Süddeutsche Zeitung

Entwicklungsprojekt:Von Peiting nach Mwanza

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Fan-Aufstand, Korruption, 30 Stunden dauernde Busfahrten zu Auswärtsspielen und manchmal mittags nichts zu essen: Martin Grelics, bislang Fußballtrainer bei einem Bezirksligisten, coacht jetzt Toto Africans, Aufsteiger in Tansanias erster Liga

Interview von Gerhard Fischer

Martin Grelics, 29, war vor ein paar Monaten noch Trainer beim Bezirksligisten TSV Peiting. Seit Anfang August ist der Münchner nun Trainer eines Fußball-Erstligisten. Der Verein heißt Toto African SC, er ist in der Stadt Mwanza in Tansania zuhause. Grelics, der die A-Lizenz für Fußball-Trainer besitzt und als Sportlehrer gearbeitet hat, kam über das Entwicklungsprojekt "Fels" nach Mwanza. Er will bis Mai 2016 dort bleiben.

Herr Grelics, wie geht es Ihnen inTansania?

Martin Grelics: Gut. Zeit, mich in Ruhe einzuleben, hatte ich aber nicht. Ich kam am 3. August in Mwanza an, wurde von einem Vorstandsmitglied am Flughafen abgeholt und direkt ins Stadion gebracht. Dort trainierten bereits 35 Fußballer, die alle in den endgültigen Kader kommen wollten. Wir haben diesen dann zwei Tage später ausgewählt. Es gab viele Diskussionen mit Vorständen und sogar einen Fan-Aufstand.

Was war das Beste, das Sie bisher in Tansania erlebt haben?

Der schönste Moment war das Tor von unserem Flügelspieler Sheva im ersten Ligaspiel gegen Mwadui FC. Wir haben eine junge Mannschaft, nur wenige haben Erstliga-Erfahrung. Dementsprechend nervös begannen wir die Partie. In der zweiten Halbzeit bekam Mwadui einen fragwürdigen Handelfmeter, der zum Glück verschossen wurde. In der 91. Minute traf Sheva zum 1:0 und alle Dämme brachen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Alle lagen sich in den Armen. Es war ein Traumstart in die Saison. Und ausgerechnet Sheva hatte das Tor erzielt.

Warum sagen Sie: ausgerechnet Sheva?

Während des Warm-ups bekam ich die Info, er sei wegen ausstehender Transfergelder nicht spielberechtigt. Kurz vor dem Anpfiff hieß es dann, er dürfe doch spielen. Ich erfuhr dann, was dahintersteckte: Der gegnerische Trainer hatte Sheva bei einem anderen Club trainiert, wusste wohl um seine Stärke und wollte einen Einsatz verhindern. Korruption ist in Tansania an der Tagesordnung, im Fußball und anderswo. Das war ein gutes Beispiel. Schön nur, dass nicht alles käuflich ist. Und Sheva diesen Versuch mit seinem Tor zerstört hat.

Was war das Schlechteste, das Sie bisher erlebt haben?

Über die ganzen Wochen hinweg war es sehr anstrengend, mit der Vorstandschaft und dem Management zu arbeiten. Es ist unvorstellbar, wie unstrukturiert der Verein geführt wird. Zum Teil konnten wir nicht trainieren, weil die Mannschaft mittags nichts zu essen bekommen hatte. Sportlich sind wir auf einem guten Weg. Aber wenn die Spieler ihr Geld nicht pünktlich bekommen, kann die Stimmung schnell kippen.

Womit müssen die Spieler noch zurecht kommen?

Die Mannschaft nimmt für Auswärtsspiele bis zu 30 Stunden Busfahrt auf sich. Mein Co-Trainer Lukas und ich gönnen uns den Luxus, zumindest bis zur größten Stadt, nach Daressalaam, zu fliegen und dann mit dem Bus weiterzufahren. Aber das sind auch manchmal bis zu 15 Stunden.

Wie hoch ist das Niveau in TansaniasErster Liga?

Es ist nicht einfach, einen Vergleich zu deutschen Spielklassen zu ziehen. Ich würde sagen, dass man das Niveau mit dem der Dritten Liga in Deutschland vergleichen kann. Einigen Spielern würde ich zutrauen, in der Bundesliga zu spielen. Wir haben in Mwanza den zweitbesten Platz des Landes, aber jeder Platz eines Kreisligisten in Deutschland ist besser.

Ist es gefährlich in Tansania?

