Viele Deutsche wissen nicht, dass neben der Fußball-EM der Frauen in England in diesem Sommer auch die American-Football-WM der Frauen in Finnland stattgefunden hat. Fußball ist in Deutschland eben ein Volkssport, American Football nicht. Auf der anderen Seite gibt es mehr als 50 American-Football-Vereine bayernweit, mehr als 70.000 Menschen sind in Deutschland Vereinsmitglieder. Vor etwas mehr als zehn Jahren waren es noch halb so viele. Einer der ersten Football-Vereine in Deutschland kommt aus Erding. Ein Blick in die gut 40-jährige Geschichte der Erding Bulls zeigt, dass sich die Sportart in der Stadt aus dem Schattendasein befreit und zu einem festen Bestandteil der lokalen Sportlandschaft entwickelt hat.
Johann "Hans" Eicher hat dabei nahezu die gesamte Geschichte der Bulls miterlebt und geprägt. Kurz nach Gründung der ersten Mannschaft im Jahr 1980, ein Jahr nach Gründung der Football-Bundesliga, schloss er sich dem Team an und blieb seitdem im Verein.
32 Jahre lang war Johann Eicher Spieler, zeitweise auch Spielertrainer. Danach machte er als Trainer weiter, war Vorstand, Sportlicher Leiter und vieles mehr bei den Bulls. So ziemlich jede Aufgabe im Verein habe er bereits wahrgenommen, sagt er. Aktuell ist er als Technischer Leiter für die Koordination des Spielbetriebs und der Spieltage zuständig. Zudem unterstützt er die derzeitigen Trainer in der Ausbildung und bei Regel-Fragen und hilft neuen Spielern beim Einstieg in die Mannschaft. Ferner ist er als Schiedsrichter und im deutschen American-Football-Verband tätig. Eicher bezeichnet seine Fülle an Aufgaben als "ehrenamtlichen Vollzeitjob".
1980 habe die erste Mannschaft noch zur Hälfte aus Mitgliedern des Motorradvereins und zur anderen Hälfte aus Mitgliedern des Karatevereins bestanden, erinnert sich Eicher. "Ein Sportverein entsteht mit ein paar verrückten Idealisten", konstatiert er. Zudem hätten US-Amerikaner aus der Kaserne Augsburg das Team verstärkt und gecoacht. Gegen viele Vorurteile und Ablehnung hätten sie damals kämpfen müssen. Zum Beispiel sei ihnen vorgeworfen worden, dass die Footballer den anderen Sportlern den Rasen kaputt machen würden. Heute sei das anders. Laut Eicher herrscht "viel gegenseitige Unterstützung mit den benachbarten Vereinen".
Jeder ist "herzlichst willkommen"
Neben der Außenwahrnehmung hat sich auch der Sport an sich verändert. "Früher hat man die Kontakte schon noch gespürt", erinnert sich Eicher. Heute sei die Ausrüstung allerdings erheblich besser. Das Verletzungsrisiko gleiche dem anderer Lauf- und Ballsportarten. Vor dem Gegnerkontakt werde man schließlich geschützt.
Ein weiteres Vorurteil, gegen das der Sport häufig ankämpfen muss, ist jenes, dass es beim Football hauptsächlich auf die Kraft und nicht die Taktik ankomme. Dem widerspricht Eicher jedoch vehement: "Football ist wie Schach mit Menschen." Wie beim Schach gebe es unterschiedliche Figuren oder eben Spieler, die man in die richtige Formation bringen müsse, um auf die Züge des Gegners richtig zu reagieren. Aus diesem Grund könne auch "jeder, der sportliche Grundvoraussetzungen hat", Football spielen. Im Gegensatz zu anderen Sportarten sei weder das Alter noch das Gewicht ein strenges Ausschlusskriterium. Er selbst habe mit 52 Jahren noch Football gespielt und für Personen mit mehr Gewicht sei Football "optimal". Dies sei auch ein Grund, warum manche Sportler mit anderen Sportarten aufhören und zu Football wechseln würden. Die Hälfte der Spieler in Erding sind Quereinsteiger aus anderen Sportarten.
