Süddeutsche Zeitung

Keine Alternativen zu Ammoniak:Stadtwerke befürchten Engpässe bei der Müllverbrennung

Das Heizkraftwerk Nord ist ein wichtiger Lieferant der Münchner Fernwärme. Zur Abgasreinigung wird Ammoniakwasser benötigt, das eng mit der Produktion von Erdgas verbunden ist. Doch beides wird immer knapper.

Von Anita Naujokat

Zirka 2700 Tonnen Müll werden Tag für Tag in den Blöcken 1 und 3 des 1964 errichteten Heizkraftwerks Nord bei mehr als 850 Grad Celsius verbrannt. Zwischen 230 und 480 Anlieferungen landen täglich vor den Toren an. Die Zahlen variierten je nach Wochen-, Jahres- oder Ferienzeit, teilt der Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM) auf Anfrage mit. Doch jetzt steht dem Heizkraftwerk womöglich ein Mangel bei einem wichtigen Katalysatorstoff ins Haus: bei Ammoniakwasser, einem Nebenprodukt der Erdgas-Produktion.

Es geht um große Mengen: 312 382 Tonnen Müll stammten 2021 aus Münchner Haushalten, dazu kommen Sperrmüll und Gewerbeabfälle. Angeliefert wird unter anderem auch aus dem Landkreis München, dem Gebiet des Zweckverbands Abfallwirtschaft Donau-Wald, den Landkreisen Freising, Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim-Schongau sowie aus der Nachbarschaftshilfe und in Notfällen aus Südostbayern und Ingolstadt.

Restmüll ist also immer vorhanden. Bislang gilt die Müll- und Klärschlammverbrennung als stabiler Faktor in der Wärme- und Stromversorgung. In der zurückliegenden Heizperiode 2021/22 hat ihr Anteil an der Münchner Fernwärme laut den Stadtwerken München (SWM) knapp zehn Prozent betragen, fast so viel wie die Geothermie beisteuert. 30 Prozent werden mit Kohle, 50 Prozent mit Erdgas erzeugt.*

Ohne Ammoniak lassen sich die Grenzwerte nicht einhalten

Ammoniakwasser fällt als Nebenprodukt bei der Erdgas-Produktion an und wird in allen drei Blöcken des Heizkraftwerks Nord - auch in dem mit Kohleverbrennung - zur Reduzierung der Schadstoffe eingesetzt. "Ohne Ammoniak können die Anlagen mit den derzeit gültigen Grenzwerten nicht betrieben werden", sagt eine Sprecherin der Stadtwerke. Alternativen gebe es nicht.

Bayerische Betreiber befürchteten schon jetzt Engpässe bei der Lieferung, wie der Bayerische Rundfunk berichtet. Das könnte bedeuten: Anlage ausschalten oder mehr Abgase emittieren. Die Stadtwerke München teilen jedenfalls die Bedenken. "Auch wir sehen hier mögliche Schwierigkeiten, da die Produzenten auf größere Mengen an Gas für die Herstellung von Ammoniak angewiesen sind. Auch die Anlieferung per Bahn muss sichergestellt werden, da für den kommenden Winter die Trassen für Kohletransporte Vorrang haben", heißt es in einer schriftlichen Antwort. Ammoniak sei ein wichtiger Faktor bei der Rauchgasreinigung - es reduziere Stickoxide aus dem Rauchgas und reagiere im Katalysator mit den Stickoxiden zu den ungefährlichen Stoffen elementarer Stickstoff und Wasser. 785 Tonnen wurden 2020 im Heizkraftwerk Nord der SWM in Unterföhring verbraucht. Die Stadtwerke beziehen es von einem Anbieter aus Sachsen-Anhalt.

Laut dem Verband der Chemischen Industrie in Frankfurt (VCI) haben Unternehmen wegen der "extrem hohen Gaspreise in Deutschland" bereits die Produktion einiger Produkte gedrosselt, darunter auch von Ammoniak. "Der starke Preisanstieg bei Ammoniak deutet darauf hin, dass das Angebot im Vergleich zur Nachfrage knapp ist. Unklar ist, ob es dadurch zu Lieferengpässen in der Wertschöpfungskette kommt, da Ammoniak auch importiert werden kann", so die derzeitige Eischätzung.

Die Abwärme wird auch für die Münchner Wärmeversorgung genutzt

Für die Stadtwerke spiele auch im zukünftigen Energiemix der Münchner Fernwärme die nachhaltige thermische Verwertung von Restmüll und Klärschlamm eine Rolle, sagt eine Sprecherin. Da Müll in Deutschland nicht mehr auf Deponien gelagert werden dürfe, müsse er in jedem Fall verbrannt werden - mittels Kraft-Wärme-Kopplung werde im Heizkraftwerk Nord die Abwärme noch für die Münchner Wärmeversorgung genutzt.

Als kurzfristige Reaktion auf die aktuelle Versorgungslage hätten die SWM ihre schon gekündigten Kohle-Lieferverträge für Block 2 im Heizkraftwerk Nord wieder aufgenommen und die geplante Umrüstung dieses Blocks auf Erdgas mit Zustimmung des Münchner Stadtrats verschoben. Ebenso seien bereits stillgelegte Ölbrenner in zwei Heizwerken reaktiviert worden. Konkretere Aussagen können die Stadtwerke derzeit nicht machen. Preissteigerungen schließen sie aber nicht aus. Langfristig wollen die SWM ihre 2008 gestartete Offensive "Erneuerbare Energien" fortführen und massiv weiter im Strom- und Wärmebereich ausbauen. Erst jüngst habe man ein Zehn-Millionen-Euro-Paket zur Beschleunigung des Fernwärmeausbaus in München aufgelegt.

Obwohl die Müllverbrennung im Versorgungsmix eine Rolle spielt, hält der AWM an seinem erklärten Ziel der Abfallvermeidung fest: Die Reduzierung von Restmüll sei bereits seit Jahren in den Abfallkonzepten verankert. Sie sei also schon lange vor der aktuellen Energiekrise formuliert. Ob und inwieweit die Müllverbrennung zur Energie- und insbesondere Fernwärmeversorgung in Zukunft beitragen werde, müsse politisch entschieden werden.

*In einer früheren Version stand, dass das Heizkraftwerk Nord für 10 Prozent der Münchner Fernwärme verantwortlich ist. Das war ein redaktioneller Fehler, den wir Sie bitten zu entschuldigen.

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