Amtsgericht Erding:Aussage gegen Aussage

Lesezeit: 3 min

Ein 31-Jähriger soll im August vergangenen Jahres eine Mitbewohnerin bedroht und geschlagen haben. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Gefängnisstrafe. Gericht sieht zu viele Widersprüche und spricht den Mann frei

Von Gerhard Wilhelm, Erding

War es ein Racheakt einer verschmähten Liebe oder wurde die 35-Jährige tatsächlich körperlich vom Angeklagten misshandelt und sogar mit dem Tod bedroht? "Wir wissen die Wahrheit nicht", musste Richter Björn Schindler nach etwas mehr als 90 Minuten Verhandlung und fünf Zeugenaussagen am Amtsgericht Erding als Fazit ziehen. Zu widersprüchlich waren die Aussagen der als Nebenklägerin auftretenden Frau im Zeugenstand gewesen, wie Schindler sagte. Das Schöffengericht unter seinem Vorsitz konnte deshalb nur im Zweifelsfall für den Angeklagten urteilen. Der 31-jährige Hauptbeschuldigte, sowie sein 39-jähriger wegen Beihilfe mitangeklagter Freund wurden deshalb freigesprochen.

Die Anklage, die die Staatsanwaltschaft vorlas, enthielt gravierende Vorwürfe. Danach soll der 31-Jährige, der mit der angeblich Geschädigten, dem 39-Jährigen und noch drei anderen Personen in einer Wohngemeinschaft damals lebte, im August vergangenen Jahres die 35-Jährige verdächtigt haben, ihm 20 000 Euro aus seinem Tresor gestohlen zu haben. Zunächst sei der Tag recht friedlich verlaufen, schilderte die als Hauptzeugin der Staatsanwaltschaft auftretende 35-Jährige. Seit dem Nachmittag habe man mit anderen Freunden gegrillt und es sei getrunken worden. Sie behauptete aber vor Gericht, dass sie höchstens bis zum Zeitpunkt, als sie gegen 24 und 1 Uhr ins Bett gegangen sei, "leicht angeheitert" gewesen sei nach drei bis vier Bier und ein "paar Jackys". Eine frühere Freundin bestätigte vor Gericht, dass sie einiges "vertrage". Zuvor sei sie von dem Angeklagten mehrmals auf der Party in einer kleinen Lagergarage in unmittelbarer Nähe des WG-Hauses gefragt worden, ob sie das Geld genommen habe. Das habe sie verneint. Ein langjähriger Freund, der wegen Beihilfe angeklagte 39-Jährige, sei dann dazwischen gegangen, und habe erklärt, er habe das Geld genommen, worauf sie vom 31-Jährigen aus der Garage geschickt wurde, um nach ihren damals zehnjährigen Sohn zu sehen.

Auf die Frage von Richter Björn Schindler, ob sie das Geständnis ihres Freundes nicht gewundert habe, wusste sie keine Antwort. Doch damit, so die Anklage, war die Sache nicht beendet. Zwischen 6 und 7 Uhr früh soll sie der Angeklagte aus dem Bett geholt haben und in die Garage gebeten haben. Dort habe sie sich auf eine Bierbank setzen müssen und sei mit Ohrfeigen traktiert worden, damit sie gestehe, dass sie die 20 000 Euro gestohlen habe. Sogar mit einem Lötkolben habe er sie bedroht. Er werde ihr ein großes Tattoo ins Gesicht machen. Zudem soll er sie mit einem Messer geritzt haben und nachdem sie endlich zugegeben habe, dass sie tatsächlich das Geld habe, habe er einen Schreckschussrevolver ergriffen und versucht ihn in ihren Mund zu stecken. Dazu habe er ihr gesagt, er werde ihr alles wegnehmen, was ihr wichtig sei.

Die Flucht sei ihr erst gelungen, als ihr 39-jähriger langjähriger Freund von ihm aus der Garage geschickt worden sei. Der habe zuvor mehrmals versucht mäßigend auf den Hauptangeklagten einzuwirken. Er habe sie aber bei ihrem ersten Fluchtversuch an der Schulter wieder auf die Bierbank gedrückt, damit sie sitzen bleibe.

Ob alles genau so abgelaufen ist, konnte indes niemand der anderen Zeugen sagen, da keiner anwesend war. Die beiden Angeklagten wollten keine Aussage machen. Vor allem die Freundin, die sie gegen 10.30 Uhr von der WG abholte, wo sie mit gepacktem Koffer und ihrem Sohn wartete, brachte Zweifel in ihre Aussage. Die Freundin erklärte, dass ihr aufgefallen sei, dass sie je nachdem wem sie die Ereignisse schilderte, verschiedene Uhrzeiten nannte. Zudem habe der Zehnjährige auf ihr Nachfragen geantwortet, er dürfe nur das sagen, was ihm die Mama gesagt habe. Ein paar Tage vor der Grillfeier habe die 35-Jährigen gesagt, dass sie sich an dem Angeklagten schon noch rächen werden, weil er sie abblitzen habe lassen.

Die Verteidigung vermutete, dass sich die Verletzungen durchaus selber zugefügt haben könne. Sie sei an einer Borderline-Störung erkrankt und habe sich nachweislich selber früher mit dem Messer in die Unterarme geritzt. Ein aussagender Polizist erklärte, die Hämatome im Gesicht seien ihm subjektiv schon so vorgekommen, als wäre sie "verprügelt" worden, aber frische Ritzwunden habe er und seine Kollegin bei der Vernehmung Mittags nicht gesehen. Nur altes Narbengewebe.

Die Forderung des Staatsanwaltes, den Hauptangeklagten zu zwei Jahren und vier Monaten Gefängnis zu verurteilen - ohne Bewährung, weil der 31-Jährige unter offener Bewährung stehe - konnten beide Verteidiger nicht nachvollziehen. Es gebe in den Aussagen der Frau zu viele Widersprüche und letztlich stehe Aussage gegen Aussage. Dem musste sich auch das Schöffengericht anschließen und sprach beide Angeklagte frei.

© SZ vom 14.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: