Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Erding:"Jugendliche Unbekümmertheit"

Als 19-Jähriger hortete er verbotene Fotos und Videos. Vor Gericht kommt er glimpflich davon, doch ein Eintrag ins Führungszeugnis hatte bereits Folgen

Von Gerhard wilhelm, Erding

Viele Menschen haben auf ihrem Handy oder auf dem PC Fotos und Videos gespeichert, teilweise selber aufgenommen, teilweise herunter geladen. Alles kein Problem, wenn die Dateien nicht gegen Gesetze verstoßen. Das ist bei Kinderpornografie, gewaltverherrlichenden Szenen, Snuff-Videos oder bei Symbolen aus der NS-Zeit der Fall. Und davon hatte der gerade 21 Jahre alt gewordene Angeklagte einige in seinem Besitz. Als er sie abspeicherte, war er 19 Jahre alt und entsprach von seiner Entwicklung her noch keinem Erwachsenen, wie die Jugendgerichtshilfe sagte. Deshalb kam bei ihm vor dem Amtsgericht Erding das Jugendstrafrecht zur Anwendungen, das erzieherische Maßnahmen vor Strafe stellt. Amtsrichter Michael Lefkaditis verurteilte ihn zu einem Freizeitarrest verurteilt und stellte ihn unter einjährige Betreuung.

Die Anklageschrift mochte gar kein Ende finden, und man konnte - wenn man den jungen Mann auf der Anklagebank nicht sah - vermuten, dass es sich um einen pädophilen Rechtsradikalen handelt, der zudem masochistisch veranlagt ist. Die Polizei hatte bei einer Hausdurchsuchung auf zwei Smartphones, Computern und externen Festplatten und USB-Sticks unter anderem Videos und Fotos gefunden, auf denen Männer und Frauen sexuelle Handlungen mit Kindern unter 14 Jahren vollziehen, zudem Videos, auf denen Menschen getötet oder grausam malträtiert wurden. Auch Videos, die Selbstmorde zeigen, wurden gefunden und Bilder, die Adolf Hitler verherrlichten oder Hakenkreuze enthalten. Zudem Aufrufe zum Rassenhass.

Alles Dateien, die mehrere Straftatbestände beinhalten. Für die Verbreitung pornografischer Schriften kann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe verhängt werden. Für das Verwenden von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, und mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer "eine Schrift, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt". Soweit das Strafgesetzbuch.

Wäre der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 2019 schon 21 Jahre alt gewesen, hätte es für den jungen Mann böse ausgehen können. Vor Gericht räumte er den Besitz der Dateien voll umfänglich ein. Er habe oft gar nicht mehr gewusst, dass sie noch auf den Geräten seien, sagte der Angeklagte. Er sei zu der Zeit sehr viel alleine gewesen und habe sich in hunderten Chaträumen herumgetrieben. Dabei seien wohl die Dateien heruntergeladen worden. Er habe sie irgendwann löschen wollen, aber bei der Fülle der Dateien und der Speichergeräte den Überblick verloren.

Die Jugendgerichtshilfe sagte, dass der junge Mann "verschiedene Baustellen" in seinem Leben habe. Als Einzelkind mit Migrationshintergrund habe er wenig Freunde gehabt. Sein größtes Manko: er vertraue anderen Leuten sehr schnell und wisse oft nicht, "wo ihm der Kopf steht". "Er weiß nicht wirklich, wer er ist", sagte die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, er müsse noch einige Schritte bis zur Eigenverantwortung gehen. Von einem Erwachsenen sei er noch weit entfernt. Auf seinem Weg benötige er Hilfe, eine Betreuer, der ihm zur Seite stehe, keine Bestrafung.

Dies sah auch der Pflichtverteidiger und die Staatsanwältin. Letztere forderte dennoch neben einer einjährigen Betreuung einen Dauerarrest von vier Wochen, weil die Fülle der Dateien eine hohe kriminelle Energie widerspiegle. Amtsrichter Lefkaditis war näher bei der Jugendgerichtshilfe. Hinter dem Besitz der Videos und Fotos stecke mehr "jugendliche Unbekümmertheit" und keine gravierenden charakterlichen Defizite. Zudem sei der jungen Mann schon anderweitig bestraft: Seine Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt hatte er laut Jugendgerichtshilfe mit sehr guten Noten abgeschlossen. Mitte Oktober ist er dann bei der Stadt Landshut angenommen worden. Wegen dem Verfahren wurde ihm vom Landratsamt der sogenannte kleine Waffenschein entzogen. Obwohl er keinen Eintrag ins Bundesstrafregister hat, reichte dieser Eintrag, und die Stadt kündigte ihm in der Probezeit. Faktisch, so die Jugendgerichtshilfe, komme dieser Eintrag einem Berufsverbot gleich, da er nie mehr einen Job im öffentlichen Dienst bekomme.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2020
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