In Erding wachsen "sportliche Riesentalente" heran
Der Rest der Spieler kommt aus dem Jugendbereich, auf den die Bulls sehr stolz sind. Beispielsweise hat die U13 im Flag-Football, einer weniger körperbetonten Variante für die Jugend, den ersten Platz ihrer Gruppe erreicht und sich somit für die bayerische Meisterschaft qualifiziert. Das Meisterschaftsturnier wurde anschließend in Erding ausgetragen und die Gastgeber erreichten den dritten Platz. Wegen der erfolgreichen Jugendarbeit komme es häufig vor, dass höherklassige Vereine den Bulls Leistungsträger abwerben. Beispielsweise hat der derzeitige Headcoach Timm Fiege bei den Erding Bulls begonnen, ist als Spieler zu den Munich Cowboys in die erste Liga gewechselt und als Trainer wieder nach Erding zurückgekehrt.
Ein Mädchenteam gibt es bei den Bulls bisher nicht, stattdessen sind die Mannschaften gemischt. Eine Spielerin habe zum Beispiel die U13 als Quarterback, eine der zentralsten Positionen im Football, mit zum Erfolg geführt. Die Senioren der Bulls spielen in der Regionalliga, der dritthöchsten von sechs Ligen in Deutschland. In der vergangenen Saison hätten die Bulls zwar "überall gut mitspielen können", doch "Pech bei Spielen" gehabt, resümiert Eicher, sodass sie am Ende Tabellenletzter waren. Ob sie absteigen müssen, steht unter anderem wegen einer Ligenreform noch nicht hundertprozentig fest. Die Teammoral hat laut Eicher aber so oder so nicht gelitten.
Die Erdinger setzen stärker als andere Vereine auf Spieler aus der Umgebung. Andere Klubs hätten mehrere sehr gute Spieler aus Amerika, die man fast nicht stoppen könne, meint Eicher. Zwar spielen auch bei den Bulls seit der vergangenen Saison drei US-Amerikaner mit, aber keine fünf oder sechs wie bei manchem Konkurrenten. Amerikanischen Spielern bieten auch die Bulls große Unterstützung bei der Wohnungs- oder Jobsuche in Deutschland an.
"Der Spieltag bei uns ist wie in Amerika"
Zwar sind in Deutschland andere Sportarten in Bezug auf die Mitgliederanzahl - diese ist beim Fußball etwa um ein Hundertfaches höher, beim Basketball um ein Dreifaches - deutlich beliebter, doch ist Football in Erding besonders zuschauerträchtig. Laut Eicher kommen 150 bis gut 1000 Zuschauer zu den Spielen der Bulls, je nach Gegner und Wetterlage. Sein Ziel sei es, dass "nicht nur das Spiel, sondern auch das Drumherum" interessant wirke. Er möchte den Spieltag "wie in Amerika" gestalten, das heißt mit Catering, Cheerleadern, Stadionsprechern und Musik. "Football ist Sport, aber auch Unterhaltung, Show und ein Familienevent."
Wegen der Corona-Pandemie hätten jedoch manche Spiele nicht stattfinden können. Ein Drittel der Spieler habe man verloren, bedauert Eicher. Insbesondere aus dem Jugendbereich seien zu wenige zu den Männern hochgekommen, manche seien auch zu Vereinen aus den obersten zwei Ligen gewechselt, da Training und Spielbetrieb dort stattfinden konnten, sagt Eicher. Bei den Bulls konnten sie zwischendurch nur in Kleingruppen zu fünft oder gar nicht trainieren. Bei einem Mannschaftssport sei das natürlich suboptimal. Johann Eichers Ziel ist es, "die Jungs wieder regelmäßig auf den Sportplatz zu bringen". Dafür brauche es allerdings "noch viel mehr ehrenamtliches Engagement". Mit Blick auf die Football-WM der Männer in Deutschland 2023 spekuliert er: "Wenn die Medien aufspringen, hast du mehr Sponsoren, und mit mehr Sponsoren kann man mehr aufbauen." Zudem findet ein Spiel der US-Profiliga NFL zwischen den Seattle Seahawks und den Tampa Bay Buccaneers mit Superstar Tom Brady am 13. November in der Fußball-Arena des FC Bayern statt. Auch das könnte dem Football hierzulande Aufschwung geben. Eicher würde es sogar nicht wundern, wenn auch der FC Bayern irgendwann eine Football-Mannschaft gründen würde.
Interessierte können von Ende September an freitags um 19 Uhr bei den Erding Bulls ein erstes Training absolvieren und die Mannschaft kennenlernen.