. Am 4. Juni hatte man mit dem Oberbodenabtrag begonnen und derzeit wird die innere Hälfte des 30 Meter-Streifens vom Humus befreit. Mit dem anfallenden Material wurde ein Erdwall entlang der Straße aufgeschüttet. Im nächsten Schritt soll der Humus auf Sattelzüge verladen und abtransportiert werden, sagt Biermeier, der Vor- und Frühgeschichte studiert hat. Ob es dann im September weiter geht auf der restlichen Fläche, sei noch offen.

Gefunden wurden auch Scherben einer Bilderschüssel. (Foto: Singularch/oh)

Derzeit halten sich die Funde bislang in Grenzen, wie es im Bericht heißt. Bei den gut 30 archäologische Entdeckungen handle es sich überwiegend um Pfostengruben, einzelne Gräben und Gruben. An einer Stelle haben die Archäologen neben Leichenbrandresten auch größere Mengen an Keramikscherben gefunden. Darunter Scherben einer Bilderschüssel und etwas verschmolzenes Glas. Datierungen weisen den Fund ins fortgeschrittenere 2. oder 3. Jahrhundert nach Christus. Neben dem Grab kamen drei rechteckige Gruben zu Tage, die zunächst für Körperbestattungen gehalten wurden, sich aber als "komplett fundlose Gruben" erweisen haben. Dass die Leichname komplett vergangen sein könnten, sei als eher unwahrscheinlich zu erachten, denn wenige hundert Meter nördlich seien Skelette der 2006 untersuchten spätrömischen Gräber recht gut erhalten, heißt es in dem Zwischenbericht. Eine abschließende Bewertung dieser Befunde sei derzeit noch nicht möglich. Entdeckt wurde auch eine Bronzenadel mit Kugelkopf wohl aus der Frühbronzezeit sowie ein an der Griffplatte gebrochenes Eisenmesser mit stark geschwungener Schneide aus der römischen Zeit. Auf der Terrasse an der Dachauer Straße haben die Archäologen außerdem weitere Befunde der hallstattzeitlichen Siedlung gegraben, von der seit 2006 immer wieder Teile aufgedeckt worden sind, wie Stefan Biermeier sagt.

Zeichnerisch Rekonstruktion der gefundenen Bilderschüssel. (Foto: Singularch/oh)

Nicht weit von den derzeitigen Grabungen wurde vor Jahren das Kletthamer Reihengräberfeld entdeckt, das größte seiner Art in Süddeutschland und europaweit eines der bedeutendsten Zeugnisse aus den schriftarmen Jahrhunderten zwischen Völkerwanderung und Frühmittelalter. Ausgrabungen brachten mehr als 2000 Gräber zutage, die ältesten Funde gehen dabei zurück bis auf die Mitte des 5. Jahrhunderts. Eine Zeit, in der die Römer den vordringenden Germanen weichen mussten. Dass Erding schon seit langer Zeit besiedelt und auch wohl mit dem Rest der damals bekannten Welt vernetzt wurde, belegt der Fund von hochwertigem Geschirr aus Tunesien in einem Grab.

Vor den Grabungen an der Sigwolf- und Dachauer Straße wurde der Oberboden mit einem Bagger entfernt. (Foto: Singularch/oh)

Römische Spuren findet man in Erding häufiger. Allein der Name Alte Römerstraße weist auf Funde hin. Reste dieser römischen Sempttal-Straße in umliegenden Wäldern und auch die römische Villa in Langengeisling mit ihrem Münzschatz belegt die römische Vorgeschichte der Stadt Erding. Unter der Friedrich-Herbig-Straße, nahe der Einmündung des Rennfeldwegs, zeigten sich noch die Spatenspuren der römischen Straßenbauer im Boden ab. Gefunden wurden beim Anlegen eines Radwegs Reste eines antiken, noch etwa 30 Zentimeter hohen Straßendamms.

Bauten findet man laut Biermeier in Erding mittlerweile aus allen Epochen römischer Besiedlung, nur bei nicht Gräbern. Der neue Fund schließe nun ein zeitliche Lücke. "Es war nur eine Frage der Zeit, wann wir ein Brandgrab aus der mittelkaiserzeitlichen Zeit Roms finden", sagt der Historiker. Auch Martina Pauli sieht das so. "Die bisherigen Funde, zum Beispiel von römischen Villen oder den anderen Gräben, auch aus früheren Zeiten, zeigen, dass Erding schon früh besiedelt war." Die gefundenen Brandgräber stammten aus einer Periode der Konsolidierung des Römischen Reichs nach den Eroberungskriegen. Zu der Zeit sei vielen als Lohn ihrer Treue das römische Bürgerrecht verliehen worden und verdiente Veteranen aus dem Dienst im Heer ausgeschieden und sesshaft geworden.

Das Team von "Singularch" sowie die Gebietsreferentin des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege Pauli rechnen bei der aktuellen Grabung mit weiteren Funden und Befunden aus allen Zeiten. Nur ein richtiger Schatz werde bestimmt nicht gefunden, da brauche man sich keine Hoffnung machen, sagen beide. Wer trotzdem meine, sich davon selber ein Bild machen zu müssen, zerstöre nur die Grabung, und das wird von den professionellen Archäologen gefürchtet, da eine exakte Bestimmung nicht mehr möglich sei. Zum Glücke habe die Polizei ein wachsames Auge auf die Grabung, sagt Biermeier.

© SZ vom 01.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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