Energiewende:Raus aus der Steinkohle - ohne Rücksicht auf die Mitarbeiter

Energiewende: Die Mitarbeiter des Heizkraftwerkes Nord fühlen sich in der Debatte um den Bürgerentscheid zur Steinkohle vernachlässigt.

Die Mitarbeiter des Heizkraftwerkes Nord fühlen sich in der Debatte um den Bürgerentscheid zur Steinkohle vernachlässigt.

(Foto: Robert Haas)
  • Der Bürgerentscheid vom November trifft 200 Beschäftigte des Heizkraftwerks München-Nord.
  • Wie lange es ihre Arbeitsplätze noch geben wird, ist unklar.
  • Viele bewerben sich deshalb weg - für die Stadtwerke ist es nicht leicht, qualifizierten Ersatz zu finden.

Von Dominik Hutter

Den Abend des 5. November hat Thorsten Taebel vor dem Bildschirm verbracht. Immer in der Hoffnung, dass die Auszählung doch noch einen guten Ausgang nimmt. Gut hätte für Taebel geheißen: Nein zur Abschaltung des Kohlekraftwerks - oder aber das Quorum wird verfehlt. Es kam anders, und der Schichtmeister musste zur Kenntnis nehmen, dass seine Dienste nicht länger erwünscht sind. 118 731 Münchner stimmten mit Ja, 78 000 waren anderer Meinung, und gut 900 000 hat das Ganze gar nicht erst interessiert. Motivierend ist das nicht, sagt Taebel. Schichtdienste zu nachtschlafener Zeit, Silvester und Heiligabend mit Kollegen statt bei der Familie - alles, damit in den Wohnungen der Münchner die Lichter nicht ausgehen. "Und dann bekommst du so einen vor den Latz geknallt."

Die Stimmung ist nicht gut auf dem Werksgelände im Münchner Norden. Seit jenem 5. November, als ein Bürgerentscheid die vorzeitige Abschaltung des Kohleblocks bis Ende 2022 verfügte. Dass in der Anlage auch Menschen arbeiten, hat in der Debatte nie eine Rolle gespielt. 200 sind es, die sich um die Anlage kümmern. Den Kohleblock betreiben, warten und reparieren. 110 davon haben ihren Arbeitsplatz direkt auf dem Werksgelände, der Rest rückt an, wenn es etwas zu erledigen gilt. Sie alle wurden schlicht ignoriert.

Während in Nordrhein-Westfalen und an anderen Kohle-Standorten die Arbeitsplatzfrage im Mittelpunkt steht, haben sich in München nicht einmal die Befürworter eines Weiterbetriebs mit diesem Aspekt befasst. Das schmerzt und frustriert. Viele Mitarbeiter sind deshalb nicht gut auf die Rathauspolitik zu sprechen. Speziell natürlich auf diejenigen, die den Münchner Alleingang beim Kohleausstieg forciert haben: die Grünen, die anfangs noch an der Sinnhaftigkeit einer solchen Aktion gezweifelt haben, letztlich aber umgekippt seien. Und die ÖDP, über die sich etwa der Betriebsrat Alexander Parasidis maßlos geärgert hat.

Der Anlagenfahrer ist überzeugt, dass der Bürgerentscheid in erster Linie ein symbolischer Akt war. "Die wollten ein Zeichen setzen. Und wir sind jetzt die, die das ausbaden müssen." Was da im Münchner Norden stünde, sei eine "Top-Anlage", sagt auch der Anlagentagschichtmeister Torsten Kirchner. Kraft-Wärme-Kopplung, moderne Abluftfiltersysteme, eine Energieeffizienz, von der deutlich größere Braunkohleschleudern wie im brandenburgischen Jänschwalde nur träumen könnten. Die aber dürften am Netz bleiben - während der Münchner Anlage, die in bundesweiten Kohleausstiegsszenarien als eine der letzten abgeschaltet werden sollte, der Garaus gemacht wird. Mit Blick auf die geringe Beteiligung am Bürgerentscheid sagt Parasidis: "Hier hat eine Minderheit ein Riesenproblem geschaffen."

Die Stadtwerke, der Betreiber der Anlage, haben die Stilllegungsanzeige bereits an die Bundesnetzagentur geschickt. Allerdings gilt es als eher unwahrscheinlich, dass die Behörde der Abschaltung auch zustimmt. Zumindest bis Ende 2022. Der Meiler könnte als systemrelevant eingestuft werden. 2022 geht auch das Atomkraftwerk Isar 2 vom Netz, und ob bis dahin die großen Stromleitungen für Öko-Energie aus dem Norden fertig sind, ist mehr als ungewiss.

Eine erste Einschätzung ist laut Bundesnetzagentur frühestens im Sommer zu erwarten. Möglicherweise aber auch später, es sind ja noch ein paar Jahre Zeit. Die Mitarbeiter des Kohleblocks beruhigt diese Aussicht nicht. Sie sehen ihren Arbeitsplatz akut gefährdet, sich selbst als Betreiber einer angeblichen Dreckschleuder diffamiert.

Welcher Auszubildende will schon in ein Kraftwerk mit Verfallsdatum

Auch für die Stadtwerke ist die Hängepartie ein Problem. Denn so lange nicht klar ist, ob der Kohleblock stillgelegt wird, muss das kommunale Unternehmen Parallelplanungen organisieren. Für die Stilllegung und den Weiterbetrieb. Das ist schon aktuell nicht mehr so einfach, berichtet Christoph Bieniek, der Leiter der Strom- und Wärmeerzeugung. Denn welcher Auszubildende und welcher junge Ingenieur will schon in ein Kraftwerk mit bevorstehendem Verfallsdatum.

Zusätzlich nutzen natürlich die vorhandenen Mitarbeiter jede sich bietende Gelegenheit für einen Arbeitsplatzwechsel. Und müssen dann ersetzt werden. Vor diesem Hintergrund dürfte es in den kommenden Jahren immer schwieriger werden, die Anlage am Laufen zu halten. Irgendwann, wenn die Probleme immer größer werden, könnten vielleicht auch die Stadtwerke kapitulieren. Und dann eben von sich aus die Stilllegung für 2025 oder ein bisschen später beantragen.

Eigentlich wollten die Mitarbeiter mit der Anlage in den Ruhestand gehen

Dass der Kohleblock noch bis 2027 oder 2029 läuft, wie vor dem Bürgerentscheid im Rathaus geplant, glaubt in Unterföhring keiner mehr. Systemrelevanz hin oder her. Viele Mitarbeiter sind seit der Inbetriebnahme des Meilers Anfang der Neunzigerjahre dabei. Ihr Traum, einfach mit der Anlage gemeinsam in den Ruhestand zu gehen, ist perdu.

Zwar versichert Geschäftsführer Braun, dass sich die Stadtwerke darum bemühen, die Kollegen an anderer Stelle unterzubringen. Einfach aber ist das nicht. Der Betrieb eines Kohlekraftwerks ist eine komplexe Angelegenheit, die Mitarbeiter haben in langen Jahren eine Spezialausbildung erhalten. In einem Gaskraftwerk geht es völlig anders zu, zudem werden dort viel weniger Leute benötigt.

Kohle, klar, gilt nicht gerade als Zukunftstechnologie. Das wissen sie auch in Unterföhring. Damit hätte man leben können, sagt der Datenverarbeitungsadministrator Christian Kraus. Ein geordneter Kohleausstieg auf Bundesebene - und schon wäre ausreichend Zeit auch für die persönliche Lebensplanung gewesen. Aber dann kam der 5. November.

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