100 Jahr-Feier:Jubiläum im Reformationsjahr

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Am 18. November 1917 wurde in Dorfen ein evangelischer Verein gegründet

Von Florian Tempel, Dorfen

500 Jahre Reformation, das haben alle im ganzen Land. Für die evangelische Gemeinde in Dorfen ist 2017 aber ein doppeltes Jubiläumsjahr. Vor exakt 100 Jahren, am 18. November 1917, kamen im Gasthaus "Eigner Bot" am Bahnweg Protestanten zusammen, um den "Evangelischen Verein Dorfen" zu gründen. Das Protokoll der Versammlung ist erhalten und findet sich auszugsweise in der Festschrift, die zum Jubiläum vor 25 Jahren verfasst und herausgegeben wurde. Demnach ging, wie Jürgen Weithas schreibt, die Initiative damals vom Dorfener Uhrmachermeister Georg Niedermayer aus, der denn auch gleich erster Vorsitzender des Vereins wurde. Offiziell kam die Einladung jedoch vom evangelisch-lutherischen Pfarramt Feldkirchen, eine der ältesten evangelischen Gemeinden in Oberbayern, die 1917 bereits seit 80 Jahren existierte. Der damalige Feldkirchener Pfarrer Karl Crämer hatte schon zuvor in Erding den Aufbau der evangelischen Gemeinde unterstützt und im Oktober 1900 im Erdinger Rathaus den ersten evangelischen Gottesdienst abgehalten.

Die Gründungsversammlung in Dorfen war gut vorbereitet. "Einstimmig und freudig wurde dem Vorschlag auf Einführung von Gottesdiensten zugestimmt, nachdem der anwesende Vikar Krauss von Burghausen sich bereit erklärt hatte, jährlich sechs Gottesdienste in Dorfen abzuhalten", heißt es im Protokoll. Vikar Ferdinant Krauss versprach, "an solchen Sonntagnachmittag zu kommen, an denen er vormittags in Mühldorf predigt".

Aus einem weiteren Protokoll, dem der ersten ordentlichen Mitgliderversammlung ein Jahr später, erfährt man, dass "der Verein am 9. Januar 1918 unter Nummer 12 im Vereinsregister des königlichen Amtsgerichts Dorfen eingetragen wurde, die Mitgliederzahl sich auf 24 erhöhte, die evangelische Gemeinde von Dorfen und Umgebung circa 60 Seelen umfasst". Weiter ist zu lesen, dass der Magistrat des Marktes Dorfen Gottesdienste im Sitzungssaal des Rathauses genehmigt hat. Pfarrer Crämer hat den Saal begutachtet und auch angesichts der sechs alte Rathaus-Ölgemälde mit biblischen Motiven "ohne weiteres als würdigen Betsaal" befunden. Der erste Gottesdienst findet schließlich am 10. Februar statt.

Das Gemeindezentrum und die Versöhnungskirche in der Dorfener Innenstadt, vor der Renovierung des Gemeindezentrums. (Foto: Thomas Bitterle)

Uhrmachermeister Georg Niedermayer schreibt als Vereinsvorsitzender an Pfarrer Crämer: "Der Besuch (34 Glaubensgenossen) war für das erste Mal zufriedenstellend, der Rathaussaal eignete sich wirklich gut, die Predigt des Herrn Vikar Krauss war überwältigend und zu Herzen gehend." Im ersten Jahr seines Bestehens sammelt der Verein fleißig Spenden. Da der Kirchengesang große Bedeutung hat, ist eine erste größere Anschaffung ein "schönes Harmonium" für 630 Mark. Kerzenleuchter, Bänke und ein Pult bekommen die Dorfener von den evangelischen Gemeinden Miesbach und Neuburg im Wald geschenkt.

In den kommenden Jahren bemüht sich die Vereinsführung ein Grundstück für den Bau einer Kirche zu erwerben. Als aber von 1922 an die Dorfener Protestanten von Geistlichen der Erdinger Kirchengemeinde betreut werden, treten die Gründungsvorstände 1924 enttäuscht zurück. Aus ihrem Traum einer eigenständigen Dorfener Gemeinde wird nichts und der evangelische Verein verliert mehr und mehr an Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Dorfener der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Taufkirchen zugeordnet. Der evangelische Verein wird 1959 von Amtswegen aufgelöst, weil er keine Mitglieder mehr hat. Ihre Gottesdienste feiern die Dorfener Protestanten mittlerweile in der eigentlich katholischen Pestkapelle St. Sebastian. Die Evangelischen haben im Gegenzug für die Renovierung und den Erhalt der kleinen Kirche zu sorgen.

Der Pelikan, das Wappentier des 1554 in Dorfen geborenen Pfarrers Christoph Vogel. (Foto: Thomas Bitterle/OH)

Erst 1981 kann man in der Dorfener Innenstadt das alte Volksbankgebäude, das noch früher eine Bäckerei war, erwerben und zum Gemeindezentrum umbauen. Zwölf Jahre später beginnt der Bau der Versöhnungskirche unmittelbar neben dem Gemeindezentrum. Die Architekten Franz Lichtblau und Ludwig Bauer, die zahlreiche evangelische Kirchen in Bayern geplant und entworfen haben, sind auch in Dorfen tätig. Ende November 1994 wird die Kirche eingeweiht.

