Stadtbaurätin Elisabeth Merk:"Man kann den Job nur in einer Stadt machen, für die man sich begeistert"

Stadtbaurätin Elisabeth Merk

Mit der nächsten Amtszeit wird Elisabeth Merk 18 Jahre lang Stadtbaurätin gewesen sein. Viel Zeit, um München zu gestalten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Job als Stadtbaurätin ist für Elisabeth Merk oft undankbar. Aber sie hat als Stadtbaurätin präzise Vorstellungen, wie die Stadt künftig aussehen soll.

Von Sebastian Krass

Betritt man das Büro der Stadtbaurätin Elisabeth Merk im sechsten Stock des zwölfstöckigen Hochhauses an der Blumenstraße, fällt zunächst der runde Besprechungstisch auf, mit Gläsern und Wasserkaraffen, wie üblich. Doch dann bleibt der Blick am Schreibtisch hängen: was für ein Durcheinander. Hinter, neben, auf dem Schreibtisch, überall Stapel von Papier. Es ist ein - sagen wir - ungewöhnliches Büro für die Chefin einer Behörde mit 800 Mitarbeitern. "Ich stehe dazu", sagt Merk.

Dass die Stadtbaurätin das große Ganze im Blick behält, wird schnell klar, wenn man sie fragt: Wie sieht München im Frühjahr 2025 aus? Da könnte sie von Projekten und Ideen sprechen, alles unter Vorbehalt natürlich, kann ja viel dazwischenkommen. Elisabeth Merk geht die Frage anders an. Sie streift in Gedanken durch die Stadt und benennt ohne großes Überlegen und ziemlich präzise, was bis dahin alles passiert - wenn es nach ihr geht.

Kleine Aufzählung: viel weniger Autos in der Innenstadt, dafür mehr Tiefgaragen an deren Rändern, damit die Altstadt auch für Autofahrer erreichbar bleibt. Eine Tiefgarage für Fahrräder in der Innenstadt. Ein umgestalteter Sattlerplatz. Mehr Hochhäuser, auch höher als 100 Meter. "Mindestens zehn Dantebäder", so nennt Merk das Konzept, Parkplätze mit Wohnungen zu überbauen. 600 Wohneinheiten in Holzbauweise im Prinz-Eugen-Park. Die ersten 11 000 Einwohner im neuen Stadtteil Freiham. Fertige Genossenschaftsbauten und eine neue Nutzung von Tonnen- und Jutierhalle im Kreativquartier.

Wenn es nach Elisabeth Merk geht, dann wird München also in gut sechs Jahren anders aussehen. Dass sie all diese Themen angehen darf, hat der Stadtrat kürzlich beschlossen. Mit 64 von 64 gültigen Stimmen bestätigte er die 55-Jährige als Referentin für Stadtplanung und Bauordnung oder, wie es gemeinhin heißt, als Stadtbaurätin. Ihre Amtszeit dauert bis Ende April 2025. Manche sagen, der Posten sei der zweitwichtigste nach dem Oberbürgermeister. Dennoch ist er oft undankbar.

Da ist der Druck von Bauherren, die im begehrten München viel und teuer bauen wollen - und die oft das Baurecht auf ihrer Seite haben. Auf der anderen Seite kommt Druck aus Bevölkerung und Politik, dass die Stadt viel mehr bezahlbaren Wohnraum braucht, und zwar nicht übermorgen oder in zehn Jahren, sondern jetzt. Und es gibt die Debatten, wie in München gebaut werden soll. Die einen wollen ihr altes München bewahren, die anderen wünschen sich mehr Mut zum Besonderen oder gar zum Spektakulären.

Immer hat jemand was zu kritisieren. Und schuld ist im Zweifel "die Verwaltung", die für alles zu lange braucht, die München an die Spekulanten verkauft, die hässlich bauen lässt und so weiter. Wie also schafft es die Person an der Spitze dieser Verwaltung, mit 100 Prozent Zustimmung bestätigt zu werden?

Anruf bei den Chefs der beiden größten Stadtratsfraktionen. "Wir haben Elisabeth Merk wiedergewählt, weil sie eine ganz gute Stadtbaurätin ist", sagt Alexander Reissl von der SPD in der ihm eigenen Lakonie. Merk hat kein Parteibuch, aber sie wurde 2007 auf Vorschlag der SPD zur Nachfolgerin von Christine Thalgott gewählt. Reissl schätzt Merks "verbindliches Auftreten" und dass man mit ihr auch bei Meinungsverschiedenheiten gut diskutieren könne.

Ähnlich fällt die Einschätzung bei Manuel Pretzl von der CSU aus: "verbindlich", "gute Arbeit", "sie vertritt ihre Positionen, aber denkt über Einwände nach". Die beiden Politiker, so klingt es durch, hatten schon mit Referenten zu tun, auf die das alles weniger zutrifft. Ein Faktor, der auch eine Rolle spielen mag: Man muss erst mal eine Person finden, die den Job im Kreuz hat und ihn machen mag. Es gibt für Menschen mit der nötigen Qualifikation ruhigere Jobs mit weniger Einflüssen von außen, etwa in Hochschulen, oder lukrativere Jobs in der Baubranche.

