Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Erding:Betrunken Großeinsatz ausgelöst

57-Jähriger gaukelt Ex-Freundin einen Unfall vor. Während Polizei und Feuerwehr ihn suchen, schläft er seinen Rausch aus

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Als der 57-Jährige spät nachts gegen vier Uhr seine Ex-Freundin anrief und ihr vorgaukelte, er habe gerade einen schweren Unfall gehabt und benötige dringend Hilfe, war das eine folgenschwere Schnapsidee. Bei rund 2,1 Promille Alkohol im Blut hatte er sicher nicht viel über sein Tun und die Konsequenzen nachgedacht. Die Ex-Freundin nahm den Anruf allerdings ernst und rief bei der 112 an - was zu einem Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr führte. Sogar ein Hubschrauber flog los, um den vermeintlich mit seinem Auto verunglückten Mann zu finden - der derweil seinen Rausch ausschlief. Wegen Missbrauchs eines Notrufs wurde der Mann nun zu 900 Euro Geldstrafe verurteilt. Außerdem wird er wohl auch die Kosten des Einsatzes zahlen müssen, weitere 6000 bis 7000 Euro.

Der Nikolaustag 2020 wird dem Angeklagten noch lange nachhängen. Der Weilheimer hatte an jedem Tag seinen Bruder in Oberding besucht. Man feierte, spielte Schafkopf und trank etliche Bier und Schnäpse bis gegen drei Uhr früh, wie der 57-Jährige vor Gericht berichtete. Dann legte er sich auf die Couch zum Schlafen hin. Was ihn geritten habe, etwa um vier Uhr, noch immer wach, seine Ex-Freundin anzurufen, wisse er nicht mehr.

Es war nicht nur ein Anruf, der die 45-jährige Frau erst aus dem Schlaf riss und dann in große Sorgen stürzte. Vor dem Amtsgericht schilderte sie, dass sie in wechselseitigen, unterschiedlich langen Telefongesprächen heraus gehört habe, er habe sein Auto "in den Wald geworfen", sein Fuß sei nach dem Unfall eingeklemmt, die Türe lasse sich nicht mehr öffnen und sein Beifahrer bewege sich nicht mehr. Er sei sich nicht einmal sicher, ob jener noch "schnaufe". Dabei habe er gestöhnt, als ob er Schmerzen habe und er habe auch betrunken gewirkt. Nach mehrmaligen Nachfragen habe er gesagt, er sei am Ammersee bei Herrsching.

Die Frau stand auf und weckte einen Freund, der bei ihr in der Wohnung auf der Couch schlief. In dessen Beisein rief sie ihren Ex noch einmal an. Gemeinsam seien sie dann zum Schluss gekommen, den Notruf abzusetzen. "Mit so was macht man keine Scherze", sagte die 45-Jährige, "und ich hab mir schon Sorgen gemacht." Zumal sie ihre Schwester bei einem Unfall verloren hatte. Sie hätte sie ewig Vorwürfe gemacht, wenn tatsächlich etwas passiert wäre.

Der Anruf bei der 112 löste einen Großeinsatz aus: Zehn Einsatzfahrzeuge der Polizei aus Starnberg und Herrsching, Feuerwehren mit mehreren Fahrzeugen und ein Hubschrauber machten sich auf die Suche nach dem Angeklagten, der nun nicht mehr ans Telefon ging. Er schlummerte inzwischen auf der Couch bei seinem Bruder in Oberding, bis es dort um 6.30 Uhr an der Haustüre schellte. Die Polizei hatte ihn per Handyortung gefunden.

Der Verteidiger argumentierte, sein Mandant sei so betrunken gewesen, dass er nicht gewusst habe, was er tat. Zudem hätten die 45-jährigen Ex-Freundin und deren Bekannter falsch reagiert. Die Frau habe gewusst, dass der Angeklagte niemals betrunken mit dem Auto fahren würde. Der Anwalt stellte schließlich sogar die Vermutung in den Raum, dass die Frau vielleicht selbst betrunken gewesen oder Drogen konsumiert habe - ihr Bekannter, der bei ihr zu Gast war, habe jedenfalls einschlägige Vorstrafen. Die Zeugin wies solche Vorwürfe weit von sich.

Richterin Michaela Wawerla riet dem Angeklagten, den Einspruch zurückzuziehen. Zu einem Freispruch würde es niemals kommen und einer Einstellung des Verfahrens würde die Staatsanwaltschaft nicht zustimmen. Der Anwalt beschränkte daraufhin den Einspruch auf die Tagessatzhöhe. Da kam dann sogar die Staatsanwältin dem Angeklagten entgegen, der coronabedingt Schulden hat. Dem Vorschlag, die Tagessatzhöhe von 50 auf 30 Euro zu reduzieren, stimmten alle Beteiligten zu.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2021
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