Süddeutsche Zeitung

A94 bei Dorfen:"Die totale Katastrophe"

Seit der Eröffnung der Isentalautobahn leben die Menschen in den vielen Einöden, Weilern und kleinen Ortschaften entlang der Autobahn im Dauerlärm. Der Verkehr dröhnt beständig zu ihren Häusern und Gärten rüber. Die Betroffenen fordern mehr Lärmschutz und Tempolimits

Von Florian Tempel, Dorfen

Früher war das hier ein Ausflugsziel. Man ging in der schönen Landschaft spazieren, hörte Vogelgezwitscher, das sanfte Plätschern der Lappach und kehrte dann gemütlich im Gasthaus Stiller ein. Jetzt ist es hier "der reine Horror, die totale Katastrophe", sagt Maria Numberger. Sie und ihr Mann Martin haben neu gebaut, "mit dem Besten, was es an Schallschutz gibt". Lindum ist ihre Heimat, sie wollen hier nicht weg. Aber aus ihrem Haus traut sich Maria Numberger nur noch, wenn der Berufsverkehr auf der A 94 vorbei ist. Vor- und Nachmittags "gehen wir nicht mehr raus", sagt sie. Sie hat Angst um die Gesundheit ihres kleinen Sohns Vinzenz. Der Lärm, der von der nur 90 Meter weit entfernten Autobahn rüber dröhnt und den sie mit ihrem eigenen Messgerät immer wieder misst, "ist für einen Erwachsenen schon unhaltbar, für ein Kind ist das nichts anderes als Körperverletzung."

"Lärmschutz hat bei uns keine Lobby", sagt Gerhard Steger, es sei schon immer schlecht darum bestellt gewesen. Die vor bald 30 Jahren eingeführte Verkehrslärmschutzverordnung, habe letztlich nur einen wesentlichen Sinn: "Sie soll das Straßenbauen billig machen."

Steger ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Lärmimmissionsschutz, 40 Jahre lang hat er sich als Inhaber eines Ingenieurbüros für Lärmschutzberatung beruflich mit dem Thema befasst. Bei den Prozessen am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof war er für die Kläger gegen die A 94 als Gutachter dabei. Er hat es genau so vorausberechnet, wie es nun eingetreten ist. Das Gericht hat das nie interessiert.

Steger ist der Einladung "der alten Crew" gefolgt, wie Heiner Müller-Ermann sagt. Die Aktionsgemeinschaft gegen die Isentalautobahn und der Bund Naturschutz (BN) sind doch wieder im Einsatz, obwohl mit der Eröffnung der A 94 eigentlich Schluss sein sollte. Müller-Ermann und Rita Rott, die Dorfener BN-Vorsitzende, haben den Pressetermin bei den Numbergers organisiert.

Ein gutes Dutzend Autobahnanwohner sind da, um zu berichten, wie es ihnen seit dem 1. Oktober geht, seit der Verkehr über die Isentalautobahn rollt. Alois Bachmaier lebt in Watzling, nicht so nah an der Autobahn wie die Numbergers. Doch "am Tag der Eröffnung bin auch ich in ein tiefes Loch gefallen". Er hätte nicht gedacht, dass es so laut wird. So geht es allen, die gekommen sind. Bachmaier mag nicht mehr draußen auf der Terrasse sitzen, geschweige denn jemanden zu sich in den Garten einladen. Er mache sich "keine Illusionen", dass höhere Lärmschutzwände die Situation verbessern könnten. Er setzt seine ganze Hoffnung auf ein Tempolimit.

Lämschutzfachmann Steger bestätigt, dass das etwas bringen würde. Es wäre die einfachste und effektivste Maßnahme. Sonst kann Steger wenig Trost spenden oder Hoffnung machen. Der Lärm, den die Anwohner als unerträglich empfinden, sei noch lange nicht das, was "gesetzlich zulässig" sei. Martin Geilhufe, Landesbeauftragter des Bund Naturschutz, weist auf eine erst kürzlich vertane Chance hin. Der Bundestag hat sich mit großer Mehrheit gegen ein grundsätzliches Tempolimit auf allen Autobahnen ausgesprochen, obwohl laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung dafür wäre. Im Fall der Isentalautobahn werde sich der Bund Naturschutz aber dennoch an den Bundes- und den Landesverkehrsminister wenden, um sich für Tempolimits und weiteren Lärmschutz auf der A 94 einzusetzen.

Sabine Koch wohnt in Kloster Moosen, sie ist keine direkte Autobahnanwohnerin. Aber sie sei schon mehrmals um vier Uhr aus dem Schlaf geschreckt worden, weil ein Raser auf der dann wenig befahrenen A 94 seinen Wagen mit maximaler Lautstärke durch die Nacht jagt.

Die einen machen sich eine Spaß und geben Gas, Kastulus Grundner kann hingegen nicht mehr die Zeitung im Garten lesen. Er und seine Frau wohnen in Sichtweite der Lappachtalbrücke. Der Krach, der beständig auf sie einprasselt, raubt ihm die Konzentration, "ich muss zum Lesen ins Haus gehen." Isolde Freundl wohnt auf der anderen Seite der Autobahnbrücke, die bei jedem zweiten Lastwagen scheppert und klappert. Das schlimmste aber sei, "dass wir den Lärm von zwei Seiten abkriegen". Egal, aus welcher Richtung der Wind wehe. Es sei frustrierend und schrecklich, sagt sie: "Du weißt, es ist nicht nur heute oder morgen so - das geht weiter für den Rest unseres Lebens."

Otto Heilmaier wohnt in Oberhausmehring. Das war mal eine nette Wohngegend, jetzt ist es "ein Bermudadreieck": Unten im Tal rumpeln Güterzüge über die eingleisige Bahnstrecke, am Ostrand der Siedlung führt die Bundesstraße B 15 vorbei und im Süden nun die Isentalautobahn. Als Heilmaier sagt, "wie müssen uns vehement für mehr Lärmschutz und Tempolimits einsetzen", donnert ein Flugzeug über die Köpfe der Lärmgeplagten. Es gibt nicht viel Aussicht dem Lärm zu entkommen, sagt Angelika Berger: "Entweder du erschießt dich oder du ziehst weg - aber beides sehe ich nicht ein." Sie hat Unterschriften gesammelt. In Oberhausmehring hätten fast alle unterschrieben, auch die Autobahnbefürworter. Wie so viele hatten auch diese "ein gewisses Rauschen erwarten, aber nicht dieses Dauerdröhnen", das alle und jeden beschallt.

Der Staat muss Geld für Lärmschutz rausrücken, da sind sich alle einig. Heiner Müller-Ermann erinnert an die 100 Millionen Euro, die die Vertreter der Autobahndirektion an einem der Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof schnell mal locker machten. Wenn es zum Schutz von 150 Schwindkirchener Fledermäusen nötig sein sollte, würden man die A 94 auf vier Kilometer "einhausen", versicherten die Autobahnbauer damals. Die Zusage, dafür 100 Millionen ausgeben zu dürfen, hatte sie sich im Handumdrehen mit einem Anruf im Verkehrsministerium geholt.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2019
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