Zwischen Welten:"Das ist ein echter Fleischwolf"

Zwischen Welten: Emiliia Dieniezhna

Emiliia Dieniezhna

(Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))

Unvorstellbares Leid, aber auch ein Funken Hoffnung: Unsere ukrainische Kolumnistin hat mit geflüchteten Landsleuten über ein schreckliches Jahr im Krieg gesprochen.

Von Emiliia Dieniezhna

Am vergangenen Wochenende habe ich an einer Demonstration gegen den russischen Angriffskrieg auf mein Land teilgenommen. Der Zeitpunkt war bewusst gewählt, weil auch die Sicherheitskonferenz in München stattfand und viele Top-Politiker aus der ganzen Welt in der Stadt waren. Eine gute Gelegenheit also, um zu zeigen, dass Ukrainer und Unterstützer Seite an Seite stehen. Und um nachzufragen, wie es meinen Landsleuten nach einem Jahr Krieg eigentlich geht.

Zwischen Welten: Daria Kaleniuk, eine prominente Antikorruptionsaktivistin, war Gast der Sicherheitskonferenz. Sie brachte die Grünen-EU-Parlamentarierin Viola von Cramon-Taubadel (links) mit zur Demonstration auf den Odeonsplatz.

Daria Kaleniuk, eine prominente Antikorruptionsaktivistin, war Gast der Sicherheitskonferenz. Sie brachte die Grünen-EU-Parlamentarierin Viola von Cramon-Taubadel (links) mit zur Demonstration auf den Odeonsplatz.

(Foto: privat)

Auf dem Odeonsplatz skandierte die Menge immer wieder "Danke, Deutschland" und "Mehr Waffen für die Ukraine". Aber warum braucht die Ukraine mehr Waffen? Diese Frage treibt viele Menschen um. Ewelina Somova, die seit einem Jahr in Bayern lebt, hat das auf der Bühne mit ihrem persönlichen Schicksal begründet. Ihre Familie wohnte in Odessa, als vor fast genau einem Jahr Russlands Angriff auf die Ukraine begann. Ihr Mann Yevhen habe sie aufgefordert, sich mit dem kleinen Sohn in Sicherheit zu bringen, während er an die Front zog. Yevhen ist im Januar gestorben, er wurde nur 34 Jahre alt. Zu seiner Beerdigung ist Ewelina Somova kurz in die Ukraine zurückgekehrt.

Sie weinte, als sie von dieser schmerzlichen Reise erzählte. Viele Ukrainer sterben, oft so jung, dass sie eher Jungs und Mädchen als Männer und Frauen seien. "Das ist ein echter Fleischwolf", habe die Witwe gesagt. "Je länger die Ukraine auf schwere Waffen wartet, desto höher wird der Preis für uns, desto mehr Jungs und Mädchen sterben."

Gut getan hat uns deshalb die Botschaft von Anton Hofreiter (Grüne), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Roderich Kiesewetter (CDU), weil sie gemeinsam auf die Bühne traten. Kiesewetter versicherte, dass mein Land die Unterstützung der meisten Abgeordneten des Bundestages habe. Das war für mich die wichtigste Information des Tages.

Auf dem Odeonsplatz traf ich auch Halyna Kubiv, die zum Moderations-Team der Facebook-Gruppe für Ukrainer in München gehört. Halyna ist gebürtige Ukrainerin, lebt aber schon seit 20 Jahren in Deutschland. Zum Jahreswechsel hat sie ihre Familie und Freunde in der Ukraine besucht. Die mehrstündigen Stromabschaltungen, die Blackouts, die sie vom Krieg wegen der ständigen Bombardierung der Infrastruktur mitbekam, waren aber nicht das Schlimmste. Am Silvesterabend hat sie in Chmelnyzki einen Raketenangriff erlebt, als sie gerade mit ihren Uni-Kommilitonen feierte. Zuerst seien es nur die Sirenen gewesen, die vor einem Luftangriff warnen. Später habe sie dumpfe Explosionsgeräusche gehört, weil Russland mehrere Raketen auf Chmelnyzki abgefeuert hatte. Sechs Menschen wurden verletzt, eine junge Frau starb infolge der Verletzungen.

Dass das endlich aufhört, darauf warten auch mein Vater und meine Oma in Donezk im Osten der Ukraine. Ihr Mehrfamilienhaus wird ständig bombardiert. Sie haben keinen Strom und kein Wasser mehr. Zu Beginn des Krieges wohnten sie fast nur im Keller, aber das ist inzwischen nicht mehr möglich, weil meine Oma stark mobilitätseingeschränkt ist und sich kaum noch bewegen kann. Auch mein Vater hat eine Behinderung. Das Gebiet ist von Russen besetzt, weshalb es schier unmöglich ist, beide dort rauszuholen. Das ginge ohnehin nur über Russland und würde sehr viel Geld kosten. Sie wünschen sich einen Sieg der Ukraine über Russland, wie so viele andere auch.

Mein guter Freund Serhiy (den Namen habe ich zu seiner Sicherheit geändert) zum Beispiel, der seit einem Jahr an der Front kämpft. Serhiy ist ein erfahrener Kampfflieger, aber auch ein UN-Friedensstifter. Er war es, der mir schon ein halbes Jahr vor dem Angriff, im Juni 2021, gesagt hatte, dass Putin uns attackieren wird. Jetzt leitet Serhiy eine große Soldateneinheit und macht alles möglich, damit möglichst viele von ihnen den Krieg überleben. Serhiy ist ganz sicher, wenn man Putin jetzt hier in der Ukraine nicht stoppt, geht er weiter nach Westeuropa.

Zwischen Welten: Natalka Sad sammelt Geld, um ukrainische Soldaten an der Front mit Autos, Anti-Drohnen-Systemen und Nachtsichtgeräten zu versorgen.

Natalka Sad sammelt Geld, um ukrainische Soldaten an der Front mit Autos, Anti-Drohnen-Systemen und Nachtsichtgeräten zu versorgen.

(Foto: privat)

Da ist auch meine junge Kollegin und Freundin Natalka Sad. Sie ist Pressereferentin bei Ukroboronprom, dem staatlichen ukrainischen Rüstungskonzern. Natalka Sad sagt, um den Krieg zu gewinnen, reicht es nicht, ein paar Hundert Euro pro Monat zu spenden. Deswegen sammelt sie Geld, kauft Autos aus der EU, Anti-Drohnen-Systeme und Nachtsichtgeräte für die Soldaten. Außerdem ist sie bereit, die Ukraine an der Front zu verteidigen, sollte sie einberufen werden.

Natalka Sad ist überzeugt, dass die Ukraine gewinnt. Zwei Flaschen Sekt der Marke "Artemiwske" hat sie deshalb gekauft. Das ist der berühmteste ukrainische Sekt, er kommt aus der Stadt Artemiwske, die jetzt Bachmut heißt. Dort toben seit Monaten heftige Kämpfe. Natalka Sads Freund hatte sie gebeten, dass sie eine Flasche für ihn kauft, damit sie zusammen nach dem Krieg feiern können. Das hat sie gemacht, doch die Nachricht darüber hat ihn nicht mehr erreicht. Er ist gefallen.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von dort aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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