Amtsgericht Erding:Erst Beugehaft führt zur Einsicht

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Ein Zeuge muss zwei Mal in die Zelle im Gerichtsgebäude geführt werden, ehe er den Angeklagten als den Verkäufer von 34 Gramm Marihuana identifiziert. Zuvor schweigt er aus Angst vor den Folgen seines "Verrats"

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Manche Verhandlungen am Amtsgericht Erding könnte auch ein Drehbuchautor geschrieben haben. Als Basisstory eine Anklage wegen Drogenhandels. Dazu dann einen Angeklagten, der nichts sagen will, sowie einen Verteidiger der erst den Antrag stellt, dass Beweismittel aus einer Handyüberwachung nicht gelten dürfen und der Richter Michael Lefkaditis der Befangenheit beschuldigt. Oben drauf noch pauschale Vorwürfe, dass in Bayern die Rechtssprechung bei Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz "anders" sei und ein Zeuge, der erst zweimal während der Verhandlung in Beugehaft genommen wird, ehe er aussagt und den Angeklagten letztlich doch schwer belastet. Im Urteil ist der 27-jährige Angeklagte mit einer Geldstrafe in Höhe von 110 Tagessätzen zu je 45 Euro davon gekommen, da er bisher strafrechtlich nicht einschlägig in Erscheinung getreten war.

Zur Verhandlung standen etwa zwei Jahre alte Vorfälle. Wie einer der ermittelnden Kriminalbeamten berichtete, war der Auslöser ein ganz anderes Verfahren, das erst den Verdacht auf den Angeklagten gelenkt habe. Zunächst habe man nur eine Wohnungsdurchsuchung bei ihm durchführen wollen. Doch die Verdachtsmomente hätten auf ein Geflecht von wechselseitigen Verkäufen und Käufen von Drogen hingewiesen. Deshalb habe man bei der zuständigen Staatsanwaltschaft den Antrag auf Überwachung seiner Telekommunikation, also der Mobiletelefone, gestellt, was vom Gericht auch so bewilligt wurde.

Zu Unrecht, fand der Verteidiger. Denn das Verfahren gegen die zunächst verdächtige Person, von der man den Anfangsverdacht gegen seinen Mandaten habe, sei ja sogar eingestellt worden. Und viel sei wohl bei der Handy-Überwachung nicht heraus gekommen. Also habe kein konkreter Grund bestanden, seinen Mandaten ebenfalls abzuhören: "Es wird zu oft einfach abgehört. Das ist oft völlig überzogen und rechtswidrig." Richter Lefkaditis sah das allerdings ganz anders und wies den Antrag zurück. Mit dem Hinweis: "Die Ablehnung können sie bei einer möglichen Revision gerne zur Sprache bringen."

Der Verteidiger interpretierte das allerdings nicht als Hinweis. Für ihn schien nunmehr klar, dass der Richter seinen Mandanten auf jeden Fall verurteilt wolle. Somit sei er aber befangen. Den schriftlich gestellten Befangenheitsantrag wies Lefkaditis jedoch ebenfalls zurück. Zur Überprüfung wurde eine Richterin am Amtsgericht eingeschaltet - mit dem Ergebnis, dass diese ebenfalls keine Befangenheit sah.

Der Schlüsselmoment des Prozesses war jedoch die Aussage eines an den Drogengeschäften beteiligten Mannes - von dem die Polizei vermutete, dass er die Drogen, die man bei ihm gefunden hatte, kurz vorher beim Angeklagten gekauft hat. Denn zu diesem Zeitpunkt stand er bereits unter Observierung. Dank der Handyüberwachung hatten die Beamten den Hinweis erhalten, dass der Zeuge damals Drogen kaufen will. Er kam dann tatsächlich zum Angeklagten und ging nur wenige Minuten später wieder aus dem Haus. Bei einer Kontrolle wurden 34 Gramm Marihuana in seinem Rucksack entdeckt. Den Kauf gab er offen zu und wurde dafür bereits rechtskräftig verurteilt. Bei seiner Vernehmung wollte er aber nicht den Namen des Verkäufers nennen und beließ es bei Hinweisen auf eine gemeinsame Freundin.

Sein Auftreten vor Gericht als Zeuge war von Anfang an problematisch. Schon beim Eintreten sagte er, dass er nichts zu sagen habe und sich deshalb auch gar nicht erst hinsetzen wolle. Richter Lefkaditis belehrte ihn mehrmals, dass er aussagen müsse. Er könne sich nicht mehr selbst belasten, da sein Verfahren bereits abgeschlossen sei. Deshalb habe er aber kein Zeugnisverweigerungsrecht. Der Zeuge blieb stur und beharrte dennoch darauf, nichts sagen zu wollen. Das alles belaste ihn sehr, er leide unter Depressionen und wolle sich nicht mehr mit der Vergangenheit befassen. Auch als Lefkaditis ihm erklärte, er könne gegen ihn Beugehaft verhängen, half nichts - der Unbeugsame wurde in die Arrestzelle im Gerichtsgebäude abgeführt. Auch der zweiter Versuch kurze Zeit später scheiterte. Erst als der Richter dem Zeugen androhte, dass er bis zur Fortsetzung der Verhandlung am 8. August in Haft sitzen müsse, gab dieser nach. Und erklärte daraufhin, das Marihuana beim Angeklagten gekauft zu haben. Aber er habe vorher aus Angst vor dem 27-Jährigen nichts sagen wollen. Er wisse was mit Verrätern passiere und habe Angst, dass der Angeklagte ihm oder seiner Mutter etwas antue: "Ich weiß, wozu der Typ fähig ist."

© SZ vom 02.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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