Es klingt fast, als wäre es stets eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass Merk weitermacht. Für sie selbst war das nicht so. Im Sommer erzählte sie, dass ihre Amtszeit ja bald auslaufe und sie nicht wisse, ob es weitergeht. "Wenn nicht, dann bin ich wieder freie Architektin." Merk ist keine Beamtin, sondern quasi befristet angestellt. Und es gab durchaus Ärgernisse für sie, gerade in den vergangenen Monaten und gerade mit der Koalition aus SPD und CSU. Es ging um Themen, die auch die Spannweite von Merks Arbeit zeigen, von ganz groß, abstrakt, langfristig bis ganz konkret, sichtbar, greifbar.

"Man kann den Job nur in einer Stadt machen, für die man sich begeistert"

Der Stadtrat hat die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) für den Münchner Norden gekippt, bei der es darum gegangen wäre zu untersuchen, wie viele Menschen dort in 20 oder 30 Jahren leben könnten. Politisch heikel ist die SEM, weil mit ihrem Beginn die Grundstückspreise eingefroren werden und es die theoretische Möglichkeit gibt, Grundstücksbesitzer zu enteignen. Merk hält die SEM für "fachlich richtig", doch nun muss ihr Referat das "kooperative Stadtentwicklungsmodell" (kurz: Kosmo) entwickeln.

Ein anderer Konfliktpunkt war der Streit um die Arkaden der Alten Akademie an der Neuhauser Straße. Der Investor, die Signa-Gruppe von René Benko, will sie zumachen und der Geschäftsfläche zuschlagen. Merk hält das für falsch. Sie würde in der durchkommerzialisierten Innenstadt diesen öffentlichen Raum gern erhalten. Letztlich stimmten SPD und CSU Benkos Plänen zu. Ein anderes Thema ist der Verkehr: Merks Vorstellungen, welche Rolle das Auto bei der Stadtplanung spielen sollte (eine kleinere), waren bisher nicht immer kompatibel mit der Politik der Rathaus-Mehrheit. Doch nun will auch OB Dieter Reiter mit aller Macht die Verkehrswende herbeiführen.

Merk machte in den vergangenen Monaten eine Runde durch die Fraktionen. "Ich wollte wissen: Ist das, was ich fachlich anbieten kann, so, dass man in eine gute Zusammenarbeit mit der Politik kommt? Kann man gemeinsam Ziele verwirklichen?" Die Gespräche waren offenbar gut. Aber wenn man Merk eine Weile beobachtet, merkt man, dass die Niederlagen im Stadtrat in ihr arbeiten. Wie groß ist der Ärger noch? "Es ist total in Ordnung, wenn der Stadtrat etwas anderes beschließt, als der Stadtbaurat denkt. Dann muss die Verwaltung die Aufgabe annehmen und ordentlich umsetzen", sagt Merk. "Aber man kann es nicht zur Arbeitsmaxime machen, unterschiedlicher Meinung zu sein, weil man dann nicht erfolgreich sein kann."

Neben den vielen großen und kleinen Bauprojekten wird es in Merks nächster Amtszeit auch um die Grundlagen des Bauens gehen. SPD-Fraktionschef Reissl formuliert die Erwartung, "dass wir beim Aufstellen von Bebauungsplänen und Baugenehmigungen schneller werden. Das dauert noch viel zu lang. Es hat immer geheißen, dafür brauche es mehr Personal, das haben sie bekommen". Um 200 Mitarbeiter sei das Referat in ihrer Zeit gewachsen, sagt Merk, sie verspricht eine schnellere Bürokratie. Nach mehr als 20 Jahren in verschiedenen Stadtverwaltungen (München, Regensburg, Halle/Saale) kennt Merk sich gut aus mit dem Dickicht aus Gesetzen und Verordnungen. Und sie spricht bei Bedarf gern ausdauernd und detailreich über Bauvorschriften, Bauvorbescheide und Bebauungspläne und sonstige Ungetüme.

Mit ihrer nächsten Amtszeit wird Elisabeth Merk 18 Jahre Stadtbaurätin gewesen sein, was bedeutet ihr das? "Es ist schön, über einen längeren Zeitraum in einer Stadt wirksam sein zu können", sagt sie. In ihrer Stimme und ihrem Gesicht ist aufrichtige Freude über die Wiederwahl, wahrscheinlich auch ein bisschen Stolz. "Man kann den Job nur in einer Stadt machen, für die man sich begeistert." Und was ist es, das sie an München begeistert? Wieder so eine Frage, bei der es aus Merk sprudelt: "Wie ich diesen Sommer aus dem Büro zum Baden in die Isar bin und dann wieder ins Büro. Aber auch Neuperlach, der Olympiapark und die Gärtnereien in Feldmoching." Merk will sich auch wieder intensiver mit den Stadtvierteln beschäftigen. "Ich will mit jedem Bezirksausschuss einen Rundgang machen und schauen, was sich verändert hat."

Und künftig kann sie am Wochenende mehr Zeit in der Stadt verbringen. Denn ihr Mann ist nach zehn Jahren in Dresden wieder nach München gezogen, Thomas Danzl hat einen Lehrstuhl für Restaurierung an der Architektur-Fakultät der TU München übernommen. "Ich freue mich darauf, mich mit meinem Mann und unseren Freunden mehr in das kulturelle Leben zu stürzen", sagt Merk. "Und ich möchte das Umland, die Seen und die Landschaft der Metropolregion erkunden. Dafür war bisher kaum Zeit."

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