Amtsgericht Erding:"Er behandelte mich wie einen Hund"

Amtsgericht Erding: Die meisten Ehen werden zwar zivilrechtlich getrennt, manche landet aber auch am Strafgericht.

Die meisten Ehen werden zwar zivilrechtlich getrennt, manche landet aber auch am Strafgericht.

(Foto: Stephan Görlich)

Eine Frau mit türkischen Wurzeln wird in Deutschland geboren und wächst westlich orientiert auf. Sie heiratet einen Mann aus der Türkei. Erst ist es die große Liebe, doch mit der Selbstständigkeit seiner Frau kommt der Mann nicht zurecht. Die Ehe scheitert und endet vor Gericht.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Am Ende der Gerichtsverhandlung wurde der 27-jährige Angeklagte zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro wegen Beleidigung verurteilt. Angesichts der Aussagen der von ihm inzwischen getrennt lebenden Ehefrau war das fast nur noch eine Nebensache. Denn die Verhandlung hatte gezeigt, welche Probleme Frauen mit türkischen Wurzeln bekommen können, wenn sie in Deutschland geboren werden, westlich orientiert aufwachsen und dann die traditionellen Lebensweisen und Vorstellungen ihrer Eltern befolgen sollen. "Es ist sehr schwer, zwischen zwei Kulturen zu leben", stellte die heute 25-Jährige vor Gericht fest.

Die gebürtige Erdingerin hatte mit 14 Jahren ihre "große Liebe" gefunden, als sie mit ihren Eltern an deren Heimatort in der Türkei zu Besuch war. Später wurde geheiratet, ihr Mann zog zu ihr nach Deutschland. Doch die junge Frau, die in Deutschland aufgewachsen war, fühlte sich in der Ehe bald immer mehr eingeengt. Vor Gericht schilderte sie, dass sie nicht mal mehr Schulfreunde auf der Straße habe grüßen dürfen, geschweige denn Besuche empfangen. Ihr Mann habe sich "krass verändert", sei extrem eifersüchtig geworden. In ihrer Not, abgeschnitten von sozialen Kontakten, wandte sie sich den sozialen Medien zu und chattete dort auch mit einem Mann. Getroffen habe sie ihn nie, sie habe auch nie die Absicht gehabt, sagte die 25-Jährige. Es war mehr eine kleine Flucht.

"Das renkt sich schon wieder ein", sagt die Mutter

Irgendwann entdeckte ihr Mann alles. Und von da an wurde alles noch schlimmer. "Er behandelte mich wie einen Hund", sagte die 25-Jährige. Ihr wurde gesagt, dass sie ein "Schlampe" sei, die ein Verhältnis mit einem anderen Mann habe. Und parallel sei der Druck der Familie gestiegen, alle hätten ihrem Mann geglaubt, nicht ihr. Sie selber habe ihrer Mutter nur gesagt, dass es so nicht weiter gehen könne, von Schlägen und Beleidigungen habe sie aber nichts gesagt. Von ihrer Mutter sei nur der Ratschlag gekommen, das müsse sie einfach aushalten, sie habe ihn schließlich nach Deutschland gebracht. Es renke sich alles schon wieder ein. Schließlich, so die junge Frau, habe sie sich völlig von der eigenen Familie ausgeschlossen gefühlt, habe sogar Antidepressiva genommen. Letztlich, so die 25-Jährige, habe sie den Fehler begangen und einem fremden Mann geschrieben, was man nicht dürfe, deshalb trage sie selber Schuld an der Situation. Inzwischen habe sie zudem immer mehr den Verdacht gehabt, ihr Mann habe sie nur deshalb geheiratet, damit er nach drei Jahren Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht habe.

Mitte 2021 sei es dann in der Türkei zu einem Treffen der beiden Familien gekommen. Dabei seien die Modalitäten einer Trennung ausgehandelt worden - ohne ihr Beisein. Unter anderem gehörte dazu, dass er noch drei Monate in der gemeinsamen Wohnung leben dürfe, während sie wieder bei ihren Eltern wohnt. Dass ihr Noch-Ehemann auch danach kein Wort mit ihr redete, und alles über ihren Kopf entschieden worden war, ließ ihr aber keine Ruhe und sie konnte ihre Mutter überzeugen, mit ihr zur Wohnung zu fahren. Sie selber habe nicht mehr in die Wohnung gekonnt, da er das Schloss ausgewechselt habe.

Seine Noch-Ehefrau beleidigte er mit dem türkischen Wort für "Schlampe"

Am 20. September vergangenen Jahres kam es dann zu dem Vorfall, der dem 27-Jährigen einen Strafbefehl wegen Beleidigung und Bedrohung einbrachte. Mutter und Tochter standen vor der Türe, obwohl der Angeklagte zuvor am Telefon gesagt hatte, dass es nichts mehr zu bereden gebe. Und das, so der Angeklagte, habe er auch den beiden gesagt, als sie einfach in die Wohnung spaziert seien. Dabei, so seine Noch-Ehefrau, habe er sie wieder mit dem türkischen Wort für "Schlampe" beleidigt und ihr gedroht, sie werde schon noch sehen, was sie von allem noch haben werde. Danach verließ er die Wohnung und rief einen Onkel von ihr an. Mit dem zusammen ging er zurück zur Wohnung, wo es dann vor allem zum Streit mit dem Onkel kam, der ihr sogar eine Ohrfeige verpasst habe, wie die 25-Jährige sagte. Ihr eigener Onkel habe sich auf die Seite des Mannes gestellt, der ihr das Leben so schwer gemacht habe, sagte sie. In der Zwischenzeit hatte die junge Frau aus Verzweiflung den Notruf gewählt und die Polizei kam. Die beiden Streifenbeamten nahmen alle Aussagen auf und leiteten alles zur Staatsanwaltschaft weiter, womit die Dinge ihren Lauf nahmen.

Der Anwalt des Angeklagten sagte zwar auch, dass sich in der Verhandlung "Abgründe" aufgetan haben, die Aussagen von der 25-Jährigen und ihrer Mutter seien aber mit Vorbehalt "und Augenmaß" zu sehen. Beide würden "erheblichen Belastungseifer" an den Tag legen. Und von Aussage zu Aussage bei der Polizei hätten beide mehr Vorwürfe gegen seinen Mandanten ausgepackt.

Amtsrichterin Michaela Wawerla zeigte Verständnis für das Verhalten der jungen Frau

Amtsrichterin Michaela Wawerla sah dies anders. Nachgefragt hätte jeweils die Polizei auf Bitte der Staatsanwaltschaft und sie habe Verständnis dafür, dass die jungen Frau erst vor Gericht "alles loswerden" wollte, wenn zu Hause es keiner hören wolle. "Sie wollte einfach für sich abschließen", nachdem sie sehr im Zwiespalt der Kulturen leben musste. Was sie jetzt nicht mehr mache, wie die 25-Jährige sagte. Sie werde jetzt ein eigenes Leben führen. Eine eigene Wohnung habe sie schon, die Scheidung soll bald durch sein.

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