Süddeutsche Zeitung

Auf dem Erdinger Volksfestplatz:Mikrokosmos Hinterseer

Der Tiroler Sänger volkstümlicher Lieder füllt Erdings Volksfestplatz - bis ein Gewitter "die Gaudi" vorzeitig beendet

Sarah Ehrmann

Wenn Hansi Hinterseer jodelt, folgen Tausende seinem Ruf. Auch in Erding, wohin zum ersten Open-Air-Konzert auf dem Volksfestplatz Fans aus ganz Süddeutschland anreisen. Die Freude darüber, dass der Himmel pünktlich zum Konzertbeginn aufriss, hielt aber nur kurz: Stoisch harrten die Besucher dann im Dauerregen aus, Regenponchos über den Dirndln, bis der Veranstalter das Konzert nach 70 Minuten abbrach.

In Hansi Hinterseers Texten ist die Welt noch heil. Was soll ich über Klimakatastrophen, Krankheit und Tod Lieder machen?, fragte er einst in einem Interview ehrlich erstaunt. "Es ist doch viel schöner, wenn man den Leuten Entspannung schenkt und von der Liebe singt. Danach sehnt sich doch jeder." So besingt der ehemalige Ski-Profi eben in der normalerweise mehr als zwei Stunden dauernden Abendshow seine Heimat: die Berge Tirols, wo die Madeln schön und die Bubn "stark wie Dynamit und härter als Granit" sind, mit weichem Kern, versteht sich. Wenn Hinterseer auch häufig belächelt wird, es schon fast zum guten Ton gehört, den "singende Solarium-Litfasssäule" Genannten nicht ernst zu nehmen - das Prinzip Hinterseer funktioniert. Nach ganz eigenen Parametern.

Für den "Hooonsi" werden die Ehemänner entweder zwangsrekrutiert oder zum Kartenspielen geschickt, wenn die Damen, ausgestattet mit Plakaten, Blumen und selbstbedruckten T-Shirts ihrem Idol nachfolgen. Die von ihm organisierten Open-Air-Konzerte in Kitzbühel waren nach wenigen Minuten ausverkauft. Dabei liegen Hansi-Veranstaltungen im höheren Preissegment. Bis zu 80 Euro kosteten die Tickets in Erding, auch für Kinder, wie die Schwestern Heidi und Irmgard Pflanz bemängeln. Sie sind auf Wunsch des fünfjährigen Lukas' gekommen, der genauso gerne Akkordeon spielt wie Hansi Hinterseer. Ihnen gefällt, dass er volksmusikalisches Liedgut lebendig hält, indem er Lieder wie "Ein Tiroler wollte jagen" zwischen volkstümliche Musik einbaut. Doch genau die macht den blondierten Mittfünfziger so massenkompatibel. "Den Schwung" schätzen seine Fans. Sie schunkeln bereitwillig, tanzen Walzer vor der Bühne und ignorieren, dass ihnen der Matsch das Dirndl bespritzt. "Den Hansi hör' ich überall", sagt eine Besucherin. "Und immer." Und warum? "Weil er so schee is."

Dass die Bühne fast dauerhaft in rotes Licht gehüllt ist - ein gerne benutzter Kniff, um auch Opernstars Alterszeichen aus dem Gesicht zu zaubern - stört keinen. Auch nicht, dass die langen Haare so festzementiert sind, dass sie sich selbst an diesem windigen Samstagabend keinen Millimeter bewegen. Seine Anhänger sehen darüber hinweg, dass selbst im Tonumfang einer Quarte letztlich nicht ganz klar ist, ob er nun Playback singt oder nicht. Texthänger und eine schlichte bis gar keine Bühnenshow sehen sie ihm nach. Denn er gibt ihnen ein Gefühl von Nähe. Versichert dem Publikum in jedem erdenklichen Moment, dass jeder genau so geschätzt werde, wie er oder sie ist, mit Handicap oder ohne, alt oder jung. Er ist ein Star zum Anfassen. In jeder Liedpause, wenn Hinterseer seine Fans mit Liebeserklärungen und Lobeshymnen überschüttet, "des san genau die Sachn, die Einem gut tun, wenn Einer zeigt, i mog dia", reichen Besucher in Klarsichtfolie verpackte Blumen auf die Bühne. Er nimmt jede einzeln, schüttelt Hände, macht Sprüche. Undenkbar, dass er in Boygroup-Manier dazu auffordern würde, gleichzeitig alles auf die Bühne zu werfen, um Stofftiere und Liebesbriefe dann von Ordnern in blaue Müllsäcke einsammeln zu lassen. Das widerspräche dem Hinterseer-Konzept von heiler Welt. Fans, Veranstalter und Werbepartner loben seine Zuverlässigkeit und dass er auf der Bühne genauso nett sei wie dahinter. "Keine Selbstverständlichkeit", sagt Alfred Obermeier vom bayerischen Konzertveranstalter Gross-Obermeier.

So ungewöhnlich Hansi Hinterseer ist, so ungewöhnlich sind eben auch seine Fans. "Die sind zäh", sagt ein Ordner am Ausgang. Nur etwa hundert stapfen vorzeitig durch Pfützen zu ihren Autos. Als der Veranstalter das Konzert schließlich "aus Sicherheitsgründen" abbricht, tragen die Verbliebenen es mit Fassung. Das sei eben das Risiko bei einem Open-Air-Konzert. Am meisten leidet vermutlich Hinterseer selbst. Denn sein größter Lohn ist der Applaus, betont er immer. Und der ging im Trubel aus Regencapes und Gewitter dann irgendwie unter.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2011
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