Süddeutsche Zeitung

Energiewirtschaft:Die Strampel-Offensive

Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft rüstet Lastenfahrräder von Handwerkern und Dienstleistern in München mit GPS-Geräten aus. So soll der Einsatz der Fahrzeuge wissenschaftlich dokumentiert werden

Von Marco Völklein

Eckehard Siebert stellt den jungen Wissenschaftler ganz schön auf die Probe. Ist das GPS-Gerät auch staubdicht, darf es nass werden, kann es auch mal im Schlamm landen? Das alles will der Maurermeister aus Haidhausen wissen. "Ich komme halt von der rauen Seite", sagt Siebert. Tatsächlich ist er seit gut einem Jahr mit seinem Lastenfahrrad fast täglich unterwegs auf Baustellen in der ganzen Stadt. Zimperlich darf man da nicht sein. Und das Material muss etwas aushalten. "Alle halbe Jahre", sagt Siebert, "brauche ich ein neues Handy".

Nun allerdings soll Siebert auf seinen Touren einen GPS-Empfänger mit sich führen. Sebastian Fischhaber von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FFE) in der Fasanerie will auf diese Weise aufzeichnen, welche Strecken der Maurermeister per Lastenrad zurücklegt. Wie viel Zeit er dafür benötigt. Und wie oft und wie lange er den Akku auflädt, der den kleinen Elektromotor an Sieberts Lastenradl speist. Das Problem ist nur: Mit Sieberts Anforderungen, mit Schlamm, Dreck und all dem Staub auf den Baustellen hat der Wissenschaftler Fischhaber schlicht nicht gerechnet. Nun suchen beide nach einer Lösung. Am Ende, darauf einigen sich Lastenrad-Proband Siebert und Forschungsleiter Fischhaber, wird alles in Plastikfolie verpackt. Das klappt schon. Irgendwie.

Der Maurermeister ist Teil eines Forschungsprojektes der Stadt. Vor gut einem Jahr hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft (RAW) etwa einem Dutzend Firmeninhabern, Geschäftsleuten und Unternehmern die Chance ermöglicht, zu relativ günstigen Konditionen ein Lastenfahrrad anzuschaffen. Die Hoffnung der Stadt: Mit den Transportfahrrädern lassen sich vielleicht einige Autofahrten ersetzen, die Unternehmer zwangsläufig machen müssen, um die Belastung der Umwelt zu reduzieren. Die Teilnehmer kommen "aus verschiedensten Branchen", wie Projektleiter Roland Hösl vom RAW sagt. Und sie sind über die ganze Stadt verteilt. In der Riemer Messestadt zum Beispiel liefert ein Getränkehändler per Lastenvelo Biertragerl und Limo-Kästen aus. In Obermenzing fährt ein ortsansässiger Metzger damit mittags das Essen in Kitas und Schulen. Eine kleine Druckerei auf der Schwanthalerhöhe nutzt ein Lastenrad ebenso wie ein Obsthändler vom Viktualienmarkt. "Wir haben unterschiedliche Nutzer", sagt Hösl, "das macht das Projekt so spannend."

An Fischhaber liegt es nun, das Ganze wissenschaftlich zu evaluieren. Mitte der Woche stattete der Forscher die ersten Probanden mit GPS-Geräten aus. Etwa 30 Tage soll jeder Projektteilnehmer im Juni oder im Juli seine Fahrten aufzeichnen; im Herbst wird es eine zweite Runde geben - um auch das Nutzungsverhalten in Schlechtwetterphasen abzuklären. Anhand der Daten wollen Fischhaber und seine Forscherkollegen unter anderem ermitteln, wie viel CO₂ eingespart wurde; aber auch, wie viel zeitlicher Mehraufwand mit dem Lastenradeinsatz verbunden ist. Mit einem "Vollkostenvergleich" soll Fischhaber zudem prüfen, um wie viel günstiger die Lastenradnutzer unterwegs sind als Unternehmer, die weiter aufs Auto setzen. Und per Befragungen soll am Ende noch ermittelt werden, wie praktikabel die Lastenräder im täglichen Einsatz sind - "und ob sich damit das ein oder andere Auto ersetzen lässt", wie Projektleiter Hösl ergänzt.

Wer sich jetzt schon bei den Teilnehmern umhört, der erhält fast nur positive Reaktionen. Maurermeister Siebert zum Beispiel kann bis zu 70 Kilo auf sein Elektro-Lastenrad laden; damit fährt er auch mal mehrere Säcke Sand, Kies oder Zement zu einer Baustelle. Die Suche nach einem Parkplatz? "Kein Problem mehr", sagt Siebert. Im Gegenteil: Besonders in Altbauvierteln stellt er sein Transportrad ganz gerne direkt vor dem Haus ab, in dem er gerade zu tun hat: "Wenn man so viel schleppen muss wie ich, ist jeder Meter weniger eine Erlösung."

Ähnlich geht es Wolfgang Drabe aus Sendling. Er arbeitet als Bildhauer und Stuckateur, zudem betreut er als Hausmeister eine Wohnanlage mit 170 Wohnungen. Drabe sagt, selbst im Winter erledige er mittlerweile einen Großteil der Fahrten mit seinem Transportfahrrad - und dass, obwohl er auf einen unterstützenden Elektromotor verzichtet hat. Ein Auto hat er zwar noch: "Einen VW-Bus, der vorher sowohl geschäftlich wie auch privat genutzt wurde". Inzwischen, sagt Drabe, "verschiebt sich das mehr und mehr in Richtung private Nutzung".

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Quelle:
SZ vom 13.06.2015
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