Es lauern schon mehr Gefahren als in Deutschland. Es fehlt mir ein wenig, nachts einfach mal alleine durch die Straßen zu gehen. Das sollte man hier nicht machen. Als Weißer, als sogenannter Muzungu, hat man aus Sicht der Einheimischen immer viel Geld. Da ich aber mit Volunteers in einem Haus wohne, kommt es sowieso selten vor, dass ich irgendwo alleine bin.

Wie ist es mit Krankheiten?

In Mwanza wohne ich in einem Malaria- Risikogebiet. Ich benutze täglich mein No-Bite-Spray. Geschlafen wird nur unterm Moskitonetz. Vor zwei Wochen hatte ich Amöbenruhr, wahrscheinlich ausgelöst durch Eiswürfel. Das war natürlich fahrlässig von mir. Aber man lernt ja nie aus. Vor all diesen Dingen habe ich aber keine Angst. Ansonsten hätte ich nach zwei Tagen wieder heimfliegen können.

Welche Aufgaben haben Sie sich selbst gestellt für dieses Jahr in Tansania?

In erster Linie bin ich hier, um meinen Job als Fußballtrainer auszuüben. Das bedeutet, die Klasse zu halten. Wir sind Aufsteiger und haben mit Abstand den geringsten Etat der Liga. Auch ich werde mich hier weiterentwickeln, weil ich zum ersten Mal einen Erstligisten trainiere. Ich erhoffe mir dadurch natürlich auch eine Aufmerksamkeit der deutschen Vereine. Mein Plan ist, Mitte Mai 2016 wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Und in zweiter Linie?

Es war schon immer ein Wunsch von mir, längere Zeit im Ausland zu verbringen, dort aber auch etwas entwickeln zu können. Hier kann ich Job und Reisen sehr gut verbinden. Ich werde alleine durch unsere 15 Auswärtsspiele das ganze Land kennenlernen. Außerdem kann man mehr in eine Kultur eintauchen, wenn man mit den Einheimischen zusammenarbeitet. Es prallen zwei Kulturen aufeinander. Beide können viel voneinander lernen. Zum Beispiel fehlt es den Tansaniern oft an Struktur. Andersrum würde den Deutschen ein Tick tansanischer Gelassenheit gut tun.

Wie ist die politische Lage in Tansania? Im Oktober finden ja Wahlen statt.

Seit ich in Tansania angekommen bin, dreht sich sehr viel um die Wahl am 25. Oktober. Wir werden an diesem Wochenende kein Spiel haben. Da herrscht Ausnahmezustand. Die Medien berichten täglich viel darüber. Wahlplakate hängen an allen vorstellbaren Orten. Selbst auf Autos und Motorrädern wird alles mit Schriftzügen plakatiert. Von den Einheimischen weiß ich, dass viele sehr interessiert sind und auch zur Wahl gehen werden. Natürlich werden da auch Stimmen von den Parteien gekauft. Es gibt zwei große Parteien. CCM ist die Partei, die bei uns im Verein regiert. Die Vereinsfarben sind dieselben wie die der Partei. Alle Vorstände des Vereins sind auch Mitglieder der CCM. Im Stadion wurden letzte Woche Wahlplakate angebracht. Wie überall auf der Welt wird der Fußball auch hier für politische Zwecke benutzt.

Die Armut in Tansania ist weiterhin groß . . .

Ja, ich habe schon sehr viel Armut hier gesehen. Es ist ein absolutes Entwicklungsland.

Schwule, Lesben und andere Minderheiten werden verfolgt. Vor einigen Jahren sollen 50 Menschen mit Albinismus auf dem Land ermordet worden sein.

Wir haben mit der Mannschaft ein Albinoheim besucht. Es gibt dort bestimmt noch Verbesserungsmöglichkeiten. Die Umstände im Heim waren nicht sehr gut.

Wie ist das Image der Deutschen in Tansania?

Es gibt viele soziale Projekte im Land mit deutscher Unterstützung. Dadurch haben die meisten ein gutes Bild von Deutschland. Als Deutscher in Sachen Fußball hat man ein sehr hohes Ansehen. Auch hier hat man erkannt, dass sich der deutsche Fußball gut entwickelt hat - auch wenn viele immer noch denken, ein deutscher Trainer würde extrem körperbezogen spielen lassen, wie in den achtziger und neunziger Jahren. Wenn ich nach meiner Herkunft gefragt werde, reagieren fast alle positiv auf meine Antwort. Fast immer kommt dann zurück: ah . . . Germany . . . Bayern Munich. Manchmal auch der gleiche Satz mit Borussia Dortmund. Viel mehr Wissen über Deutschland habe ich hier aber noch nicht gehört.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2015
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