Amtsgericht Erding:Hart an der Grenze

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30-Jährige erstattet Anzeige wegen Beleidigung. Gericht sieht Äußerungen "gerade noch" über Meinungsfreiheit abgedeckt

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Was geht noch als freie Meinungsäußerung durch und ab wann wird es eine Beleidigung? Damit musste sich Amtsrichter Andreas Wassermann jüngst in einer Verhandlung auseinandersetzen. Angeklagt war ein 32-Jähriger, der in der Gepäckausgabe im Terminal Süd am Münchner Flughafen eine Mitarbeiterin eines Sicherheitsdienstes beleidigt haben soll. Unter anderem soll er zu der 30-Jährigen gesagt habe, dass er sich von einer Frau gar nichts sagen lasse. Zudem duzte er sie ungefragt und warf ihr mangelndes Selbstbewusstsein vor, als sie einen Landespolizisten um Unterstützung bat. Die 30-Jährige fühlte sich als Frau herabgesetzt und erstattete Anzeige. Letztlich wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage von 200 Euro eingestellt. Die Missbilligung sei hart an der Grenze zur Beleidigung, werde aber noch von der Meinungsfreiheit abgedeckt, sagte Wassermann.

Der Vorfall hatte sich am 28. September vergangenen Jahres abgespielt, nachdem eine Maschine aus Antalya gelandet war. Im Gegensatz zu anderen Flugzeugen seien Maschinen aus der Türkei immer voller, sagte die 30-Jährige vor Gericht aus. Am Gepäckband gehe es deshalb immer sehr zu. Problematisch sei, dass sich in dem Bereich auch das Corona-Testzentrum befindet, durch das jeder Passagier aus einem Risikogebiet müsse, es sei denn, er könne einen aktuellen negativen Test vorweisen. Sie sei von ihrer Firma eingeteilt worden, die Masken- und Abstandspflicht von 1,5 Metern zu kontrollieren - was bei rund 200 Passagieren und nur maximal 50 bis 60 Warteplätzen an der Gepäckausgabe nicht einfach sei. Die meisten Passagiere seien ihren Anweisungen gefolgt, oder hätten sich sogar bedankt, wenn sie ihnen einen Platz zugewiesen habe.

Bis auf einen Passagier, eben den 32-Jährigen. Der sei mit seinem Gepäckwagen so quer gestanden, dass er den Zugang zum Testzentrum blockiert habe. Darauf habe sie ihn "bestimmt, aber höflich und mit etwas erhobener Stimme wegen der Maske" hingewiesen. Seine Antwort: "Ich lass mir doch von einer Frau nicht sagen, wo ich zu stehen habe". Dann habe er seinen Gepäckwagen um sie herum gelenkt. "Ziemlich grob", sagte die Sicherheitsmitarbeiterin in der Verhandlung. Der Wagen habe sie sogar am Fuß leicht berührt. Zudem habe er gesagt, dass sie in seinen Augen eben keine Autorität habe. Sie habe ihm daraufhin gesagt, dass sie dann halt einen männlichen Kollegen holen werde, der dann mehr Autorität habe. Das habe sie ironisch gemeint.

Die Unterstützung kam in Form eines Beamten der Landespolizei, was den Angeklagten zur Aussage verleitet haben soll, ob sei jetzt die Polizei brauchen würde, weil sie sich nicht durchsetzen könne. Dabei habe er sie geduzt. Gegenüber dem Polizeibeamten habe er dann geäußert, dass alles "lächerlich" sei, er lebe in einem freien Land und da dürfe er wohl ja seine Meinung äußern. Die 30-Jährige sah dies aber anders. Die Worte des Angeklagten hätten sie gekränkt, sie habe sich überfahren und als Frau erniedrigt gesehen. "Solche Worte gehen in Deutschland im 21. Jahrhundert gar nicht", meinte sie vor Gericht.

Richter Wassermann sah die Äußerungen im Rahmen des Staat-Bürger-Verhältnisses aber über die Meinungsfreiheit gerade noch abgedeckt. Dem stimmte auch der Staatsanwalt zu. Die Aussagen des Angeklagten, der sich vor Gericht von seiner Rechtsanwältin vertreten ließ, seien aber dennoch zu missbilligen, "daneben" und "unverschämt", sagte der Amtsrichter. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, aber nur gegen eine Geldauflage von 200 Euro. Die muss der Angeklagte dem Frauenhaus Erding überweisen, damit er über sein Verhalten nachdenkt, wie Andreas Wassermann in der Begründung des Urteils sagte.

© SZ vom 23.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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