Amtsgericht Erding:Letzte Chance zur Besserung

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19-jähriger Angeklagter kommt mit einer Jugendstrafe auf Bewährung davon

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Es gibt Gerichtsverfahren, bei denen auch ein langgedienter Amtsrichter an einen Punkt kommt, wo er zwar weiß, wie der Strafrahmen für die begangenen Taten aussieht, aber auch weiß, dass, egal welches Urteil er fällt, er nicht abschätze kann, was danach mit dem Angeklagten passiert. In diesem Fall ging es um einen heute 19-jährigen Jugendlichen, der im vergangenen Jahr am Amtsgericht verurteilt worden war: zu einem Jahr Jugendstrafe wegen mehrfachen Diebstahl und unerlaubten Drogenbesitz. Das Urteil wurde auf Bewährung ausgesetzt. An seine Auflagen hat sich der Jugendliche aber nie gehalten. Vor Gericht berichtete seine Bewährungshelferin, dass sie ihn jetzt erst zum ersten Mal sehe.

Und dennoch waren sich alle Prozessbeteiligten, von der Staatswaltschaft über Jugendgerichtshilfe bis hin zum Schöffengericht einig: der junge Angeklagte, der von der Polizei ins Gericht aus der Haftanstalt Stadelheim gebracht worden war, ist dort fehl am Platz, er braucht vielmehr Hilfe, um endlich sein Leben "in halbwegs geordnete Bahnen" zu bekommen, um überhaupt eine Chance auf eine Zukunft zu bekommen, wie Amtsrichter Michael Lefkaditis sagte. Sogar sein Verteidiger stellte fest: "Das ist einer der seltenen Fälle, in denen die Verteidigung nichts gegen Aussagen der Staatsanwaltschaft sagen kann."

Welche persönliche Schicksalsschläge der junge Mann schon erleben musste, wollte die Jugendgerichtshilfe nur in nichtöffentlicher Sitzung erörtern, zu sehr könnte eine öffentliche Darlegung den 19-Jährigen weiter in eine Krise stürzen. Bekannt wurde nur, dass er offenbar mit dem neuen Lebensgefährten seiner Mutter in Clinch lag und aus der Wohnung flog. Die Folgen: er wurde obdachlos und war ohne Geld. Bis dahin war er überhaupt nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Nun aber schon. Die Diebstähle, die er daraufhin beging, sind teilweise nur aus der Not heraus zu erklären: ein T-Shirt für knapp 16 Euro, Socken für zehn Euro oder Ware für 5,33 Euro in einem Supermarkt. Nur bei einem Aushilfsjob bei Montagearbeiten erbeutete er aus dem Handschuhfach eines Firmenautos mal mehr als 2000 Euro. Auch die Staatsanwältin sprach von "ziemlich wahllosen Diebstählen".

Nach der Verurteilung im Oktober vergangenem Jahres tauchte der damals obdachlose junge Mann unter, ohne sich um seine Bewährungsauflagen zu kümmern. Nachdem seine Bewährungshelferin ihn nicht erreichen konnte, wurde ein Haftbefehl erlassen. Letztendlich landete er im Gefängnis, wo er bis zur Verhandlung über seine Bewährungsstrafe seit einem Monat ist.

Laut Jugendgerichtshilfe braucht der 19-Jährige eigentlich eine Therapie, auch wegen seiner Depressionen und zur Aufarbeitung seiner Jugend. Ein Platz zum Beispiel im Bezirkskrankenhaus Taufkirchen sei aber auf die Schnelle nicht ohne vorherige Diagnose seiner psychischen Problem zu bekommen. Und dann bleibe die Frage, wo er wohnt, wenn er aus der Haft entlassen werde. Der junge Mann gab zwar an, dass er wieder Kontakt mit seiner Mutter habe, aber konkret, wie es weiter gehen könne, wisse er nicht.

Die Staatsanwältin gab schließlich die Richtung vor. Sie forderte eine Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monate - ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Als Bewährungsauflage sollte ihm neben erneut einem Bewährungshelfer auch ein Betreuer zugewiesen werden und dass er sich um die Aufnahme in eine Therapie bemühe. Auch der Verteidiger des 19-Jährigen plädierte dafür. Sein Mandant brauch keinen weiteren Hafteindruck sondern Hilfe für sein Leben.

Dies meinte auch das Schöffengericht unter Richter Lefkaditis. Eine Freiheitsstrafe gehe am Kernproblem des jungen Mannes vorbei. Deshalb wurde die Jugendhaftstrafe drei Jahre auf Bewährung ausgesetzt, auch wenn man sich dabei "auf dünnem Eis bewege", da das große Problem der Obdachlosigkeit nicht nach der Aufhebung des Haftbefehls behoben sei. Darum müsse sich der Angeklagte mit Hilfe der Jugendgerichtshilfe sofort kümmern. Er solle diesmal die ihm angebotenen Hilfen annehmen, um endlich eine Zukunftschance zu haben und sein Leben in geregeltes Bahnen zu leben. Denn der andere Weg sei vorgezeichnet: er müsse die Haftstrafe antreten. Dorthin will der junge Mann aber nach seiner eigenen Aussage auf keinen Fall wieder.

© SZ vom 23.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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