Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Erding:Hart an der Grenze

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Das Amtsgericht Erding ist überlastet. Nur aufgrund des hohen Einsatzes der Juristen steigt die Verfahrensdauer nicht an.

Matthias Vogel

Das Erdinger Amtsgericht ist immer noch überlastet. Das teilte Direktor Peter Boie während der kürzlich anberaumten Pressekonferenz zur Verabschiedung des langjährigen Richters Winfried Semmer mit. Der Aussage liegen Zahlen aus dem vergangenen Jahr zugrunde. Grund für das Plus an zu verhandelnden Verfahren seien die Flughafennähe und der Bevölkerungszuwachs. Schwierigkeiten, dem Arbeitsumfang gerecht zu werden, gebe es vor allem wegen personeller Umwälzungen. "Von Schwangerschaft über Krankheit bis Pension ist alles dabei", sagte Boie.

Erst im Jahr 2009 waren zwei "Halbtagsrichterinnen" zur Entlastung angestellt worden: Sandra Belling und Ulrike Sporer. Damals war das Amtsgericht zu 40 Prozent überbelastet. Die Erholung währte nur kurz. "Meine Hoffnung, 2010 würde ruhiger und stabiler werden, hat sich nicht erfüllt", sagte der Direktor. "Mittlerweile sind wir schon wieder bei knapp 30 Prozent Überbelastung, der Durchschnitt in Bayern liegt bei 18 Prozent, das ist auch der übliche Wert."

Der Anstieg der Bevölkerung und die Zuständigkeit für Delikte am Münchener Flughafen sorgen nach Aussage Boies für das Plus an Verhandlungen. "Zum Beispiel kommen durch den Airport sämtliche Fälle, die das Reiserecht betreffen, hinzu." Die Zahl der Verhandlungen im Zivilrecht habe ebenfalls stark zugenommen. 2010 gab es 1547 Verfahren, im Jahr zuvor waren es nur 1441. "Ein Richter musste 803 Verhandlungen vorsitzen, im Landesdurchschnitt sind es 642", so Boie. Auch im Familienrecht habe es einen Zuwachs gegeben. 913 Fälle waren zu verhandeln, 2009 waren es 754. Im Strafrecht seien die Zahlen seien zwar stabil geblieben (501 Fälle pro Richter), im Vergleich zum bayerischen Mittel (365) hätten die Erdinger Juristen aber immer noch zu viel zu tun.

Der Mehrarbeit gerecht zu werden, fällt offenbar schwer. Boie sprach von "zweieinhalb" Richtern, die fehlen würden. Dazu kommt ein ständiger Wechsel des Personals. So läuft zum Beispiel die Dienstzeit von Aksel Kramer, der zur Vertretung der längerfristig erkrankten Astrid von Boenninghausen-Budberg vom Oberlandesgericht abgestellt wurde, Ende Juni ab. Für ihn kommt, erneut vom Oberlandesgericht, zum 1. Juli Stefan Priller nach Erding. Das Problem der Nachfolge des in den Ruhestand gehenden Winfried Semmer wird hausintern gelöst: Michael Lifkaditis wird die Rolle des neuen Jugendrichters übernehmen. Die frei werdende Stelle wird vom 21. Juni an durch Andreas Wassermann besetzt. Nicht genug des Stühlerückens, meldete sich kürzlich eine Richterin schwanger. "Im Oktober bekommen wir wenigstens einen Proberichter", sagte Boie.

Zwar sei er dankbar, dass die Präsidien in Landshut und München ihm stets ein Seil zugeworfen hätten, an dem er sich entlang hangeln hat können, sagte der Direktor. "Aber wir bewegen uns trotzdem im oberen Bereich dessen, was bewältigt werden kann." An "zweieinhalb" zusätzliche Richterstellen glaubt Boie nicht: "Das ist unrealistisch. Vielleicht bekommen wir mittelfristig eine Verstärkung, aber das bleibt abzuwarten." Derzeit sei er froh, dass sich die schwierige Situation noch nicht auf die Verfahrensdauer in Erding ausgewirkt hat. "Das ist nur dem sehr hohen Einsatz unserer Richter zu verdanken", sagte Boie.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2011
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