Amtsgericht Erding:Hilfe zum Leben statt Arrest im Gefängnis

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19-Jährige tritt mit Fuß gegen den Kopf einer früheren Freundin. Richter Michael Lefkaditis folgt dem Vorschlag der Jugendgerichtshilfe und verhängt wegen gefährlicher Körperverletzung 64 Sozialstunden. Abzuleisten in einem Mutter-Kind-Haus, in das sie Aufnahme finden soll

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wenn aus einst besten Freundinnen Feinde werden, kann dies manchmal übel enden. Eine 19-Jährige musste sich nun wegen gefährlicher Körperverletzung am Amtsgericht Erding verantworten. Und obwohl man wegen der schwere der Tat - sie hat gegen den Kopf ihrer Kontrahentin getreten - auch einen Arrest verhängen hätte können, wie Richter Michael Lefkaditis in seiner Urteilsbegründung sagte, verzichtete er darauf. Er, der Staatsanwalt und die Jugendgerichtshilfe waren sich einig, dass die junge Frau keine Strafe brauche, sondern Hilfe. Sie wurde zu 65 Stunden Sozialdienst verurteilt, die sie in einem Mutter-Kind-Haus ableisten kann und in dem sie Aufnahme bekommt. Ohne Einwilligung der Jugendgerichtshilfe darf die jungen Mutter die Einrichtung nicht verlassen. Zudem muss sie mindesten 30 Meter Abstand zu ihrer früheren Freundin einhalten, damit alles nicht wieder eskaliert. Zur Gerichtsverhandlung war die jungen Frau ohne Anwalt erschienen. Sie gestand ein, dass sie am 16. April 2020 zwischen 18 und 19 Uhr in Erding ihre heute 18-jährige Ex-Freundin angegriffen habe. Sie habe sich dafür aber inzwischen entschuldigt bei ihr. Auf die Frage von Richter Lefkaditis, warum es zu der Auseinandersetzung überhaupt gekommen sei, gab sie an, dass es zwischen ihnen beiden schon länger Streit gegeben habe. Dabei spielten mehrere Personen aus dem persönlichen Umfeld ein Rolle. Unter anderem dass der Ex-Freund der Angeklagten inzwischen Freund der Geschlagenen ist. An dem Tag hätte ihre Ex-Freundin wieder über sie gelästert und sie beleidigt und dann habe sie "rot gesehen". Ihre damals dabei gewesene strafunmündige unter 14-jährige Freundin habe die 18-Jährige von hinten an den Haaren gezogen und nachdem diese zu Boden gegangen sei, habe sie sich auf sie gesetzt. Und beide hätten auf sie eingeschlagen. An einen oder mehrere Tritte ihrerseits an den Kopf konnte sie sich nicht mehr erinnern.

Dafür aber die Geschädigte, die vor Gericht als Zeugin aussagte. Ihre Geschichtet lautete ein wenig anders, was den Hintergrund und Auslöser des seit länger schwelenden Streits betrifft. Als sie ihr Kind bekommen habe, habe sie der Angeklagten geholfen wo es nur geht, aber dann habe sich alles gedreht und sie würde sie überall beschimpfen, beleidigen und Unwahrheiten in der "Öffentlichkeit" verbreiten. Wobei sie wohl soziale Medien meinte, da sie Instagram erwähnte. Die 18-Jährige vermutete Eifersucht auf Seiten der Angeklagten. An dem Tag wären sie in Erding aufeinander getroffen und sie sei wieder einmal blöd angeredet worden. Irgendwann hat dann wohl ein Wort das andere geben. Sie sei dann weggegangen und die beiden hinter ihr her, als sie plötzlich von hinten an ihren Haaren gezogen worden sei und sie stürzte. Die Verletzungen, die sie bei der Attacke erlitt, hatte sie mit Handyfotos dokumentiert, die sie dem Amtsrichter und dem Staatsanwalt zeigte. Im ärztlichen Bericht waren keine, der berichtete von zahlreichen Hämatomen und einer Gehirnerschütterung der jungen Frau.

Von einer Versöhnung wisse sie nichts, sagte die Geschädigte. Ein Schreiben ihres Anwaltes, in dem sie ein Schmerzensgeld von 1500 Euro fordert, sei nicht beantwortet worden. Dafür habe die Angeklagte noch lange sie weiter drangsaliert und zu ihr bei einem Aufeinandertreffen gesagt: "Willst Du noch mal am Boden liegen?"

Dass es zu keinem Arrest kam verdankt die junge Mutter der Jugendgerichtshilfe. Was genau sie über die Angeklagte sagte, blieb der Öffentlichkeit vorenthalten, da die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe um Nichtöffentlichkeit gebeten hatte, da Dinge aus dem Leben der jungen Frau berichtet würden, die sehr belastend für die 19-Jährige seien, wenn diese in die Öffentlichkeit kommen. Der Staatsanwalt, der den Bericht bereits kannte, unterstützte den Antrag. In seinem Plädoyer erwähnte er, dass die Angeklagte in ihrem Reifeprozess Hilfe benötige und er dem Vorschlag der Jugendgerichtshilfe folge, dass sie in einem Mutter-Kind-Haus diese Hilfe erfahren soll.

Der Amtsrichter folgte dem zwar auch, hob die Zahl der geforderten Sozialstunden aber von 40 au 64 an. Eine der Tat "angemessen Zahl" wie er meinte. Und damit es erst gar nicht zu einer neuen Auseinandersetzung mit ihrer Ex-Freundin kommen könne, müsse sie von der immer mindesten 30 Meter Abstand einhalten.

© SZ vom 08.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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