Amtsgericht Erding:Geldstrafe für 75-Jährigen wegen sexueller Belästigung

Amtsgericht Erding: Ein Vordruck für ein sogenanntes Stuhlurteil liegt auf einem Tisch im Sitzungssaal 3 im Amtsgericht Erding.

Ein Vordruck für ein sogenanntes Stuhlurteil liegt auf einem Tisch im Sitzungssaal 3 im Amtsgericht Erding.

(Foto: Stephan Görlich)

Angeklagter belästigt 44-Jährige in Bus von Taufkirchen nach Erding und zeigt ihr unter anderem mit einer Geste, dass er mit ihr Sex haben will. Amtsrichter sieht ihre Aussage als glaubwürdig an.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Noch in seinem Schlusswort hatte der 75-jährige Angeklagte seine Unschuld beteuert. Er habe der 44-jährigen Frau im Bus von Taufkirchen nach Erding keine sexuellen Avancen gemacht und sie schon gar nicht sexuell belästigt und ihr mit einer Geste zu verstehen gegeben, dass er mir ihr Sex wolle. Amtsrichter Thomas Bauer glaubte aber der 44-Jährigen, die als Zeugin aussagte, mehr, während die Aussagen des Angeklagten widersprüchlich seien. Der 75-Jährige wurde zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Hätte er den Strafbefehl zuvor akzeptiert, wären es nur 60 Tagessätze gewesen.

Im Endeffekt hatte Amtsrichter Bauer zwischen zwei Versionen des Vorfalls am 20. Juni 2022 abzuwägen, welche "konsequenter, widerspruchsfreier und schlüssiger" ist, wie er in seiner Urteilsbegründung sagte. Die Version des Angeklagten war relativ kurz: Er sei an dem Tag bei einem Arzt in Taufkirchen gewesen und sei mit der Frau ins Gespräch gekommen. Er habe aber nur Allgemeines gefragt. Woher sie komme, seit wann sie in Deutschland sei und so weiter. Drei bis vier Sätze hätten sie gewechselt, mehr nicht. Erst auf Nachfrage des Richters, was es denn mit dem Zettel auf sich habe, den er damals in der Bäckerei am Erdinger Bahnhof ihr gegeben habe, erinnerte er sich. Bei der Vernehmung bei der Polizei als Beschuldigter hatte er noch beteuert, dass er nichts von einem Zettel mit seinem Namen und Daten von ihm wisse. Was Richter Bauer verwunderte. Kurz nach dem Vorfall habe er sich nicht erinnern können, jetzt, Monate später schon. Die Antwort des Angeklagten: Erst als er jetzt im Gericht den Zettel gesehen habe und seine Handschrift erkannt habe, erinnere er sich wieder.

Er habe sie nicht mal mit seinem kleinen Finger berührt, sagte der Angeklagte

Überhaupt habe er gar nicht gewusst, was die Polizisten von ihm wollten, als sie vor seiner Tür gestanden seien. Die Beamten waren deshalb zu ihm gekommen, da sich die 44-Jährige erst ein paar Tage später an die Polizei gewandt hatte. Der Angeklagte erklärte, dass die Beamten ihm gesagt hätten, er werde befragt, weil er eine Frau im Bus "gekratzt" habe. Was nicht stimme. Er habe sie nicht mal mit seinem kleinen Finger berührt. Die Polizisten hätten aber auch gesagt, dass die Frau psychische Probleme habe.

Die ermittelnde Polizeibeamtin erklärte, letzteres könnte schon deshalb nicht stimmen, weil die Beamten gar nicht gewusst hätten, wer die Anzeige gestellt habe. Sie seien zur "Gefährderansprache" zu ihm gekommen und um mit ihn als Beschuldigten zu sprechen. Auf ihn gekommen ist die Polizei, obwohl er auf dem Zettel nicht ganz bei der Wahrheit geblieben ist. Die Hausnummer stimmte nicht. Aber der Rest ergab schnell seine richtige. Die 44-Jährige schilderte die Beamtin bei ihrer Aussage als "in sich gekehrt" und "ruhig". Sie sei mit ihrer Tochter gekommen und habe wohl erst gar nicht zur Polizei gehen wollen.

Er habe sie angesprochen und schnell auch private Fragen gestellt, sagte die 44-Jährige

Die 44-Jährige schilderte den Vorfall an dem Mittag weitaus ausführlicher. Der Angeklagte habe, wie sie, an der Bushaltestelle gewartet. Er habe sie angesprochen und schnell auch private Fragen gestellt, ob sie Single sei, allein lebe zum Beispiel. Die Bustüre habe sich schon geschlossen, als er doch noch eingestiegen sei und sich sofort neben sie gesetzt habe. Dabei habe er zuvor noch gesagt, dass er nach Dorfen fahren wolle, nicht, wie sie, nach Erding.

Während der Busfahrt sei er immer näher gerückt, habe sie in den linken Arm gekniffen, sogar mal kurz ihren linken Busen angefasst. Zudem habe er mit dem einem Finger und Zeigefinger und Daumen der anderen Hand gezeigt, dass er Sex haben wolle. Sie habe Angst bekommen und habe versucht, immer weiter weg zu rücken von ihm. Sie sei aber am Fenster gesessen. Dazu habe er immer wieder ihre Kontaktdaten haben wollen. Auf Nachfrage des Amtsrichters, ob sie gesagt habe, dass sie das nicht wolle, sagte die 44-Jährige, dass sie dem Angeklagten gesagt habe, dass man einen Kaffee trinken könne, mehr aber nicht. In der Bäckerei habe er sie dann nicht an ihm vorbei raus gehen lassen. Sie habe dann in ihrer Not die Verkäuferin gefragt, ob sie einen Zettel und was zum Schreiben habe. Im Gegensatz zu ihm habe sie aber nur fiktive Daten aufgeschrieben.

Amtsrichter Bauer sah kein Motiv bei ihr, eine Geschichte zu erfinden

Für die Staatsanwältin und Richter Bauer stand nach der Beweisaufnahme die Schuld des 75-Jährigen, der bisher nicht strafauffällig geworden war, fest. Die Staatsanwältin hatte 70 Tagessätze gefordert, Bauer blieb mit 80 sogar darüber. Der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass sich die Frau durch sein Verhalten unwohl fühle und ihr Angst gemacht. Die 44-Jährige habe keinerlei Belastungseifer gezeigt. Woher auch, sie kenne ihn nicht, er sei ein Fremder für sie, sie habe keinerlei Motiv dafür.

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