Süddeutsche Zeitung

Artding Festival:Klettham wird zur Galerie

Im Juni malen einige der gefragtesten Streetartkünstler der Welt auf Erdinger Wänden. Doch es sollen nicht nur Fassaden verschönert, sondern ein ganzes Viertel aufgewertet werden

Von Philipp Bovermann

ErdingLange Zeit war unklar, ob es das Streetart-Festival "Artding" in Erding geben wird. Die Idee gefiel dem Stadtrat zwar, sich ein paar graue Fassaden von international angesagten Künstlern besprayen zu lassen und sich damit einen Hauch domestizierte Subkultur nach Erding zu holen. Allerdings waren die geschätzten 25 000 Euro Kosten den Stadtpolitikern zu hoch. Inzwischen gibt es eine ziemlich geniale Lösung: Ein Großteil des Geldes kommt aus einem Fördertopf des Bundes. Im Gegenzug geht die Straßenkunst gebündelt in ein Viertel, dessen Bewohner sich besonders nach Farbe und vielfach auch nach Perspektiven sehnen: In das sozial schwache Klettham.

Anfang vergangener Woche begann der Künstler Mr. Woodland, der die Idee für Artding aufbrachte, Fotos von Häuserfassaden in Klettham über die sozialen Medien zu posten. Es handelt sich um die fünf Wände, die er und die Verantwortlichen der Stadt zur Bemalung ausgewählt haben. Auf jeder von ihnen werden sich einer oder mehrere Künstler ab dem 10. Juni großflächig austoben, bis zum 16. Juni. Dann ist das Festival vorbei, die Künstler reisen ab und ihre Werke verbinden sich mit dem Stadtbild, werden Teil einer neuen Identität des Viertels.

Mr. Woodland, bürgerlich Daniel Westermeier, kennt die Künstler, die er eingeladen hat. Er ist selbst Teil jener überschaubaren "Familie", wie er sie nennt, die für Festivals und Kollaborationen auf der ganzen Welt angefragt wird und dort ihre Ideen und Kontaktdaten austauscht. Welche Künstler es genau sein werden, will er vorerst nicht verraten, um die Spannung noch ein bisschen aufrecht zu halten.

Westermeier kennt aber auch Klettham. Zu Schulzeiten, als er auf die Herzog Tassilo Realschule ging, war er dort oft zu Besuch bei Freunden. Mit denen hing er auf der Straße herum. Sie tauschten Skizzen aus, gemeinsam begann sie zu rappen und zu sprühen. Heute ist Mr. Woodland eine Marke und Westermeier wohl das, was man einen arrivierten Streetart-Künstler nennen würde: mit eigener Kreativagentur, öffentlichen Aufträgen und einer Familie. Seine Werke sind an mehreren Stellen in Erding zu sehen, zuletzt verwandelte er im Auftrag der Stadt die Unterführung der Anton-Bruckner-Straße zum Volksfestplatz in eine bunte Unterwasserlandschaft. Mit den Freunden von damals ist er noch in Kontakt. Wie die meisten, die es sich leisten können, sind aber auch sie inzwischen aus Klettham weggezogen.

Das Viertel gilt als klassisches Durchgangsquartier. Es wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hochgezogen, ohne echtes Zentrum, um billigen Wohnraum für die Beschäftigen des Fliegerhorsts zu schaffen. Die zogen nach Ende ihrer Stationierungszeit meist schnell wieder aus. So ist es bis heute geblieben. Aber die Stadt will das nun ändern.

Ende vergangenen Jahres hat sie sich auf das Städtebauförderprogramm "Soziale Stadt" beworben, das mit Bundesmitteln die soziale Stabilisation bestimmter Viertel bezuschusst. Der Antrag ist noch nicht durch, aber der Leiter des Stadtentwicklungsausschusses Christian Famira-Parcsetich ist optimistisch, dass er bewilligt wird. Die symbolische Aufwertung durch Kunst im Rahmen des Artding-Festivals soll nun als erster Schritt verschiedenen sozialen und infrastrukturellen Maßnahmen für Klettham zuvorkommen. Rund 10 000 Euro schießt die Stadt aus eigenen Mitteln zu.

Während des Zeitraums des Festivals soll ein Flyer die Besucher animieren, entlang einer bestimmten Route all die im Entstehen begriffenen Werke bei einem Stadtteilspaziergang kennenzulernen - und so auch das Viertel zu entdecken. Es "auf die Karte zu setzen" sei eines der Ziele des Festivals, sagt Westermeier. An der Ecke Stefanstraße und Riverastraße wird der Augsburger Graffiti-Verein Die Bunten außerdem einen Workshop für die Bewohner von Klettham abhalten, zur Frage, wohin es mit dem Viertel gehen soll und was sie sich von der Stadtentwicklung wünschen. Die Kinder und die Künstler bemalen derweil in Sichtweite Wände - die Künstler die des Hauses an der Stefanstraße 17, die Kinder bekommen eine kleine mobile Wand in Form einer über einen Bauzaun gespannten Plane.

Wegen der unsicheren Finanzierung stand das Projekt, zu dem Westermeier bereits 2017 einen ersten Anlauf nahm, lange auf der Kippe. Jetzt empfindet er es als eine "supercoole Sache", dass es doch noch klappt. Aber er denke schon einen Schritt weiter, sagt er, nämlich dass Klettham dadurch "mit Sicherheit deutlich attraktiver" werden wird. Auf diesen Augenblick freue er sich im Augenblick am meisten: "Wenn's rum ist. Dann kann ich mich zufrieden zurücklehnen und schauen, was dabei herausgekommen ist."

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SZ vom 09.05.2019
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