Energie:Bürgerentscheid gegen Heizkraftwerk Nord rückt näher

Abendstimmung mit Sonnenuntergang in München, 2014

Es gehört fest zur Münchner Kulisse, aber wie lange noch? Ein Bündnis will das Heizkraftwerk Nord schnell abschalten.

(Foto: Florian Peljak)
  • Nur noch 6000 Stimmen fehlen, dann kommt es 2017 zum Bürgerentscheid gegen das Heizkraftwerk Nord.
  • Statt 600 Millionen würde der Steinkohle-Ausstieg nur 350 Millionen kosten.
  • SPD und Grüne halten einen Ausstieg aus der Steinkohle schon 2022 für verfrüht.

Von Heiner Effern und Dominik Hutter

Die Stadt steuert auf den nächsten Bürgerentscheid zu, allerdings nicht auf den von der CSU erträumten zur dritten Startbahn. Die Münchner sollen vielmehr im Frühjahr oder spätestens im Herbst 2017 abstimmen, ob die Stadtwerke (SWM) weiterhin Steinkohle verbrennen dürfen. So sieht es der Zeitplan des Bündnisses "Raus aus der Steinkohle" vor.

Etwa 24 000 Unterschriften haben die Initiatoren nach eigenen Angaben bereits gesammelt. Gut 30 000 benötigen sie, um den Entscheid zu erzwingen. "Bis zum Jahresende sind wir wahrscheinlich durch", sagt Thomas Prudlo, ÖDP-Stadtchef und einer der Frontmänner des Bündnisses.

Geht der Plan auf, bekommen die Münchner Wähler im kommenden Jahr folgende Frage vorgelegt: "Sind Sie dafür, dass der Block 2 (Steinkohlekraftwerk) des Heizkraftwerks Nord bis spätestens 31.12.2022 stillgelegt wird?" Egal, wann und wie abgestimmt wird, schon jetzt habe sein Bündnis viel erreicht, sagt Prudlo. Geschäftsführer und Aufsichtsräte der Stadtwerke müssen sich seit einem Jahr mit dem vorgezogenen Ausstieg aus der Steinkohle beschäftigen, ebenso die Fraktionen im Stadtrat.

"Ich habe das Gefühl, dass viele am Nachdenken sind", sagt Prudlo. Sollten die nötigen Unterschriften tatsächlich Anfang 2017 vorliegen, dürfte das Politik und Stadtwerke richtig nervös machen, hofft Prudlo. "Ich bin überzeugt, dass die Stadt den Bürgerentscheid verlieren wird." Bisher peilen die SWM das Abschalten des hochwirtschaftlichen, aber auch umweltschädlichen Steinkohleblocks bis spätestens 2035 an. Die Geschäftsführung und die große Mehrheit im Rathaus halten einen Ausstieg in nur sechs Jahren für eine finanzielle wie technische Hasardeur-Aktion. "Wir wollen so schnell wie möglich aus der Kohle aussteigen", versichert CSU-Fraktionsvize Manuel Pretzl. "Aber nicht zu jedem Preis."

Die Kosten für den Steinkohle-Ausstieg sind deutlich niedriger als gedacht

Vor gut eineinhalb Jahren ermittelten die Stadtwerke in einem gemeinsam mit dem Öko-Institut erarbeiteten Gutachten, dass ein frühzeitiger Ausstieg je nach Termin 55 bis 600 Millionen Euro kosten würde. Geld, das dann beim aktuellen Lieblingsprojekt der Stadtwerke, dem Ausbau der regenerativen Energien, fehlen würde. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass der Meiler im Münchner Norden im Vergleich mit anderen europäischen Kohleanlagen noch vergleichsweise emissionsarm betrieben wird, rieten die Experten von einem Ausstieg vor 2035 ab - eine Haltung, der sich der Münchner Stadtrat anschloss.

Allerdings sollte das Gutachten für eine vorzeitige Stilllegung des Blocks regelmäßig aktualisiert werden. Wegen neuer Gesetzer und geänderter Energiepreise kam es dazu bereits nach wenigen Monaten - was wohl auch dem stetigen Druck des Bündnisses um die ÖDP zu verdanken ist.

Die Details der neuen Studie sind noch unter Verschluss. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sind die Ausstiegskosten inzwischen erheblich niedriger als im Frühjahr 2015, das Maximum liegt nun bei etwa 350 Millionen Euro. Der Aufsichtsrat der Stadtwerke gab bereits bekannt, dass auch unter diesen Umständen ein frühzeitiger Ausstieg nicht sinnvoll wäre. Als Alternative gab er eine Strategie zur Verminderung des CO2-Ausstoßes in Auftrag, die im Dezember vorliegen soll. Darin soll es um die Möglichkeiten eines gedrosselten Betriebes in den Sommermonaten gehen.

SPD-Mann Reissl hält einen baldigen Steinkohle-Ausstieg für "Hirngespinste"

Allerdings geht es beim Ausstieg aus der Steinkohle nicht nur ums Geld, sondern auch um technische Hürden. Vor allem die Fernwärme können die Stadtwerke nach eigener Aussage nicht auf einen Schlag durch andere Energiequellen wie Geothermie oder Gas ersetzen. Im Moment kommt sie zum großen Teil aus der Kraft-Wärme-Kopplung im Steinkohle-Block.

Da zum Beispiel das Wasser aus dem Erdinneren deutlich weniger heiß sei als das aus dem HKW, müssten mehrere hundert Kilometer des Münchner Fernwärmenetzes auf Heißwasserbetrieb umgestellt werden, erklären die Stadtwerke. Machbar sei das, aber nicht in einer überhasteten Aktion, sondern in einem austarierten Zeitplan. Das temporäre Loch im Angebot mit dem Bau zusätzlicher Gas-Heizwerke auf Zeit zu überbrücken, macht aus Sicht von Politik und Stadtwerken keinen Sinn.

Auch SPD-Fraktionschef Alexander Reissl hält deshalb einen Steinkohle-Ausstieg im Jahr 2022 für unmöglich, selbst wenn er beschlossen würde. "Hirngespinste" nennt er das Ziel, "diese Frist liegt völlig daneben". Weder Geothermie noch neu zu bauende Gas-Heizwerke würden bis dahin stehen. Für ihn ist der schnelle Ausstieg ein "verantwortungsloses" Manöver.

"Eine kleine Gruppe nutzt das, um sich politisch zu profilieren. Die versteigt sich dabei in irgendwelche Behauptungen, wir sind ja nicht im Sandkasten." Technisch möglich sei der Ausstieg frühestens im Jahr 2030. "Und auch dann nur vielleicht und unter größten Anstrengungen."

Sogar die Grünen verweigern sich dem Bündnis, obwohl sie prinzipiell das gleiche Ziel verfolgen. Sie halten aber wie die Rathausmehrheit und die Stadtwerke den Ausstieg 2022 für technisch unmöglich. "Wir wollen kein fixes Datum, sondern möglichst die Verbrennung von Steinkohle nach und nach reduzieren", sagt Stadträtin und SWM-Aufsichtsrätin Sabine Krieger. Und zwar jedes Jahr um zehn Prozent. Wenn das Bündnis behaupte, der Ausstieg sei ohne technische Schwierigkeiten bis 2022 zu schaffen, sei das "unwahr".

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