Amtsgericht:Brüchige Waffenruhe

Lesezeit: 2 min

Nachbarschaftsstreit tobt seit 2017. Er soll mit einem Auszug enden

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wenn Blicke töten könnten, würde in so manchem Nachbarschaftsstreit vor Gericht nicht wegen Beleidigung, übler Nachrede oder Nötigung verhandelt werden, sondern wegen Totschlags. Vor Gericht stand ein 62-Jähriger aus Dorfen - eben wegen Beleidigung, übler Nachrede und Nötigung. Als Zeugen waren mehrere seiner Kontrahenten geladen, alles Nachbarn, die weder vor noch nach der Verhandlung ein Wort scheuten, was sie von dem Angeklagten halten und dass der eigentlich ins Gefängnis gehöre. Da die Beschuldigungen wechselseitig waren, was auch diverse gegenseitige Anzeigen belegen, kam Amtsrichterin Michaela Wawerla zum Schluss, das Verfahren erst mal gegen die Zahlung von 300 Euro einzustellen. Verbunden mit der Hoffnung, dass wieder Ruhe in die Straße in Dorfen, wo alle Streitparteien wohnen, einkehrt, wenn der Angeklagte zum 31. Januar weg von dort zieht.

Letztlich wurde von allen geladenen Zeugen nur der 74-jährige Anzeigesteller vor Gericht gehört. Und dies reichte, um den tiefen Graben zwischen den Parteien aufzuzeigen. Diesmal soll der Angeklagte den 74-Jährigen sowie seine Lebensgefährtin spätabends von seinem Balkon herunter beleidigt haben. Dazu kommt noch, dass er wieder behauptet habe, dass der 74-Jährige doch mehrere Jahre in einem ausländischen Gefängnis gesessen habe und seine Lebensgefährtin Steuern hinterzogen habe. Da reichte es dem 74-Jährigen - wieder einmal, und er rief die Polizei. Er wisse auch nicht, weshalb der Angeklagte ihn auf den Kieker habe. Wahrscheinlich, weil er 2017, als er aus dem Ausland zurückkehrte, eine Wohnung in dem Haus bekommen habe, die der Angeklagte wohl gerne gehabt hätte. Kurze Zeit später hätten die Beleidigungen und üblen Nachreden begonnen und er sei auf offener Straße angesprochen worden, wie es denn im Gefängnis gewesen sei. Wo er tatsächlich nie gewesen sei, was ihm auch die Kommune, wo er 25 Jahre gelebt habe bestätigen könnte.

Zweiter aktueller Streitpunkt: ein Parkplatz, von dem der 74-Jährige vor Gericht behauptete, dass er zwar dem Angeklagten früher vermietet gewesen sei, aber seit zwei Jahren nun ihm. Vorher sei ein "alter schrottreifer Anhänger" des Angeklagten gestanden "aus dem schon das Ungeziefer kroch". Der Angeklagte meinte jedoch, dass der Stellplatz immer noch ihm gehöre. Und das demonstrierte er dem 74-Jährigen im Juli 2019 auch und parkte mit seinem Auto das Fahrzeug des Mannes von 11.20 Uhr bis zum Abend zu. "Ich habe ihn mehrmals aufgefordert, sein Auto wegzufahren, weil ich zwei Termine in München hatte, aber er hat mich nur beleidigt", sagte der 74-Jährige aus. Einen gültigen Mietvertrag hatten beide nicht zur Verhandlung gebracht, aber den Vermieter extra noch in einer weiteren Verhandlung aussagen zu lassen, sah die Amtsrichter nicht ein, da es egal sei, wem der Stellplatz gehöre. Das bewusste Verhindern, dass der andere weg fahren kann, bleibe eine Nötigung. Und dass sich beide Parteien wechselseitig der Lüge bezichtigen, war während der ganzen Verhandlung zu sehen. Selbst als der 74-Jährige schon als Zeuge entlassen worden war und im Zuhörerbereich Platz nahm, war von ihm immer wieder der Ausruf "Lügner!" zu hören, wenn sein Kontrahent auf der Anklagebank etwas sagte.

"Irgendwie müssen wir eine Lösung finden", sagte schließlich der Anwalt des Angeklagten und regte ein Gespräch mit der Richterin und der Staatsanwaltschaft im Nebenzimmer an - welches durchaus stellenweise lauter geführt wurde. Ergebnis: Verfahrenseinstellung. Verbunden mit der Hoffnung, dass bis zum Auszug des Angeklagten an der Front sozusagen Waffenruhe herrscht. Daran glauben tut aber wohl keiner der geladenen Zeugen.

© SZ vom 05.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: