Freising/Erding:Mit 55 Jahren ist noch lange nicht Schluss

Lesezeit: 3 Min.

Im Sommer steigt die Zahl der Arbeitslosen meist etwas an. Gerade für Jugendliche auf Ausbildungssuche stehen die Chancen noch gut, bis Herbst etwas Passendes zu finden. (Foto: Marco Einfeldt)

1995 waren nur rund 20 Prozent der 60- bis 64-Jährigen im Schnitt erwerbstätig. Heute sind es etwa 63 Prozent. Wer mit 55 Jahren und aufwärts seinen Job verliert, hat es trotzdem schwer, einen neuen zu finden. Arbeitgeber favorisieren oft Jüngere.

Von Gerhard Wilhelm, Erding/Freising

Noch vor Jahren war mit 55 oft Schluss mit Arbeit. Entweder weil der Beruf körperlich zu belastend - Stichwort Dachdecker - war, oder die Unternehmen ihre ältere Belegschaft abbauten. 1995 waren nur rund 20 Prozent der 60- bis 64-Jährigen im Schnitt erwerbstätig. Und bereits ab der Schwelle von 50 Jahren galt damals der Versuch, sich auf einen Arbeitsplatz zu bewerben, als aussichtslos. Das hat sich drastisch geändert. Heute ist es mittlerweile selbst für über 60-Jährige die Regel zu arbeiten.

Lag die Beschäftigungsquote 2012 im Landkreis Erding noch bei den 55-Jährigen und aufwärts bei 45,6 Prozent, betrug sie 2022 schon 62,2 Prozent. In Freising ist es ähnlich: 46,3 Prozent und 63,4. Ein Grund für die Mehrbeschäftigung ist das spätere Renteneintrittsalter, aber auch der Fachkräftemangel. Die Firmen suchen händeringend erfahrenes Personal.

Dennoch ist ein Problem geblieben: Wer mit 55 Jahren und aufwärts seinen Job verliert, hat es schwer, einen neuen zu finden. Im März errechnete sich im Landkreis Erding für die 55- bis unter 65-Jährigen die höchste Arbeitslosenquote einer Altersgruppe. Diese lag bei 3,4 Prozent. Die Arbeitslosenquote insgesamt war bei 2,2 Prozent. Im März vor zehn Jahren lag sie bei 3,8 Prozent - bei 2,4 insgesamt. Wer im Landkreis Freising lebt, ist etwas mehr betroffen: Dort lag die Arbeitslosenquote im März bei 4,2 Prozent (insgesamt über alle Altersgruppen lag sie bei 2,9 Prozent). 2013 waren es 4,8 und 2,8 Prozent.

"Die Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer sind sehr stabil"

Ralf Beckmann, Arbeitsmarktexperte bei der Bundesagentur für Arbeit, führt die gestiegene Erwerbsbeteiligung zum einen auf die positive Arbeitsmarktentwicklung und den hohen Fachkräftebedarf zurück. Zum anderen wirke sich die Rente mit 67 in Richtung einer längeren Lebensarbeitszeit aus. Die Zahl der Personen in Altersrente zwischen 60 und 64 Jahren habe sich in den vergangenen Jahren fast halbiert. "Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer sind sehr stabil, das Entlassungsrisiko sehr gering. Dagegen sind - trotz der guten Entwicklung - die Chancen Älterer, neu eingestellt zu werden, nach wie vor deutlich schlechter als bei jüngeren Altersgruppen."

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Die Arbeitslosigkeit von Personen ab 55 Jahren hat verschiedenste Gründe. Oftmals stehen gesundheitliche Thematiken im Vordergrund. Dies betrifft vor allem Menschen, die lange Zeit in körperlich anspruchsvollen Beschäftigungen tätig waren, sagt Kathrin Stemberger von der Pressestelle der Agentur für Arbeit Freising, zu der die Landkreise Dachau, Freising, Erding und Ebersberg zählen. In einer Analyse für die Konrad-Adenauer-Stiftung kommt auch Arbeitsmarktforscher Martin Brussig zu dem Fazit, dass die Chancen, im Alter zwischen 55 und 59 Jahren einen neuen Job zu ergattern, auf die Hälfte des Durchschnittswertes für alle Altersgruppen, im Alter von 60 bis 64 gar auf ein Drittel, sinkt. Offenbar würde sich bei Unternehmen ein rein auf das Alter bezogener Vorbehalt durchsetzen. Bei gleichen Voraussetzungen würden jüngere Bewerber bevorzugt werden.

"Jedes siebte Unternehmen gibt offen zu, grundsätzlich keine Älteren einzustellen"

"Zwei von fünf Betrieben beschäftigen gar keinen Mitarbeiter mehr, der mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat. Jedes siebte Unternehmen hierzulande gibt in Umfragen offen zu, grundsätzlich keine Älteren einzustellen", schreibt dazu der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) auf seiner Homepage. Neben der Qualifikation, der Branche und dem Geschlecht sei häufig das Alter an sich Grund für die Absage.

Für die Agentur ein Problem, dem man mit individueller Unterstützung begegnet, schreibt Stemberger. "Braucht es lediglich etwas Unterstützung beim Bewerbungsprozess, ist eine Anpassungsqualifizierung oder eine Umschulung nötig." Jeder müsse individuell gesehen werden. Personen, die viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte lang, bei demselben Betrieb tätig gewesen seien und dort ausschließlich mit betriebseigenen Programmen und Systemen gearbeitet haben, würden oftmals nur technische Qualifizierungen benötigen, um fit für die Vermittlung bei anderen Unternehmen gemacht zu werden.

Firmen, die Ältere ab 50 plus einstellten, äußern sich zu mehr als 90 Prozent positiv

Dazu komme, dass die Arbeitsagentur immer wieder bei Arbeitgebern für ältere Arbeitnehmer plädiere. Unterstützt wird sie dabei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Das ermittelte, dass diejenigen Firmen, die nach eigenen Angaben Ältere ab 50 plus einstellten, sich zu mehr als 90 Prozent positiv äußern. Mitarbeitende 50 plus seien "motiviert", "an einer längerfristigen Beschäftigung interessiert", "sorgfältig", "ins Team integriert", und sie hätten "ihre Erfahrungen eingebracht". Nur bei 14 Prozent der neu eingestellten Älteren berichteten die Betriebe von "häufigeren Fehlzeiten".

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