Ende beim Brunner-Prozess:Das Jahr danach

Am 12. September 2009 wurde Dominik Brunner in Solln zu Tode geprügelt. An diesem Montag fällt das Urteil im Prozess gegen die Schläger. Die Chronik einer Tat und ihrer Folgen.

Christian Rost

Es ist der 12. September 2009, 15.45 Uhr: Markus S., 18, Sebastian L., 17, und Christoph T., 17, bedrohen an der S-Bahn-Station Donnersbergerbrücke vier Schüler im Alter von 13 und 15 Jahren, sie wollen sie "abziehen", fordern 15 Euro. Christoph T. schlägt einem der Schüler ins Gesicht, einem anderen tritt er gegen den Oberschenkel. Dann steigt T. in die S6 Richtung Starnberg und fährt zu seiner Großmutter. Als wenig später die S7 Richtung Wolfratshausen einfährt, steigen Markus S. und Sebastian L. mit den vier Schülern ein und bedrohen sie weiter. Der Manager Dominik Brunner wird zufällig Zeuge und mischt sich ein. Mit seinem Handy meldet er bei der Polizei einen bevorstehenden Raub. Am S-Bahnhof Solln steigt Brunner um 16.09 Uhr mit den Schülern aus. Sch. und L. folgen ihnen, pöbeln weiter und beleidigen Brunner massiv. Der Manager legt Jacke und Rucksack ab, dreht sich zu den Jugendlichen um und schlägt Sch. mit der Faust ins Gesicht. Der 18-Jährige bewaffnet sich mit einem Schlüssel und geht zusammen mit L. auf Brunner los. Bevor die Schläger nach einer Minute in ein Gebüsch flüchten, tritt Sch. noch einmal gezielt auf den Kopf Brunners, der wehrlos am Boden liegt. Brunner kann nach der Attacke noch einmal kurz aufstehen. Dann bleibt sein Herz stehen. Er stirbt zwei Stunden später im Klinikum Großhadern. Die Täter werden von Polizisten entdeckt und festgenommen.

Bildhauer schafft Mahnmal zu Ehren Dominik Brunners

Der Tatort in Solln: Nach der Tat legten hunderte Münchner Blumenund Fotos von Dominik Brunner nieder.

(Foto: ddp)

13. September: Zeichen des Schocks und der Trauer - unzählige Blumen, Kerzen und Botschaften liegen am Tatort.

16. September: In einer ökumenischen Andacht gedenken 1000 Menschen am Parkplatz des Sollner S-Bahnhofs Dominik Brunners. Zur selben Zeit stehen die Münchner S-, U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen für eine Minute still.

18. September: Dominik Brunner wird im engsten Kreis in seinem Heimatort, dem niederbayerischen Ergoldsbach, beigesetzt. Eine rote Rose ziert die Urne.

19. September: Ministerpräsident Horst Seehofer verleiht Brunner posthum den Bayerischen Verdienstorden. In der Arena erheben sich vor einem Bundesligaspiel 69.000 Menschen für eine Gedenkminute. "Wir verneigen uns vor einem Menschen, der sein Leben gegeben hat, um junge Menschen zu schützen", sagt Bayern-Manager Uli Hoeneß.

20. September: Warum hat niemand Dominik Brunner geholfen? Die Münchner Staatsanwaltschaft sieht keine Anhaltspunkte für unterlassene Hilfeleistung. "Die Aussage, dass die Leute weggeschaut und wie versteinert dagestanden hätten, ist nach unseren Erkenntnissen unzutreffend", sagt Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger.

24. September: Die Polizei hat nach dem Notruf Brunners zwölf Minuten bis zum Tatort gebraucht. Die Zeitspanne sei "völlig in Ordnung" gewesen, rechtfertigt sich ein Sprecher des Präsidiums. Für Brunner kam die Hilfe zu spät.

25. September: 100 Menschen beteiligen sich am Gedenkmarsch "Pro Zivilcourage" durch die Innenstadt.

3. Oktober: Bundespräsident Horst Köhler verleiht Brunner posthum das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. "Als Zeichen der Dankbarkeit aller mitfühlenden Menschen in Deutschland für die Menschlichkeit, die Hilfsbereitschaft und die Zivilcourage, die Dominik Brunner selbstlos zeigte", so Köhler.

5. Oktober: Die Erlus AG - bei dem niederbayerischen Dachziegelhersteller saß Dominik Brunner im Vorstand - gründet mit Freunden und Weggefährten des Opfers die "Dominik-Brunner-Stiftung für Zivilcourage".

Anklage wegen Mordes

10. Oktober: Der Bezirksausschuss 19, zuständig für Solln, ist um den Ruf des Stadtteils besorgt. Zwar dürfe man die schreckliche Tat nicht vergessen, wolle aber auch alles dafür tun, dass das Viertel nicht "stigmatisiert" werde, betont der Vorsitzende Hans Bauer (SPD).

Munich S-Bahn Murder Trial Ahead Of Verdicts

Der Brunner-Prozess geht zu Ende: Am Montag wird das Urteil gesprochen.

(Foto: Getty Images)

15. Oktober: Das Ergebnis der Obduktion des Opfers wird bekannt. Demnach erlitt Brunner 42 Verletzungen, wovon 22 "sehr schwer" waren. "Eine zweifelsfrei pathologisch-anatomisch nachweisbare Todesursache gibt es aber nicht", sagt Staatsanwältin Barbara Stockinger.