Der Kirchenmaler Hubert Distler hat mit seinen bunten Glasfenstern die Versöhnungskirche besonders geprägt. Auch ein auf den ersten Blick rätselhafter Holzschnitt an der Brüstung der Orgelempore stammt von ihm. Er zeigt einen Pelikan, der sich mit dem Schnabel in die eigene Brust sticht. In der Antike glaubte man, dass ein Pelikan seine Jungen mit Blut füttert. Aus diesem Grund wurde das Bild zu einem Christus -Symbol. Mit Dorfen hat es jedoch noch eine besondere Verbindung: Der sich selbst opfernde Pelikan findet sich im Wappen des 1554 in Dorfen geborenen evangelischen Pfarrers und Kartografen Christoph Vogel.

In St. Sebastian fanden nach dem Zweiten Weltkrieg viele Jahre lang evangelische Gottesdienste statt. (Foto: Stephan Goerlich)

Ein intellektueller Höhepunkt der Dorfener Festwoche zum 100. Jubiläum war der Vortrag von Professor Tim Lorentzen am vergangenen Samstag. Lorentzen, der an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel Kirchengeschichte lehrt, legte dar, dass der Protestantismus in Dorfen eine weitaus längere Geschichte als 100 Jahre hat, was sich auch, aber nicht nur in der Person Christoph Vogel festmacht. Lorentzens Ausführungen verbanden das lokale Dorfener Jubiläum in eindrucksvoller Weise mit dem Reformationsjahr.

In Bayern wandte sich die Herzöge Anfang des 16. Jahrhundert zwar nach anfänglicher Zurückhaltung gegen die Reformation. Doch ganz offensichtlich fand die Reformation in der Bevölkerung trotzdem großen Anklang. Im Raum Dorfen lässt sich dieser Aspekt sogar besonders deutlich erkennen und belegen. Die nahe Reichsgrafschaft Haag gehörte nicht zum Herzogtum Bayern, sondern war ein eigenständiges Territorium, auch Sankt Wolfgang und Schwindkirchen gehörten damals zu Haag. Ladislaus von Fraunberg, der Herrscher des kleinen Landes, heiratete im Jahr 1541 die Protestantin Marie von Baden-Sponheim. Deren Vater bestand darauf, dass ein evangelischer Hofprediger in Haag angestellt wurde. Ladislaus war der neue Lehre dann selbst schnell zugetan. Die Taufen in Deutsch, aber auch das Abendmahl "in beiderlei Gestalt", dass also jeder auch den Kelch gereicht bekommt, kam in der Bevölkerung sehr gut an.

Das ehemalige Gasthaus "Eigner Bot" am Bahnweg. (Foto: oh)

Ladislaus holte protestantische Prediger in seinen Kleinstaat. Ein gewisser Veit Gilger muss wohl ein begnadetes Redetalent besessen haben. Einmal zu Ostern sollen 3000 Menschen nach Sankt Wolfgang gewandert sein, um ihn zu hören. Diese Menschen kamen auch von jenseits der Grafschaft Haag, aus den nahe gelegenen herzoglichen Gebieten, aus Dorfen, Lengdorf, Inning oder Eschlbach. Hervorragende Belege dafür hat Anton Gandl in einem Beitrag zum Lengdorfer Heimatbuch gebracht: Er fand alte Berichte, in denen es zum Beispiel heißt, gewisse Bauern hätten in Lengdorf für ihre Kinder die Taufe auf Deutsch verlangt und als ihnen der katholische Pfarrer das verwehrte, seien sie mit ihren Neugeborenen nach St. Wolfgang gegangen, wo das möglich war. Es gibt zudem Zählungen, laut denen Hunderte und Tausende aus den eigentlich katholischen Gebieten regelmäßig in der Grafschaft Haag in die Kirche gingen.

Dem evangelischen Christoph Vogel, Bürger von Dorfen und Vater des bereits erwähnten Christoph Vogel, der für den Grafen Ladislaus arbeitete, erging es allerdings schlecht. Er wurde 1560 gefangen genommen, in München verhört und gefoltert. Nach drei Monaten Haft ging er ins Exil, sein Sohn sollte später in der Oberpfalz, im Fürstentum Pfalz-Neuburg, Karriere machen. Die Grafschaft Haag wird nach dem Tod von Ladislaus, der 1566 kinderlos stirbt, vom Herzogtum Bayern einkassiert und rekatholisiert. Es dauert lange, bis wieder evangelischen Leben in dieser Gegend möglich ist.

Ein Familiengottesdienst aus dem Sommer 2017. (Foto: Thomas Bitterle)

Samstag, 18. November, Erinnerungsgang um 16 Uhr vom ehemaligen Gasthaus "Eigner Bot", Bahnweg 11, über St. Sebastian zur Versöhnungskirche. Sonntag, 19. November, um 10.15 Uhr Festgottesdienst mit Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, anschließend Stehempfang mit Fotodokumentation, Kaffee und Kuchenbuffet.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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