Ärztlicher Bereitschaftsdienst:Allzeit bereit

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Der ärztliche Bereitschaftsdienst wurde bayernweit reformiert - und manch ein Arzt kann sich mit den neuen Regeln gar nicht anfreunden. Plötzlich wird der Radiologe zum Hausarzt.

Von Mathias Weber, Erding

Die Vorstellung mutet ein wenig skurril an: Die Psychologin, die seit Jahrzehnten kein Blut mehr gesehen hat, oder der Pathologe, der gar keine lebenden Patienten mehr sieht - diese Mediziner sollen nun wieder ganz alltäglichen, allgemeinmedizinischen Dienst schieben; und zwar während des Bereitschaftsdienst, der am Wochenende für akute Fälle auch im Landkreis Erding zu Verfügung steht. Eine Idee, die nicht nur auf Gegenliebe stößt.

Dieser Bereitschaftsdienst wird von der Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) organisiert, der Landkreis Erding ist in vier Bereitschaftsgebiete eingeteilt. Wer zum Beispiel an einem Sonntag Magenprobleme hat, oder an einem Feiertag eine Grippe, der kann zu seinem jeweiligen diensthabenden Bereitschaftsarzt gehen. Bisher waren es hauptsächlich Allgemeinärzte in Erding, die den Bereitschaftsdienst stellen. Aber dieses System war offenbar nicht länger aufrecht zu erhalten.

Denn einerseits gibt es - auch im Landkreis Erding - immer weniger niedergelassene Hausärzte, und andererseits immer mehr Patienten; das merken zum Beispiel auch die Notaufnahmen der Krankenhäuser. Auch in die des Erdinger Klinikums kommen immer mehr Menschen, die mit ihren Problemen bei einem Allgemeinarzt besser aufgehoben wären, und die Notaufnahme so belasten. Vor zwei Jahren hat die KVB daher das Bereitschaftssystem einer Reform unterzogen, neue Gebietsgrenzen gezogen (siehe Kasten) und vor allem eine sehr umstrittene Neuerung eingeführt: Nun sollen alle KVB-Ärzte Bereitschaftsdienste übernehmen, auch die, die bisher nicht ran mussten. Denn eigentlich verpflichtet sich jeder Arzt zum Bereitschaftsdienst, wenn er Mitglied der Vereinigung wird. Um die 21 000 sind das in ganz Bayern. Und manche Fachgruppen waren bisher vom Dienst befreit: Neurochirurgen etwa, Humangenetiker, Psychiater, Nuklearmediziner und Radiologen. Sie alle verfügen über eine vollständige medizinische Ausbildung, haben zwölf Semester studiert und das Zweite Staatsexamen abgelegt. "Das sorgt für Unruhe unter den Kollegen", sagt Ärztin Susanne Schober über die Pläne der KVB, die nach einer Übergangsfrist nun zum 20. April voll greifen. Schober, die im Vorstand des Ärztlichen Kreisverbandes sitzt, führt in Wartenberg eine Praxis und übernimmt seit Jahrzehnten Bereitschaftsdienste. "Das kann anstrengend werden", sagt sie, fünf Tage die Woche in der eigenen Praxis, dann Bereitschaft, einmal alle drei Wochen. "Da ging schon viel Lebenszeit drauf", sagt Schober.

Nach der Reform gibt es nun größere Bereitschaftsgebiete, das bedeutet auch, dass mehr Ärzte für die Dienste zur Verfügung stehen - und insgesamt weniger Bereitschaft machen müssen. Die Ärzte, die bisher außen vor waren, nun aber eingezogen werden, freut das verständlicherweise nicht. Sie sagen hinter vorgehaltener Hand, dass sie die Idee, möglicherweise nach Jahrzehnten wieder allgemeinärztlich zu arbeiten, für abwegig halten. Auch Ärztin Schober muss zu einem gewissen Grad zustimmen: "Stellen Sie sich vor, Sie haben 15 Jahre lang psychotherapeutisch gearbeitet, und müssen nun plötzlich wieder Allgemeinmediziner sein." Schön sei das nicht - weder für den Arzt, noch für den Patienten.

Dass am Ende aber der Pathologe die Mandeln abfühlt, dazu muss es nicht kommen. "Man wird das vernünftig regeln", sagt Ärztin Schober. So wurde zum Beispiel ein Vertreterpool eingeführt, in dem Ärzte, die sich nicht befähigt fühlen, Bereitschaftsdienst zu machen, Vertretungen finden. Zudem hat die KVR auch Ärzte angeschrieben, die nicht in dem Verband Mitglied sind und sie gefragt, ob sie sich einen freiwilligen Dienst in der Bereitschaft vorstellen könnten. Auch glaubt Schober, dass es andere Mediziner gibt, die freiwillig einen zusätzlichen Dienst übernehmen könnten, ältere Kollegen beispielsweise, die nicht mehr aktiv behandeln, oder Frauen in Elternzeit. Am Ende werde man Lösungen finden, glaubt Schober, auch wenn in Zukunft der ein oder andere Arzt den ein oder anderen Bereitschaftsdienst wird übernehmen müssen - widerwillig.

© SZ vom 07.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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