Fußballvereine:„Man merkt richtig, wie die EM die Kinder pusht“

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Der Verein SVN München in Neuperlach bekommt während der EM mehr Anfragen als sonst. (Foto: Stephan Rumpf)

Bei den Jüngsten herrscht Fußball-Euphorie. Das merken auch die Münchner Klubs. Doch wie viele neue Mitglieder sie aufnehmen können werden, ist fraglich. Und das hat gleich zwei Gründe.

Von Patrik Stäbler

Eigentlich bräuchte Kamer Aktas für die laufende Fußball-Europameisterschaft keinen Spielplan, und auch die Berichterstattung darüber, wer gegen wen wie gespielt hat, könnte sich der Jugendleiter des TSV Milbertshofen größtenteils sparen. Denn als Coach der U14 und U9 seines Vereins bekommt der 37-Jährige im Training ohnehin mit, was sich bei der Heim-EM gerade tut. „Viele Kinder tragen die Trikots der Länder, die an dem Tag spielen. Außerdem reden sie die ganze Zeit über die Europameisterschaft“, sagt Aktas. Keine Frage, in Milbertshofen herrscht – gerade beim Nachwuchs – EM-Euphorie. Und nicht nur dort.

Ähnliches berichtet auch Murat Yasar, Jugendleiter beim SVN München im Osten der Stadt. „Man merkt richtig, wie die EM die Kinder pusht.“ Zudem werde das Interesse bei denjenigen geweckt, die bislang nur wenig mit Fußball anfangen konnten. „Wir haben in den letzten zwei Wochen mehrere Anfragen von Leuten bekommen, die ins Training kommen wollen“, sagt Yasar. „Gerade bei den Jüngsten, in der F- und G-Jugend, ist der Andrang groß – auch bei den Mädchen.“ Wobei nicht nur beim SVN München ungewiss ist, ob der Verein die zu erwartenden Anfragen bedienen kann – doch dazu später.

Murat Yasar ist Jugendleiter beim SVN München. (Foto: Stephan Rumpf)
Dem Verein fehlt es wie anderen Münchner Klubs auch an Trainern für die Jugendmannschaften. (Foto: Stephan Rumpf)

Zunächst zur EM-Euphorie, aus der die Fußball-Klubs in München natürlich Profit schlagen wollen – so wie dies auch bei früheren Großereignissen bereits der Fall war. So stellte der Bayerische Fußball-Verband (BFV) 2006, im Jahr der Heim-Weltmeisterschaft namens „Sommermärchen“, mehr als 61 000 neue Pässe für Spielerinnen und Spieler aus – so viele wie nie zuvor und nie danach.

Auch im Jahr des deutschen WM-Titels 2014 habe man trotz geburtenschwacher Jahrgänge circa 50 000 Vereinseintritte von Kindern registriert, sagt BFV-Sprecher Fabian Frühwirth. Entsprechend rechnet der Verband jetzt wieder – „je nach Abschneiden der deutschen Mannschaft und der Stimmung“ – mit einem signifikanten Zuwachs. Entscheidend werde aber sein, betont Frühwirth, „die Kinder sozusagen bei der Stange zu halten und auf Dauer an den Fußball und die Vereine zu binden“.

Damit dies gelingt, hat der BFV schon frühzeitig zwei Kampagnen für die Nachwuchsgewinnung gestartet sowie zusätzliche Kindertrainerinnen und Schiedsrichter ausgebildet. Aktuell ist der Verband in der Fan-Zone im Olympiapark vertreten, bietet dort Mitmach-Aktionen an und veranstaltet spezielle Motto-Tage. Außerdem läuft parallel zur EM der „Champions Cup Bayern“ – Europas größtes U13-Verbandsturnier mit mehr als 1000 Teams und 15 000 teilnehmenden Kindern.

Mit dabei ist auch der FC Wacker München, wo laut Binser Aygün ebenfalls das EM-Fieber grassiert. „Die Jungs und Mädels schauen sich die Spiele an, tauschen Aufkleber für ihre Sammelalben und tragen die entsprechenden Trikots“, berichtet der Jugendleiter des Sendlinger Vereins. Er ist überzeugt: „Die EM rückt den Fußball, der unsere Leidenschaft ist, in den Vordergrund. Und davon können auch die Vereine profitieren.“

Allerdings, schiebt Aygün gleich hinterher, gebe es da einen Knackpunkt – oder genauer gesagt sogar zwei. Zum einen seien die Platzkapazitäten in München begrenzt. „Wir teilen uns beispielsweise die Bezirkssportanlage mit zwei anderen Vereinen. Da hast du immer das Problem, dass du zu wenige Trainingszeiten hast.“ Zum anderen – und diesen Punkt nennen viele Jugendleiter als größte Herausforderung – gestalte sich die Suche nach Jugendtrainerinnen und -trainern immer schwieriger.

„Wenn nach der EM zehn Kinder in einem Jahrgang bei uns anklopfen und mitmachen wollen, dann habe ich ein Problem – nämlich, dass ich keinen Trainer habe“, sagt auch Benjamin Riedel, Jugendleiter der TSG Pasing. „Das ist mittlerweile das große Thema bei allen Vereinen. Sobald man durch Zufall eine Mama oder einen Papa als Trainer gefunden hat, hört bei einer anderen Mannschaft jemand auf, sodass man dort wieder ein Loch stopfen muss.“ Dann seien oft die Jugendleiter gefragt: Er selbst werde demnächst wieder bei einer Mannschaft einspringen, sagt Riedel. Bei Kamer Aktas in Milbertshofen werden es bald sogar drei Jugendteams sein, die er als Coach betreut. 

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„Ich habe 2004 im Verein angefangen, und damals bist du noch kaum zum Zug gekommen, wenn du Trainer werden wolltest“, erinnert sich Murat Yasar vom SVN München. Heute sei das komplett anders. „Wir haben überall Anzeigen geschaltet, und ich frage ständig herum, aber man findet einfach kaum mehr Trainer und Betreuer.“ Dieses Problem sei auch das Hauptthema, wenn er sich mit anderen Vereinsfunktionären beim Jugendleiter-Stammtisch treffe, sagt Yasar. „Das geht allen so. Und wenn du keine Trainer hast, kannst du auch keine neuen Mannschaften aufmachen.“

Insofern sehen die Münchner Vereine die herrschende EM-Euphorie samt der erwarteten Folgen für ihre Klubs zwar mit Freude – jedoch auch mit einer Sorgenfalte auf der Stirn. Und dennoch betont Kamer Aktas vom TSV Milbertshofen: „Ich hoffe, dass die Stimmung noch lange anhält, weil es gerade für die Kinder einfach schön ist, so eine EM im eigenen Land mitzuerleben.“

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