Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Erding:Ungewöhnliches Mittel

Schöffengericht erlässt für 18-Jährigen Vorbewährungszeit

Nachdem er zuhause rausgeflogen war, hat sich ein 18-jähriger Erdinger mit Diebstählen über Wasser gehalten. Sieben Fälle legte ihm die Staatsanwaltschaft zur Last. Der Schaden belief sich auf etwa 3000 Euro. Hinzu kam auch noch versuchter Betrug mit einer gefundenen EC-Karte sowie der Besitz von einem halben Gramm Marihuana. Das Schöffengericht griff zu einem ungewöhnlichen Mittel und sprach eine Vorbewährungszeit von einem Jahr aus. Wenn der Angeklagte in dieser Zeit straffrei bleibt und die Auflagen erfüllt, die ihm auferlegt wurden, kann eine Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden.

Zwischen Weihnachten und Neujahr 2018 hatte der Angeklagte zusammen mit einem Freund mehrere Ladendiebstähle verübt. In diesem Zeitraum hatten sie auch einen Geldbeutel am S-Bahnhof in Erding gefunden und dann versucht, mit der EC-Karte am Geldautomaten Geld abzuheben. Weil sie aber die PIN nicht kannten, blieb es beim Versuch.

Im Februar 2019 entwendeten die beiden am S-Bahnhof Erding zwei Fahrräder und brachen in ein Kellerabteil ein, um dort ein weiteres Rad zu stehlen. Im April 2019 nahm der Angeklagte schließlich einen Job bei einem Montageservice an und entwendete am ersten und einzigen Tag seiner Beschäftigung 2341 Euro Bargeld aus dem Handschuhfach des Firmenwagens.

Die beiden Täter flogen bereits nach Weihnachten 2018 mit ihren Taten auf. Die Mutter des Freundes war misstrauisch geworden, weil sie sich die Herkunft neuer Kleidung ihres Sohnes nicht erklären konnte. Sie vermutete, es handele sich um Diebesgut und informierte die Polizei. Die Beamten stellten das Diebesgut sicher und behielten die beiden Freunde im Auge. Bei weiteren Kontrollen flogen die Fahrraddiebstähle auf.

Der Freund des Angeklagten wurde bereits verurteilt. Weil der Angeklagte zu einer ersten Verhandlung nicht erschienen war, ließ ihn das Gericht von der Polizei suchen, die ihn bis zum nächsten Verhandlungstermin in eine Hauptverhandlungshaft steckte. Etwa einen Monat saß er in Mühldorf im Gefängnis, bis er in Handschellen zu seinem neuen Verhandlungstermin gebracht wurde.

Der Angeklagte räumte von Anbeginn alle Taten ein, die ihm zur Last gelegt wurden. Warum er mit 18 Jahren auf der Straße und in Obdachlosenunterkünften lebte, wurde von der Jugendgerichtshilfe unter Ausschluss der Öffentlichkeit erörtert. Michael Lefkaditis, der Vorsitzende Richter des Jugendschöffengerichts fasste das Ergebnis dahingehend zusammen, der Angeklagte habe unfreiwillig auf der Straße gelebt, weil es "mehrere Brüche familiärer Natur" sowie schulisch und in seiner abgebrochenen Ausbildung gegeben habe.

Die Staatsanwaltschaft forderte ein Jahr und sieben Monate Jugendstrafe auf Bewährung. Einerseits habe der Angeklagte einen Gesamtschaden in Höhe von etwa 3000 Euro angerichtet, andererseits sei er aber auch geständig, habe noch keine Vorstrafe und durch die einmonatige Haft bereits erlebt, was auf ihn zukommen könnte. Daher solle die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Schöffengericht legte sich in seinem Urteil auf keine Strafe fest, sondern erließ eine Vorbewährungszeit mit mehreren Auflagen: dazu zählen 20 Beratungsgespräche, Sozialdienste und eine erfolgreiche Jobsuche.

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SZ vom 12.10.2019 / tdr
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