Süddeutsche Zeitung

Prozess am Amtsgericht Erding:Verhängnisvolle "Dateireste"

Ein 28-Jähriger will im Internet ein "sexuelles Abenteuer" erleben. Via Whatsapp werden ihm Fotos von Minderjährigen zugespielt, die er aber sofort löscht. Dennoch landet er vor Gericht - und wird freigesprochen.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Ein Schöffengericht unter Richter Björn Schindler hat einen 28-jährigen Angeklagten vom Vorwurf des Besitzes und des Verbreitens von Kinderpornografie freigesprochen. Dem Mann war von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden, bei einem Whatsapp-Chat am 1. Mai 2021 drei Fotos mit sexuellen Handlungen mit Jugendlichen unter 14 Jahren empfangen und diese dann auf seinem Handy abgespeichert zu haben. Wer Fotos mit kinderpornographischem Inhalt bezieht oder "vorrätig hält" wird nach Paragraf 184b des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Der Angeklagte hatte bestritten, bewusst die Fotos auf seinem Smartphone gehabt zu haben. Er habe sie vielmehr sofort gelöscht und den dazugehörigen Chat auch.

Der Verteidiger des Angeklagten räumte für seinen Mandanten durchaus ein, dass dieser den erwähnten Chat geführt habe. Der 28-Jährige sei im Internet gewesen, um ein "sexuelles Abenteuer" zu erleben. Dabei sei er auf eine Seite gestoßen, die "sexuelle Dienstleistungen" anbiete. Im Whatsapp-Chat habe sein Mandant Genaueres erfahren und auch Bilder zugeschickt bekommen. Als er die sah, sei er misstrauisch geworden und habe gefragt, ob das junge Mädchen darauf volljährig sei. Er habe geschrieben, dass er sich "verarscht" fühle und sofort den Chat, als auch die erhaltenen Fotos gelöscht. Er sei davon ausgegangen, dass die Sache damit erledigt sei.

Gegen alle potenziellen Freier wurde ermittelt

Dass die Fotos dennoch weiter auf seinem Handy zu finden sind, habe er erst erfahren, nachdem es bei einer Hausdurchsuchung als Beweismittel beschlagnahmt und der Inhalt ausgewertet worden sei. Der Kriminalbeamte, der den Fall bearbeitet, konnte mehr zum Vorwurf der Staatsanwaltschaft sagen. Auf den 28-Jährigen sei man über einen anderen Angeklagten gekommen, dessen Handy ebenfalls ausgewertet worden sei. Da habe man die Telefonnummer des 28-Jährigen gefunden und somit seine Personalien ermitteln können. Auf der Internetseite, auf der er das "Abenteuer" gesucht habe, seien in "zig Fällen" sexuelle "Dienstleitungen" angeboten worden. Auf dem versandten Foto das Bild von einer Zwölfjährigen. Gegen alle potenziellen Freier sei daraufhin ermittelt worden. Auch gegen den 28-Jährigen sei ein Durchsuchungsbeschluss ergangen. Den Whatsapp-Chat habe man nicht mehr auf dem Mobiltelefon des Angeklagten gefunden, aber eben die Fotos.

Auf Nachfrage des Verteidigers erklärte der Polizeibeamte, dass es stimme, dass die Fotos nicht mehr in der Galerie im Handy gespeichert gewesen seien. Dort habe sie der Angeklagte tatsächlich gelöscht. Ebenso den Chat. Aber die Fotos seinen als Thumbnail noch auf dem Smartphone gewesen. Thumbnails werden automatisch im Hintergrund erzeugt und sind kleine Bildvorschauen, die anstelle einer großen Version eingeblendet werden. Wenn ein Nutzer auf die Miniversion klickt, erhält er die große Version des Fotos - wenn diese nicht gelöscht wird.

Um Thumbnails zu löschen braucht man ein vertieftes Wissen

Entscheidend war die Frage, ob ein normaler Handynutzer weiß, dass von den erhaltenen Fotos Thumbnails erstellt werden und wie er diese Minifotos auch löschen kann. Letztere Frage konnte der Kripo-Beamte auch nur als normaler Benutzer, nicht als Gutachter beantworten. Man könne diese Thumbnails bestimmt löschen, dazu brauche man aber "vertieftes Wissen", wie auch der Verteidiger sagte. Ein Laie wisse das in der Regel nicht.

Sein Mandant habe sich deshalb aus Laiensicht, als normaler Benutzer, richtig verhalten, sagte der Anwalt. Er habe alles getan, was er habe tun können: Fotos und Chat sofort gelöscht. Von den "Dateiresten" habe er nichts wissen, beziehungsweise diese nicht löschen können. Von einer "Vorrätighaltung" könne deshalb keine Rede sein, sein Mandant solle also vom Vorwurf freigesprochen werden. Dem schlossen sich die Staatsanwältin und das Schöffengericht nach kurzer Beratung an.

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