Agenturchefin Weber: "Es kommt immer auf den Blickwinkel an":Mühselige Nachwuchssuche

Lesezeit: 2 min

Für die Auszubildenden ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt nahezu paradiesisch. Deutlich negativer fällt die Bilanz der Betriebe aus. Sie klagen über einen spürbaren Fachkräfte- und Lehrlingsmangel

Von Petra Schnirch, Freising/Erding

Sie werde immer wieder auf die "paradiesischen" Zustände in ihrem Bezirk angesprochen, sagte Karin Weber, Chefin der Arbeitsagentur Freising, am Donnerstag bei einem Pressegespräch. Sie selbst würde das Wort so nicht in den Mund nehmen. "Es kommt immer auf den Blickwinkel an." Für die Auszubildenden ist die Situation tatsächlich ausgesprochen gut. Ganze 30 Bewerber waren gemeldet, die in den vier Landkreisen Dachau, Ebersberg, Erding und Freising bis Ende September keinen Ausbildungsplatz gefunden hatten. Dem standen 517 unbesetzte Stellen gegenüber.

Im Landkreis Erding waren lediglich sechs junge Leute noch unversorgt, fünf weniger als vor einem Jahr. Insgesamt 777 Bewerber hatten sich innerhalb des Berufsberatungsjahres bei der Arbeitsagentur gemeldet. Die Zahl der Angebote lag bei 744, das waren 24 weniger als ein Jahr zuvor. Unbesetzt blieben bis Ende September 124 Plätze. Viele Offerten gab es im Einzelhandel. Chancen haben aber auch noch die jungen Leute, die bisher nichts gefunden haben oder die mit ihrer ersten Wahl unzufrieden sind: Bis Weihnachten könnten sie problemlos eine Ausbildung beginnen, sagte Weber.

Deutlich negativer fällt die Bilanz auf Seiten der Betriebe aus. Sowohl im Handwerk als auch im Handel gibt es einen deutlichen Fachkräfte- und Azubi-Mangel. Seit acht Jahren sei die Jugendarbeitslosigkeit in der Region besiegt, konstatierte der Erdinger Kreishandwerksmeister Rudolf Waxenberger. Auch durch Flüchtlinge lasse sich dieses Problem für die Betriebe vorerst nicht lösen, sagte sein Freisinger Kollege Martin Reiter. Lediglich 24 lernen im Landkreis Freising derzeit einen Handwerksberuf, bei insgesamt 827 Ausbildungsverhältnissen. Das Bauwesen, das sich bei der Suche nach Lehrlingen seit Jahren besonders schwer tut, sei in ihren Herkunftsländern meist nicht sehr angesehen. Hoch im Kurs steht bei jungen Männern der Kfz-Mechatroniker mit 50 Ausbildungsverträgen im Landkreis Freising.

Kritisch ist auch die Lage im Handel. "Es ist mühselig", bilanzierte Florian Kaiser von der IHK München und Oberbayern. Der Trend zu weiterführenden Schulen und zum Studium sei ungebrochen. Im Landkreis Erding gab es 275 Neu-Abschlüsse, das sind elf Prozent weniger als vor einem Jahr. Mit Kampagnen versuche man, der dualen Ausbildung wieder einen größeren Stellenwert zu verschaffen. "Wir hoffen, das Rad drehen zu können." Eine Zielgruppe seien Studienabbrecher.

Die Berufsschule zog ebenfalls Bilanz: Das Berufsschulzentrum Freising besuchen derzeit 2539 Schüler. Dort werden in speziellen Klassen auch 120 Jugendliche ohne Lehrstelle unterrichtet. Sie kommen zum Teil aus schwierigen Verhältnissen und gelten als noch nicht geeignet für eine Ausbildung. "Viele brauchen einfach ihre Zeit", sagte Christine Höfler als Vertreterin des Berufsschulzentrums. Sie empfahl, einmal genau hinzuschauen, warum vor allem Jungs in diesen Klassen sitzen. Sie frage sich, was da in den Schulen passiert. "Wird man den Jungs nicht gerecht?".

In Erding sei die Zahl der Berufsschüler mit 2400 relativ konstant, sagte Markus Atzmüller von der Berufsschule Erding. Er bestätigt, dass der Männeranteil in den Klassen für Jugendliche ohne Ausbildung hoch ist. Er hat beobachtet, dass das Textverständnis und die Mathematikkenntnisse der Jugendlichen - nicht nur mit Migrationshintergrund - "oft erschreckend" seien. Weber erwiderte: Die Agentur könne hier unterstützen, "wenn uns das bekannt wird".

Für Flüchtlinge gab es im Februar 2017 an der Berufsschule Erding 13 Klassen, davon zwei Außenklassen in Kirchseeon und zwei in Markt Schwaben. Nächste Jahr werden es etwas weniger sein. Als positives Beispiel nannte Atzmüller zwei Eriteer, die "ihren deutschen Mitschülern zeigen, was Ehrgeiz heißt". Karin Weber betonte, dass die Arbeitsagentur sich bemühe, auch junge Leute in schwierigen Situationen zu unterstützen. "Unsere Devise ist: Kein Jugendlicher darf verloren gehen." Ein Beispiel ist das Modell der "assistierten Ausbildung". Die Azubis erhalten Nachhilfe und sozialpädagogische Betreuung. 60 junge Leute im Agenturbezirk nutzen dieses Angebot Etwa 20 Plätze sind laut Harald Brandmaier, Leiter der Berufsberatung, noch frei. "Das ist ein gutes Instrument", die Jugendlichen würden gefordert.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: