Archäologie:Glückstreffer im Acker bei Niederding

Luftbildaufnahme führt zur Wiederentdeckung der 1803 abgebrochenen Kirche St. Lorenz mit Einsiedelei

Dem im Februar 2018 verstorbenen Heimatforscher und Gemeindearchivar von Oberding, Georg Gruber, hätte diese Entdeckung Freudenrufe entlockt und leuchtende Augen beschert, da ist sich Harald Krause sicher. Denn dem Doktoranden und Archäologen von der LMU München (zugleich Museumsleiter im Museum Erding) ist für die Kirchengeschichte der Gemeinde Oberding ein luftbildarchäologischer Glückstreffer gelungen: Im Zuge intensiver Luftbildauswertungen konnte er im Rahmen seiner Forschungen die nahezu vollständig in Vergessenheit geratene Kirche von St. Lorenz zwischen Niederding und Reisen wiederentdecken und deren Standort erstmals exakt festlegen.

Im Luftbild von Google Earth, aufgenommen am 8. April 2018, zeichnen sich im jungen Getreidebewuchs zahlreiche Grundmauerstrukturen als so genannte negative Bewuchsmerkmale ab. Solche Wuchsstörungen entstehen laut Krause, wenn in Phasen länger andauernder Trockenheit das Getreide mangels ausreichenden Wurzelraums und fehlendem Bodenwasser im Untergrund zu kümmern beginnt. "Die Vegetation paust in solchen Situationen eins zu eins die unterirdischen Strukturen durch, die im Luftbild aus dem April 2018 rein zufällig festgehalten wurden", ergänzt der Erdinger Museumsleiter. Denn wegen der Einflugschneise des Münchener Großflughafens im Erdinger Moos herrsche seit 1992 leider Flugverbotszone für die amtliche Luftbildarchäologie - in diesem Bereich sei man in der Denkmalpflege seither auf ebensolche Zufallsaufnahmen angewiesen. Ein Glückstreffer also.

Archäologie: Luftbild aus Google Earth vom 8. April 2018. Durch Kümmerwuchs im Getreide zeichnen sich die im Boden schlummernden Grundmauern der Kirche St. Lorenz und die der Einsiedelei deutlich ab.

Luftbild aus Google Earth vom 8. April 2018. Durch Kümmerwuchs im Getreide zeichnen sich die im Boden schlummernden Grundmauern der Kirche St. Lorenz und die der Einsiedelei deutlich ab.

(Foto: Google Earth)

Das Luftbild vom April aus Google Earth zeige ein hervorragendes und detailbeladenes negatives Bewuchsmerkmal im heranwachsenden Wintergetreide, betont Harald Krause: Neben dem nahezu exakt Ost-West ausgerichteten Kirchenschiff mit Apsis (Länge Saalbau 11 Meter, Breite Saalbau sieben Meter, Tiefe Apsis 6,8 Meter und Breite Apsis fünf Meter) zeichne sich möglicherweise vage eine kleiner dimensionierte Apsis eines mutmaßlichen Vorgängerbaus im Innenraum ab. Das Kirchenschiff St. Lorenz sei offensichtlich ringsum von einer Mauer eingefriedet gewesen - vermutlich der Raum der Klause (auch Einsiedelei oder Eremitage genannt). "Dort sind weitere Mauerzüge und schuttverfüllte Keller im Luftbild erkennbar", fügt der Archäologe hinzu. Das Alter des Kirchenbaus sei bis heute unbekannt.

"Der exakte Standort der 1803 abgebrochenen Kirche beziehungsweise Kapelle von St. Lorenz war bis zum heutigen Tage der Denkmalpflege vollkommen unbekannt", betont Krause. Einzig Wegekreuze im Bereich der Neuentdeckung erinnerten an die ehemalige "Klause", wie sie von einigen Anwohnern heute noch genannt wird. "In der Lokalbevölkerung rund um Niederding sind der Ort und seine einstige Funktion noch im Bewusstsein vorhanden", erklärt er. Gelegentlich werde sogar von "Unmengen an Steinen und Ziegeln im Acker" berichtet. "Im Acker selbst ist heute ein unscheinbarer Hügel erkennbar, der den Kirchenstandort als verflachten Schuttkegel markiert."

Archäologie: Ein Ausschnitt aus den Bairischen Landtafeln von Philipp Apian aus dem Jahr 1568. Die Kirche St. Lorenz ist hier noch mit Kirchturm-Signatur zwischen Reisen ("Reissen") und Niederding ("n. Dieng") verzeichnet.

Ein Ausschnitt aus den Bairischen Landtafeln von Philipp Apian aus dem Jahr 1568. Die Kirche St. Lorenz ist hier noch mit Kirchturm-Signatur zwischen Reisen ("Reissen") und Niederding ("n. Dieng") verzeichnet.

(Foto: Bildarchiv Museum Erding)

In einem der ältesten historischen Kartenwerke Bayerns, den Bairischen Landtafeln von Philipp Apian aus dem Jahr 1568, ist die Kirche St. Lorenz noch eingetragen - sogar mit Kirchturm-Signatur. Das Urkataster von 1810 zeigt im Bereich der Kirche bereits wieder Ackerland und keinerlei Hinweis auf ehemalige Gebäude.

Dank der akribischen Forschungen von Georg Gruber, die in der Chronik der Gemeinde Oberding von 2000 niedergeschrieben wurden, sind auch einige wenige historische Detailinformationen zu St. Lorenz bekannt. In der zweitältesten Diözesanbeschreibung, der sog. Sunderndorf'schen Matrikel aus dem Jahr 1524, sind zur Pfarrei Aufkirchen zugehörig aufgeführt: St. Nikolaus in Notzing, St. Emmeram in Moosinning, St. Georg in Oberding, St. Martin in Niederding, St. Jakob in Kempfing sowie St. Lorenz bei Niederding. Die Klause St. Lorenz bei Niederding bestand bis 1802. Nach einem Raub zog der letzte Klausner 1802 nach Niederding und verstarb 1803 im Alter von 79 Jahren. Um 1700 lebten laut Georg Gruber in der Klause zwei Fratres. Sie gaben teilweise bis zu 50 Kindern Schulunterricht. Nachdem der Klausner, Frater Georg Maulhart, 1802 ausgeraubt wurde, zog der nach Niederding und die Klause wurde im Zuge der Säkularisation 1803 profanisiert, aufgelöst und abgebrochen. Das Altarbild - eine Kopie der Passauer Maria-Hilf-Madonna - gelangte laut Gruber in die 1903 neu errichtete Kirche St. Korbinian in Schwaig, weitere Gegenstände aus der Klause in hingegen in Privatbesitz. Diese gelten heute als verschollen.

Die Neuentdeckung wurde umgehend an das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege gemeldet und wird dort aktuell auf Denkmalrelevanz geprüft. Es soll festgestellt werden, wie tief und gut die Grundmauerreste von Kirche und Klause noch erhalten sind und zugleich ein exakter Bauplan erstellt werden, um im besten Falle im Anschluss ein geeignetes Schutzkonzept gemeinsam mit dem Grundstückseigentümer erarbeiten zu können.

Vielleicht - so zumindest die Anregung von Harald Krause - könnte man hier auf einer Fläche von 30 mal 50 m Ackerland in Dauergrünland umwandeln und zugleich eine ökologische Ausgleichsfläche schaffen. "Der Platz könnte sich dann als ein Ort der Ruhe und Einkehr wiedererstehen und seine einstige Bestimmung zurückerlangen".

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