Amtsgericht Erding:Mehr Fälle denn je

Abschiebungen und Flugreisen: Das Amtsgericht hat viel zu tun

Von Florian Tempel, Erding

Wäre Ingrid Kaps die Geschäftsführerin eines Wirtschaftsunternehmens, wäre es eine Freudennachricht gewesen: "Unser Boom hält an." Doch Kaps ist die Direktorin des Amtsgerichts Erding und als sie bei ihrer Jahresbilanz 2016 vom "Boom" sprach, war das natürlich ironisch gemeint. Die zehn Prozent Steigerung im vergangenen Jahr bei den Zivilsachen, von 3819 auf 4217 Fälle, bringt ja keineswegs mehr Gewinn, sondern nur mehr Arbeit. Und da die Eingänge neuer Verfahren seit Jahresbeginn schon wieder alle Rekorde toppen, ist keine Entwarnung in Sicht. "So wie es aussieht, geht es ungebremst weiter." Das Gros der am Amtsgericht verhandelten Zivilverfahren sind so genannte Reisevertragssachen. Es geht immer wieder um dasselbe: Entschädigungen für ausgefallene oder verspätete Flüge und verloren gegangenes Gepäck. "Es ist ein Dauerbrenner", sagt Kaps. Und wie die Gegner der dritten Startbahn verfolgt nun auch die Amtsgerichtsdirektorin die Wachstumszahlen am Münchner Flughafen bange mit: "Je mehr Flugbewegungen die haben, desto mehr Gefahr besteht, dass was passiert", dass sich Maschinen verspäten und dass dann einige Wochen später das Amtsgericht eine weitere Klage eines genervten Fluggasts auf dem Tisch hat.

Auch die Ermittlungsrichter am Amtsgericht Erding haben mehr denn je zu tun. Die Zahl ihrer Verfahren nahm um ein Viertel von 524 auf 662 zu. Unter anderem, weil 2016 deutlich mehr Menschen vom Münchner Flughafen aus abgeschoben worden sind. In 45 Fällen wurden dabei Erdinger Richter eingeschaltet. Da die Zahl der Abschiebungen in diesem Jahr viel höher als bislang sein soll, muss man sich am Amtsgericht auf eine Menge Arbeit einstellen.

Ein Wachstumsbereich, der nichts mit dem Flughafen zu tun hat, ist die von Kaps Stellvertreter Stefan Priller geleitete Strafvollstreckungskammer. In diesem Bereich stieg die Zahl der bearbeiteten Fälle um elf Prozent, da die Unterbringung von straffälligen Suchtkranken mit engeren Vorschriften neu geregelt wurde. Das Amtsgericht ist für die Frauenforensik in der psychiatrischen Klinik Taufkirchen zuständig. Die Erwachsenen-Strafverfahren sind zwar auch mehr geworden, allerdings nicht sehr stark und auffällig, von 2137 auf 2314 Verfahren. Bei den Jugendlichen blieben die Strafverfahren mit 215 ungefähr gleich viele. Die Familienrichter hatten 2016 sogar etwas weniger zu tun als im Vorjahr, 1191 statt 1290 Fälle. Betreuungen, Grundbuch- und Nachlassangelegenheiten blieben in etwa gleich.

Die Arbeitsbelastung der Richter, Rechtspfleger und Justizmitarbeiter ist um fast die Hälfte höher als die offiziellen Richtwerte, die freilich nirgendwo eingehalten werden. Immerhin hat das Amtsgericht im vergangenen Jahr bei den Richterin wieder eine Vollzeitstelle dazu bekommen, im mittleren Dienst wurden vier neue Stellen geschaffen. Insgesamt sind am Amtsgericht etwa 100 Menschen beschäftigt. Dass das doppelt so viele sind wie noch vor zehn Jahren, die Arbeitsbelastung der Einzelnen aber nicht gesunken ist, macht das enorme Wachstum des Gerichts deutlich. Die Dynamik des Amtsgerichts bei der Zunahme von Arbeit und Personal ist in ganz Bayern wohl einzigartig. Aber das kennt man ja in Erding auch aus anderen Bereichen.

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