Eltern und der Kita-Streik:"Wie lange soll dieser Wahnsinn noch dauern?"

Eltern-Demo gegen Kita-Streik

In der vierten Streikwoche sind viele Eltern und Kinder mit den Nerven am Ende.

(Foto: Susann Prautsch/dpa)

Schlaflose Nächte und wegbrechendes Gehalt: Die vierte Woche Kita-Streik bringt Familien an ihre Grenzen, und manchmal kippt die Stimmung. Protokolle aus dem Krisengebiet.

Von Lisa Böttinger

Wann endet der Tarifkonflikt um die Erzieher an kommunalen Kitas? Arbeitgeber und Gewerkschaften verhandeln in diesen Tagen wieder. Doch ein schneller Durchbruch gilt als unwahrscheinlich. Der Streik ist inzwischen in der vierten Woche, Familien geraten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Protokolle von Betroffenen aus München.

Schlaflose Nächte

Ines Schierholz, 41

In der ersten Streikwoche ging alles noch ganz locker. Eine Freundin im Mutterschutz passte auf unseren fünfjährigen Sohn auf, oder ich nahm ihn mit zu meiner Arbeit als Zahntechnikerin. Zwanzig Stunden pro Woche Betreuung, das muss doch zu stemmen sein.

Seit der dritten Streikwoche halten uns nachts Fragen wach. Kann ich die Oma noch mal anrufen? Die Freundin am freien Tag bitten? Fragt unser Sohn wieder nach seinen Freunden? Ich komme geistig nicht zur Ruhe, und wenn ich arbeite, bin ich gedanklich beim nächsten Streiktag. Bessere Bezahlung würde ich den Erzieherinnen gönnen. Unter den Streiks leiden aber vor allem unsere Kinder, die mit jedem Tag Ausstand aufgekratzter werden.

Dasselbe gilt für die Eltern: Als Elternbeiratsvorsitzender beantwortet mein Mann nach der Arbeit oft noch bis elf Uhr abends E-Mails von Familien im Ausnahmezustand. Wir arbeiten daran, die Betreuung unserer Kinder mit einem digitalen Kalender auf verschiedene Elternhäuser zu verteilen.

Unseren Vorschlag, im Kindergarten selbst die Betreuung zu übernehmen, zu kochen und zu putzen, lehnt die Stadt bisher ab - aus versicherungstechnischen Gründen. Unsere einzige Absicherung ist gerade, dass viele Eltern sich weiterhin füreinander die Nächte um die Ohren schlagen.

Die Hälfte des Einkommens fällt weg

Daniel Schulz, 41

Der Streik kostet uns nicht nur Nerven und Kita-Gebühren, sondern auch die Hälfte meines Einkommens. Im Vertrieb eines Unternehmens für digitale Wirtschaftskommunikation lebe ich zur Hälfte von der Provision, die wegfällt, wenn ich nicht direkt mit Kunden kommunizieren kann.

Das Nötigste erledige ich oft am Abend, wenn meine Frau nach ihrem Ganztagsjob unsere Tochter versorgt. Das Familienleben steht dadurch Kopf: Es fehlt die Regelmäßigkeit - und die Gelegenheit, zumindest einmal am Tag gemeinsam zu essen.

Meiner Meinung nach wird gerade in München viel dafür getan, damit Erzieherinnen kommen und bleiben - die München-Zulage ist nur ein Beispiel dafür. Ich selbst habe seit knapp sechs Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen - und kann auch nicht einfach streiken.

Mit einem anderen Vater, einem Ingenieur, teile ich mir in den kommenden Tagen die Betreuung. Morgen werde ich tagsüber mit den Kindern auf den Spielplatz gehen. Meine Arbeit bleibt wieder liegen.

"Ich verliere meinen Job"

Null Interesse bei der Kita-Leitung

Marion K., 29

Mein Arbeitgeber hat großartig reagiert und ermöglicht mir, von zu Hause zu arbeiten. Hier sitze ich zwischen Windeln und Aktenordnern und erledige, was ich kann, den Rest am späten Abend. Für den Streik habe ich mittlerweile kein Verständnis mehr. Auch im Elternbeirat unserer Kita bekomme ich mit, wie die Stimmung kippt. Und die Kinder betrauern ihr abgesagtes Sommerfest, für das sie schon Vorführungen eingeübt haben.

Enttäuscht sind wir vor allem von der Kindergartenleitung: Sie hat null Interesse daran gezeigt, eine Notbetreuung einzurichten. Als wir zwölf Notplätze durchsetzen konnten, war die Leitung nicht bereit, uns bei der Vergabe zu unterstützen - und das im größten Kinderhaus Münchens in der Feldbergstraße. So haben wir selbst ausgelost und die Eltern der Kinder informiert, die einen Platz zugeteilt bekommen haben.

Alle anderen werden von einem Ort zum anderen geschoben. In der Not haben wir unsere Zweieinhalbjährige auch schon zu meinem Bruder gebracht, der selbst gerade Vater geworden ist - obwohl ich weiß, dass man in dieser Zeit alles andere braucht als noch ein herumtobendes Kleinkind.

