Entwicklung der Ultras:Zwischen Toleranz und Gewalt

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Fankoordinator Michael Gabriel über die Entwicklung der Ultra-Szene in Deutschland.

Interview von Philipp Jakob, München

Über zwei Jahrzehnte Erfahrung kann Michael Gabriel im Umgang mit jungen Menschen aus der Fanszene Deutschlands vorweisen. Der Diplom-Sportwissenschaftler ist seit 1996 für die von Bund und DFB finanzierte Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) tätig, die er seit 2006 leitet. Der 53-Jährige erarbeitet mit seinem Team Konzepte für die soziale Arbeit mit Fußballfans, unter anderem in den Bereichen der Gewaltprävention oder der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Zudem berät Gabriel die aktuell 57 Fanprojekte in Deutschland.

SZ: Sind Ultras Fluch oder Segen für die deutsche Fanszene?

Michael Gabriel: Das kommt auf die Perspektive an. Von der Polizei werden Sie eine andere Antwort bekommen als vom Verein. Wieder eine andere Antwort bekommen Sie, wenn Sie jemanden aus der Fanszene selbst fragen. Unbestreitbar ist, dass die Ultras einen ganz großen Anteil an der Gestaltung der Atmosphäre in den Stadien haben, sie sind die aktivsten Fans.

Wer genau sind denn die Ultras?

Sie setzen sich zum großen Teil aus jungen Menschen zusammen, die im Kern zwischen 14 und 26 Jahre alt sind. Es ist eine relativ vielschichtige Gruppe mit einem im Vergleich zu früheren Fankulturen höheren Bildungsgrad. Damals waren die Fankulturen stärker proletarisch orientiert.

Den Ultras wird oft vorgeworfen, die eigenen Interessen über die des Vereins zu stellen. Stimmt das?

Die Frage ist, was beeinflusst die Entwicklungen der Fankulturen. Das findet ja nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern hängt auch mit der Entwicklung im Fußball insgesamt zusammen. Die Identifikationspotenziale, die der Fußball bietet, werden immer geringer, Stichwort ist zum Beispiel die hohe Fluktuation der Spieler. Also haben Fans begonnen, sich stärker mit sich selbst zu beschäftigen.

Mit dieser Entwicklung einher geht auch die Kommerzialisierung im Fußball. Das große Feindbild der Ultras?

Die Fanszene sieht sich aus ihrer Perspektive zwei ganz großen negativen Entwicklungen ausgesetzt. Das eine ist die Kommerzialisierung, der Fernsehzuschauer ist für die Vereine ökonomisch bedeutender als der Stadionbesucher. Denn über die TV-Vermarktung wird viel mehr Geld eingenommen. Die andere Entwicklung, die von der Ultra-Seite als bedrohlich wahrgenommen wird, ist der polizeiliche Umgang mit ihnen.

Einerseits kritisieren sie die Ordnungskräfte für übertriebene Härte, andererseits kommt es zwischen Ultra-Gruppieren immer wieder zu Gewalttaten.

Zu behaupten, es gebe kein Problem mit Gewalt innerhalb der Ultraszene, wäre falsch. Wir beobachten in den letzten Jahren eine gewisse Dynamik, dass zunehmend gezielt Möglichkeiten gesucht werden, andere Gruppen anzugreifen. Es gibt in Teilen sogar Hooligan-typische Verhaltensweisen. Aber in diesem Kontext ist es auch immer wichtig darauf hinzuweisen, dass wir hier nur von Teilen der Ultraszene sprechen.

Andere Teile engagieren sich dagegen in sozialen Projekten oder kämpfen gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

Das ist einer der großen Verdienste - nicht nur, aber auch - vieler Ultraszenen: Heute haben wir in den Fankurven eine ungemein große Zahl von jungen Menschen, die sich gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus und gegen Antisemitismus engagieren. Im Vergleich zu den Achtzigerjahren haben wir heute eine Fankultur, die viel offener und toleranter ist als damals.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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