Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Erding:Ein schrecklicher Augenblick

Lesezeit: 3 min

Bei einem Unfall stirbt ein 49-jähriger Motorradfahrer noch am Unfallort. Ein 26-jähriger Biker wird wegen fahrlässiger Tötung deshalb zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt - auf Bewährung

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung in zwei Fällen ist am Mittwoch ein 26-Jähriger am Amtsgericht Erding zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Die Strafe wurde für drei Jahre auf Bewährung ausgesetzt, da dem Angeklagten nicht unterstellt wurde, dass er am 8. September 2018 bei Hörlkofen trotz weit überhöhter Geschwindigkeit rücksichtslos mit seinem Motorrad zwei vor ihm fahrende Autos überholen hatte wollen. Den Unfall, den er bei der missglückten Aktion auslöste, kostete einem 49-jährigen Biker aus Hörlkofen das Leben. Weitere Insassen in einem Auto wurden teilweise schwer verletzt. Nach den Zeugenaussagen und dem umfangreichen Bericht eines Sachverständigen kam das Schöffengericht unter Richter Björn Schindler zum Schluss, dass der 26-Jährige damals sowohl die Geschwindigkeiten als auch die Fahrzeugabstände falsch eingeschätzt hatte.

Das Bild, das sich den Rettungskräften und der Polizei nach dem Unfall auf der Staatsstraße 2031 geboten hatte, war erschütternd. Der 49-jährige Motorradfahrer war frontal mit einem Auto zusammengestoßen, auf die Windschutzscheibe geprallt und dann über das Fahrzeug geflogen. Noch an der Unfallstelle starb der Hörlkofener. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass man bei der Unfallaufnahme noch in einem 14 Meter entfernten Baum in bis zu 2,8 Meter Höhe Teile der Fahrzeuge fand. Noch gar nicht bekannt war zu dem Zeitpunkt für die Polizei, welche Rolle der zweite Motorradfahrer, der 26-Jährige bei dem Unfall spielte. Sein Motorrad muss eine ganze Strecke auf der Straße geschlittert sein, er selber war kaum verletzt, saß neben der Straße.

Erst bei den ersten Befragungen stellte es sich heraus, dass der 26-Jährige die zentrale Rolle bei dem fürchterlichen Unfall spielte, die Polizei und vor allem ein Sachverständiger mühsam rekonstruieren mussten, da sich die Situation an der Unfallstelle als "sehr undurchsichtig"erwiesen habe. Erst nach der Auswertung der Fahr- und Unfallspuren sowie der Untersuchung vor allem des am Unfall beteiligten Autos und des Bikes des Angeklagten zeichnete sich ein Bild ab, das der 26-Jährige im Großen und Ganzen vor Gericht bestätigte - trotz einiger Erinnerungslücken.

Demnach war der Angeklagte an dem sonnigen Samstag auf einer Tour in Richtung Erding unterwegs. Bei Hörlkofen fuhren vor ihm zwei Autos mit 80 bis 90 Stundenkilometern. Er setzte zum Überholen an, fuhr am ersten Auto vorbei, als ihm ein Fahrzeug entgegen kam. Zunächst beschleunigte er sein Motorrad auf 156 Stundenkilometer, um wohl am ersten Auto noch vorbei zu ziehen, merkte dann aber wohl, oder glaubte es, dass es nicht klappen werde. Daraufhin leitete er eine Vollbremsung ein, um zwischen beiden Auto einscheren zu können. Dabei kam er zum Sturz, und der Schwung des schlitternden Bikes war so groß, dass das vor ihm fahrende Auto hinten links gerammt wurde. Der Anstoß reichte, damit es auf die Gegenfahrbahn geriet, wo der Hörlkofener in Richtung Heimat unterwegs war. Beide krachten mit rund Tempo 90 ineinander.

Bis heute unbekannt ist, was für ein entgegen kommendes Fahrzeug die Vollbremsung des Angeklagten auslöste. Die Polizei vermutet einen Kleinlaster mit Ladefläche, da bei der Beweissicherung am Unfallauto Fahrzeugteile eines solchen Typs gefunden wurden. Es muss also ebenfalls mit dem sich drehenden Auto kollidiert sein. Aber als die Polizei eintraf, war das Fahrzeug weg. Es hatte auch keiner der Unfallzeugen gesehen. Der Verteidiger des 26-Jährigen stellte die Möglichkeit in den Raum, dass es aus einer Ausfahrt auf die Staatsstraße gefahren sei und der Angeklagte deshalb so überrascht gebremst habe. Eine Möglichkeit, die der Gutachter nicht ausschloss. Und noch eine Sache ist bis heute nicht aufgeklärt: der Autofahrer des Fahrzeugs, das der 26-Jährige schon überholt hatte. Der hatte seine Fahrt einfach fortgesetzt, obwohl er alles gesehen haben muss.

Richter Schindler betonte in seiner Urteilsbegründung die "sehr schwierige und komplizierte" Rekonstruierung des Unfalls mit tragischem Ausgang. Der Angeklagte habe aber ausreichend Sicht gehabt, um das Überholmanöver ansetzen zu können. Es habe sich deshalb vor allem um ein "Augenblicksversagen" gehandelt, nicht aber um eine grobe, rücksichtslose Verkehrsgefährdung. Denn dann hätte es keine Bewährung gegeben.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2019
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