Wie alle langsam den Verstand verlieren

Nadja Ristig, 40

Dass der Streik eskaliert war, wusste ich, als ich letzte Woche zitternd und unter Herzrasen unsere Not-Betreuungseinrichtung verließ. Wütende Eltern standen vor der Tür der Leitung Schlange, um ihrem Ärger Luft zu machen: "Ich verliere meinen Job!" und "Anrufen bringt ja nichts!" waren die netteren Kommentare. Kinderpflegerinnen standen eingeschüchtert im Gang, Kleinkinder aufgelöst neben ihren lauthals diskutierenden Eltern. Wie lange soll dieser Wahnsinn noch dauern?

Es scheint, dass wir langsam alle den Verstand verlieren: Unser Sohn, weil er manchmal innerhalb eines Tages bei verschiedenen Freunden spielen soll. Das verbleibende Kita-Personal, weil es den persönlichen Anfeindungen von Eltern psychisch nicht mehr standhält. Und wir Eltern, weil wir nicht akzeptieren können, wenn unsere Kinder in ihrer regulären Betreuungseinrichtung keinen Notfallplatz bekommen.

Unser Sohn darf bis Streikende in den Not-Kindergarten. Ob wir ihm das in der teilweise aggressiven, aber immer sehr angespannten Atmosphäre in der Einrichtung noch länger zumuten können, ist die andere Frage.

"Wir haben einen langen Atem", sagen die Arbeitgeber - wir Familien aber nicht! Wir können nur E-Mails schreiben bis hinauf zu Frau Merkel - um dann mit vorgetippten Standard-Antworten abgespeist zu werden. Wir rennen weiter hin und her, um unsere Kinder bis zur völligen Erschöpfung abwechselnd zu betreuen und dann bis Mitternacht zu arbeiten. Eltern und Kinder haben in diesem Streik keine Stimme.

Für die Kinder ist es abwechslungsreich

Großmutter in der Pflicht

Regine P., 75

Als Frank Bsirske von "unbefristeten Streiks" sprach, wurde meine Tochter blass. Seitdem entlaste ich sie, wann immer ich kann. Natürlich sind zwei kleine Kinder anstrengend. Laut. Und stellen Ansprüche an mich - auch körperlich. Seit mein Mann im Krankenhaus ist, passe ich alleine auf unsere anderthalb- und dreieinhalbjährigen Enkel auf. Wie lange noch, muss ich jeden Tag aufs Neue entscheiden. Im Stich lassen werde ich sie nicht.

Doch wenn der Streik noch länger dauert, habe ich kein Verständnis mehr. Wie sollen Eltern und Erzieher nach dem Streik wieder zusammenarbeiten, wenn die Situation weiter eskaliert? Es stimmt: Die Menschen, die sich am Anfang und am Ende unseres Lebens mit uns beschäftigen, werden nicht genügend wertgeschätzt, vielleicht auch nicht so gut bezahlt.

Doch Wertschätzung kann man sich nicht erstreiken. Die Streikparteien sollen sich endlich an einen runden Tisch setzen und den Eltern die Chance geben, Luft zu holen. Es sind keine Briefe oder Lokomotiven, die hier auf der Strecke bleiben - es sind kleine Kinder.

Warum meinem Sohn der Streik gefällt

Barbara Galaktionow, 44, Mitarbeiterin von SZ.de

"Vermisst du eigentlich den Kindergarten?", frage ich meinen fünfjährigen Sohn. Verständnisloser Blick. "Ich meine, fehlt er dir?" Restzweifel bleiben, was meine Frage wohl bezweckt, doch die Antwort ist eindeutig: "Nein!" Und wenn ich so darüber nachdenke, warum sollte er auch? Was für uns Eltern eine Art Jonglieren mit Kindern und Zeit ist und ein gewisser Verlust an Momenten, in denen man Dinge ohne Kind an seiner Seite erledigen kann, schafft für die Jungs und Mädchen ein recht abwechslungsreiches Besuchs- und Unterhaltungssprogramm.

Statt Kindergarten bis halb fünf und danach noch ein bisschen auf den Spielplatz davor, geht es jetzt schon morgens mal zum einen Freund oder der anderen Freundin, mal kommen ein, mal zwei Kinder zu uns zu Besuch. Die einen haben einen Hof, beim anderen geht's auf den kleinen Spielplatz an der Isar oder in den Rosengarten, kleine und große Fußballmannschaften kommen zustande und die Beach-Ball-Schläger tatsächlich auch mal zum Einsatz.

Während ich für Kindergruppen gerne Milchreis mache (kein Stress, alle Kinder lieben es), gibt es anderswo Pizza oder ein Vater brät für sieben (!) Kinder Eierkuchen. Aber auch Nudeln mit den sonst verschmähten Zucchini kommen gut an, wenn sie nicht zu Hause serviert werden ("die waren in so kleinen Stückchen"). Mein großer Sohn findet es mit seinen neun Jahren allerdings "erst mal richtig blöd", dass der Hort geschlossen ist - gerade jetzt in den Ferien. Er ist zwar auch fast täglich mit irgendwem unterwegs, beklagt aber die mangelnde Bequemlichkeit der Situation: "So muss ich erst ein Telefon benutzen, um jemanden zu sehen."

Bei mir weckt seine Situation hingegen eher nostalgische Gefühle: Ich fühle mich an meine eigene Kindheit erinnert, als ich mich nach der Schule im Laden an der Ecke ein wenig mit dem Zigarettenfräulein unterhielt und allein oder mit anderen Kindern einfach so durch die Straßen unseres Viertels streifte - gefühlt zumindest fernab jeder besonderen Aufsicht und Kontrolle.

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