Gibt es wirklich einen Film in ukrainischer Sprache, der in einem deutschen Kinderkino gezeigt wird? Diese Frage hat der sechsjährige Zahar seiner Mama gestellt. Er war völlig überrascht, als er erfuhr, dass der ukrainische Animationsfilm "Mavka - Hüterin des Waldes" in Deutschland läuft. Zahars Mama ist meine Freundin aus der Ukraine, die wie ich mit ihren Kindern vor dem russischen Angriffskrieg geflohen ist. Sie wohnt in Bayern, in einer Stadt ein bisschen weiter weg von München, wo sie Deutsch als Fremdsprache an der Berufsschule unterrichtet. Im Gegensatz zu München haben die Kinder dort kaum Möglichkeiten, Ukrainisch zu üben oder andere ukrainische Kinder zu treffen. Es gibt an der Stadtbibliothek keine ukrainischen Vorlesestunden und auch keine anderen Veranstaltungen. Also, Zahar wollte unbedingt "Mavka" sehen, und so hat seine Mutter meine Tochter Ewa und mich eingeladen, mitzugehen.
Mavka ist der gerade wohl berühmteste moderne ukrainische Film. Er hatte Premiere im März 2023 und ist in der Ukraine gleich zu einem Hit geworden. In den Niederlanden und Italien ist der Film ebenfalls erfolgreich. Seit ein paar Wochen kann man ihn nun in einigen Filmtheatern, insbesondere in München, auf Ukrainisch mit deutschen Untertiteln anschauen.
Mavka ist ein Animationsfilm, oder wie einige sagen, ein Kinderfilm, der auf dem bekannten Theaterstück von Lesia Ukrainka basiert. Lesia Ukrainka ist eine berühmte Dichterin aus meiner Heimat, ihr Theaterstück "Das Waldlied" über eben jene Mavka aus dem Film war zu meiner Schulzeit mein Lieblingswerk.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Wald als Lebewesen. Die Handlung drumherum rankt sich um die Beziehung zwischen Mavka, einem herzensguten Mädchen, die zugleich Waldgeist ist, und dem jungen Musiker Lukash. Mavka hütet das Geheimnis des ewigen Lebens, Lukash wurde von der bösen Schurkin Kylyna in den Wald geschickt, um dieses Geheimnis zu finden. Sie versprach ihm, dass er damit seinem Onkel das Leben retten könne. Lukash und Mavka verlieben sich ineinander. Kylyna aber möchte in Wirklichkeit den Wald zerstören, um ewiges Leben und Jugend zu erhalten.
Der Film ist weniger düster als die Originalgeschichte, und er nimmt vor allem ein gutes Ende. Mavka stirbt zwar, aber sie erwacht auch wieder zum Leben dank der Liebe von Lukash. Das Gute gewinnt gegen das Böse. Das sollte sicher auch deshalb so sein, weil es ein Familienfilm ist.
Der Film hat mir, meiner Tochter und natürlich dem kleinen Zahar sehr gut gefallen. Er ist voll von unserer ukrainischen Kultur und Musik sowie reich an ukrainischer Mythologie. Man kann erkennen, dass es ein ukrainischer Film ist, und ich bin sehr stolz, dass trotz des Krieges in meinem Heimatland ein Film auf so hohem Niveau entstehen konnte.
Trotzdem stellte sich auf dem Nachhauseweg ein bitteres Gefühl wegen der Parallelen zwischen der Dichtung und der Realität ein. In meinem wirklichen Leben gewinnt allerdings gerade noch nicht das Gute, es gibt im Krieg gegen die Ukraine zu viele Opfer, zu viel Blut wird vergossen, trotz aller Unterstützung von echten Freunden. Mein Land kämpft für seine Freiheit und die Demokratie und ist dank der Menschen, die ihr Leben dafür riskieren, und der Hilfe von Freunden noch lebendig. Doch am Ende wird die Ukraine ewig leben, weil sie etwas in ihrem Herzen hat, das nie sterben kann - genauso, wie es Lesia Ukrainka vor vielen Jahren schon gesagt hat.
Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.