Süddeutsche Zeitung

Fußball-EM und Regenbogen:Von der kleinen Idee zum großen Aufruhr

So viel Aufmerksamkeit erregt ein Antrag im Münchner Stadtrat selten: Der Plan, die Fußball-Arena zum Spiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben leuchten zu lassen, sorgt weltweit für Aufsehen. Wie es überhaupt zu all dem kam.

Von Anna Hoben

Manchmal kommt der gesellschaftliche Fortschritt in Schüben, manchmal weiß man hinterher kaum, wie das gerade geschehen konnte. So war es bei der Ehe für alle, die vor gerade einmal vier Jahren in Deutschland eingeführt wurde, nachdem die Kanzlerin sich in einem Brigitte Interview verplaudert hatte und es zur Gewissensentscheidung im Bundestag kam. Ob das, was sich in den vergangenen Tagen rund um einen Münchner Stadtratsantrag zu einem Stadion in Regenbogenfarben entwickelt hat, zu noch mehr Akzeptanz, Normalität und Gleichstellung führt oder gar dazu, dass sich demnächst der erste schwule Bundesliga-Profi outet, das wird sich erst zeigen müssen. Aber Beppo Brem hat wahrscheinlich recht, wenn er sagt: "Ich glaube, dass die Leute sich an den heutigen Tag erinnern werden."

Der Grünen-Stadtrat steht am Mittwoch mit seiner Kollegin Micky Wenngatz von der SPD im Foyer des Löwenbräukellers, wo das Gremium tagt. Sie können es beide nicht recht fassen, was dieser Antrag der Münchner Kommunalpolitik ausgelöst hat. Drinnen im großen Saal haben sie gerade die Regenbogen-Resolution verabschiedet. Es ist an diesem Tag ziemlich bunt. Die Stadträtinnen und Stadträte tragen T-Shirts in den Farben des Regenbogens, sie haben bunte Masken, Schals, Halsketten, Hawaiiketten, Regenschirme mitgebracht - und natürlich Fahnen.

Vergangene Woche, am Tag des Auftaktspiels der deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich, überlegten ein paar Stadträte von den Grünen und der SPD am Rande einer Ausschuss-Sitzung zusammen mit dem Oberbürgermeister, wie man zum Spiel Deutschland gegen Ungarn bei der Europameisterschaft ein Zeichen setzen könnte. In Budapest brachte die ungarische Regierung an jenem Tag ein Gesetz durchs Parlament, das Informationen über Homo- und Transsexualität drastisch einschränkt. In den sozialen Medien kursierte da bereits der Vorschlag, die Arena anlässlich des Spiels bunt leuchten zu lassen.

In München stellten FDP und Linke dazu Anträge. "Da haben wir gesagt: Lasst es uns fraktionsübergreifend machen", erinnert sich Beppo Brem. Am Freitag brachten sie ihren Antrag ein - alle Fraktionen gemeinsam. Der OB solle sich bei DFB und Uefa für eine Beleuchtung des Stadions in Regenbogenfarben einsetzen, hieß es darin. Und: Das Rathaus solle am Mittwoch bunte Flaggen tragen. Schon am Wochenende waren die sozialen Netzwerke voll mit Bildern des bunten Münchner Stadions.

Am Dienstag erteilte die Uefa dem Ansinnen des Stadtrats eine Absage, Begründung: "politische Neutralität". Und damit ging es erst richtig los. OB Dieter Reiter bezeichnete die Entscheidung als "beschämend". Beppo Brem gab Interviews im italienischen und norwegischen Fernsehen. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner wurde in der BBC befragt. Die New York Times berichtete. "Ich bin total überrascht", sagt Beppo Brem. Wenn er das mit der sonstigen Stadtratsarbeit vergleicht: "Man macht was, bereitet es lange vor, und die Wirkung ist überschaubar."

Sie sei auch ein bisschen überwältigt, sagt Micky Wenngatz, "dass das Thema von ganz vielen aufgegriffen wurde". Das zeige, dass es mittlerweile nicht mehr um eine kleine Minderheit gehe, sondern um die Mitte der Gesellschaft, und dass es "einen breiten Konsens" gebe. Die Absage habe gezeigt, "wie bigott die Uefa ist".

Beppo Brem ist überzeugt, dass der Münchner Antrag etwas ausgelöst habe, "was die Uefa noch beschäftigen wird". Es werde wahrscheinlich noch fünf Jahre dauern, bis auch Sponsoren von dem Fußballverband forderten, sich klar zu positionieren. Aber die Münchner Regenbogen-Episode könnte ein Schritt in eine solche Richtung gewesen sein. Das Signal, das von der Stadt ausgehe, sagt Brem, strahle durch die Ablehnung jedenfalls noch viel stärker.

Kann man so sagen. Statt des Stadions leuchten am Mittwochabend der Olympiaturm und das Windrad nahe der Arena. Man konnte die bunt eingefärbten Profilbilder in den sozialen Medien in dieser Woche kaum noch zählen. Die Ankündigungen von Einrichtungen und Firmen, Flagge zu zeigen. Jetzt erst recht. "Leute haben mich angerufen", erzählt Micky Wenngatz, "und gefragt, wo sie Fahnen herkriegen".

Im Foyer des Löwenbräukellers ist nun Thomas Niederbühl hinzugekommen. Seit 25 Jahren sitzt er für die schwul-lesbische Wählergruppe Rosa Liste im Münchner Stadtrat. Wie er die Sache sieht? "Ich bin da ein bisschen gespalten", sagt Niederbühl. Einerseits: "super". Andererseits: "Wer sich jetzt alles schmückt mit den Regenbogenfarben - man muss aufpassen, dass man sich davon nicht blenden lässt." Die bayerische CSU zum Beispiel, Ministerpräsident Markus Söder hatte die Uefa-Entscheidung bedauert. Niederbühl verweist darauf, dass Bayern wegen der CSU als einziges Bundesland bisher keinen "Aktionsplan" für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt habe.

Die Stadträte sprechen auch das sogenannte Pinkwashing an - Solidarität als Marketing-Strategie von Firmen. Einig sind die drei sich, dass längst nicht alles gut ist bei der Gleichstellung von LGBTIQ, ob es um das Abstammungsrecht bei Kindern lesbischer Müttern geht oder um das veraltete Transsexuellengesetz.

Manche Veränderungen kommen in Schüben. "Ein Schub ist auch eine Verpflichtung", sagt Beppo Brem. Micky Wenngatz kündigt an, sie werde die Berichte aufheben, in denen Söder die Regenbogen-Beflaggung fordert. Und sie ihm beim nächsten Mal unter die Nase halten.

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SZ vom 24.06.2021/infu, van
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