17. Oktober: Die Deutsche Bahn kündigt an, die defekten Notrufsäulen am Sollner Bahnhof auszutauschen.

20. Oktober: Im Prozess um die Entführung der Schülerin Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee berichtet eine Phonetik-Expertin des Landeskriminalamts von einem Tonbandmitschnitt im Fall Brunner. Wie sich herausstellt, war sein Handy während der Attacke in Solln zufällig mit der Polizeieinsatzzentrale verbunden. Insgesamt 22 Minuten bestand die Verbindung, alle Geräusche und Stimmen wurden aufgezeichnet.

23. November: Die von Uli Hoeneß neu gegründete Initiative "Münchner Courage" lässt Plakate, die für Zivilcorage werben, im gesamten Stadtgebiet anbringen. 20. Dezember: "Nimm Dein Herz in die Hand", unter diesem Motto gehen 3000 Menschen in München bei einer Kundgebung des Deutschen Herzzentrums, der Initiative Münchner Courage und der Dominik-Brunner-Stiftung auf die Straße.

23. Dezember: Die Staatsanwaltschaft deutet in Medienberichten an, die Schläger von Solln wegen Mordes an Dominik Brunner vor Gericht bringen zu wollen.

2. Februar 2010: Die Anklage geht am Landgericht ein. Der Vorwurf lautet "Mord aus niedrigen Beweggründen".

8. Februar: Teile der 90-seitigen Anklageschrift werden bekannt. Daraus geht hervor, dass Dominik Brunner in Solln als Erster zugeschlagen hat.

13. April: Das erste Strafverfahren im Zusammenhang mit den Vorfällen in Solln beginnt am Münchner Amtsgericht. Christoph T., der noch an der Donnersbergerbrücke tonangebend war, wird wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung zu 19 Monaten Haft verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt, wenn er eine Drogentherapie fortsetzt.

10. Mai: Das Münchner Landgericht legt den Prozessbeginn im Mordfall Brunner auf den 13. Juli fest und beschließt, die Öffentlichkeit zuzulassen.

13. Juli: Prozessauftakt an der Jugendstrafkammer unter dem Vorsitz von Reinhold Baier. Staatsanwältin Verena Käbisch wirft den Angeklagten Mord vor, den ersten Schlag Brunners bezeichnet sie als "Notwehr". Markus Sch. und Sebastian gestehen die Attacke, bestreiten aber die Tötungsabsicht. Sie beteuern, dass ihnen die Tat "unendlich leid" tue. Oskar Brunner, der 80-jährige Vater des Opfers, nimmt als Nebenkläger teil.

14. Juli: Einer der Schüler, die Brunner gegen Sch. und L. in Schutz genommen hatte, belastet die Angeklagten schwer. Zwar habe der Manager zuerst zugeschlagen, aber nur, um die beiden abzuwehren. Dann hätten sie sich "eine Taktik überlegt", wie sie ihr Opfer am besten angreifen könnten.

16. Juli: "Der geht jetzt auf die Jugendlichen los" - mit diesen Worten schildert Zeugin Daniela H. die Reaktion bei anderen Fahrgästen in der stehenden S-Bahn, als Brunner sich auf Sch. und L. zubewegte. Brunner habe eine Boxhaltung eingenommen und angegriffen. H. sprach von "Kick und Schlag" mit Faust und Fuß.

Die Wende im Prozess

17. Juli: Am Rande des Prozesses wird bekannt, dass Brunner nicht unmittelbar an den Verletzungen durch Schläge und Tritte gestorben ist, sondern an deren Folgen: Sein stark vergrößertes Herz setzte aus. Die Anklage hat dies der Öffentlichkeit verschwiegen. Brunner hatte von seiner Erkrankung nichts gewusst.

20. Juli: Der Lokführer der S-Bahn entlastet die Angeklagten. Die Aggression sei von Brunner ausgegangen, sagt er.

26. Juli: Oskar Brunner erscheint nicht mehr im Gericht. Er ist schwer krank.

27. Juli: Beklemmende Atmosphäre im Sitzungssaal. Das Gericht hört das Tonband der Polizei, die die Tat über Brunners eingeschaltetes Handy aufgezeichnet hat. Es sind 90 grauenvolle Sekunden. Die Angreifer schreien rasend vor Wut, das Opfer stöhnt unter Schmerzen.

29. Juli: Rechtsmediziner Wolfgang Keil erläutert das Obduktionsergebnis: "Es besteht kein Zweifel an der Kausalität zwischen Gewalt und Herztod."

4. August: Psychiater Franz-Joseph Freisleder beurteilt die Angeklagten als voll schuldfähig. Wegen "Reifeverzögerungen" hält er aber das mildere Jugendstrafrecht für angebracht.

24. August: Die Staatsanwältin fordert die Höchststrafe für Markus Sch. - er soll wegen Mordes zehn Jahre ins Gefängnis. Für Sebastian L., dem keine Tritte nachgewiesen werden konnten, beantragt die Anklage acht Jahre Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Die Verteidiger plädieren auf "unter sieben Jahre" Haft für Sch. und eine dreieinhalbjährige Jugendstrafe für L.

29. August: Das Bündnis "Münchner Courage" erinnert im Olympiapark an den Tod von Dominik Brunner und ruft die 3000 Besucher zum Hinsehen auf.

6. September: Das Gericht will die Urteile verkünden.

12. September: Ein Jahr nach dem Tod Dominik Brunners soll es in München und Ergoldsbach Gedenkfeiern geben. Am Bahnhof in Solln wird ein Erinnerungskreuz angebracht.

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