Süddeutsche Zeitung

Vor der Landtagswahl:Das nächste große Ding

  • Die Organisatoren der "Ausgehetzt"- und der "noPAG"-Kundgebungen rufen gemeinsam zum Protest auf.
  • Am 3. Oktober werden wieder mehrere Zehntausend Demonstranten erwartet.
  • Auch nach der Landtagswahl soll mit den Protesten nicht Schluss sein.

Von Martin Bernstein

Sie kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Spektrums. Sie sind Gewerkschafter, in der Flüchtlingshilfe engagierte Christen, Bürgerrechtler. Sie haben in diesem Jahr in München bereits Zehntausende auf die Straße gebracht: am 10. Mai gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG), am 22. Juli unter dem Motto "Ausgehetzt" gegen rechte Agitation. Für Mittwoch kommender Woche, den Tag der Deutschen Einheit, rufen sie - diesmal gemeinsam - zu einer neuerlichen Großdemonstration in München auf. Gegen Rassismus und gegen eine Einschränkung von Bürgerrechten. "Jetzt gilt's!", sagen die Organisatoren, denn: "Unsere Demokratie ist in Gefahr."

Dass der von der AfD "befeuerte" politische Rechtsruck und das PAG zusammenhingen, ja, "ein weiterer Schritt in Richtung einer autoritären Gesellschaft" seien, erläuterten die Organisatoren am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Für Rechtsanwalt Hartmut Wächtler ist das PAG ein autoritäres Gesetz, das "den Bürger zum Objekt macht". Es beruhe auf der Fiktion, dass die Polizei keine Fehler mache.

Am deutlichsten wird die Netzaktivistin Katharina Nocun. Sie fordert eine neue Debatte darüber, was unter innerer Sicherheit zu verstehen sei. Die Verfechter erweiterter Polizeirechte verlangten Vertrauen der Bürger in die rechtsstaatliche Arbeit der Behörden, sagt sie: "Aber was ist, wenn Verfassungsfeinde eines Tages in den Behörden sitzen?" Vertrauen, so Nocun, ersetze keine einklagbaren Rechte. In ganz Europa seien rechte Parteien auf dem Vormarsch. "Und die haben ein anderes Verständnis davon, wer ein Gefährder ist."

"Die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Geschichte sind legal passiert", sagt Monika Hoenen vom Verein "Matteo - Kirche und Asyl". Der vor knapp einem Jahr gegründete ökumenische Zusammenschluss von Pfarrern, Diakonen, Schwestern und Ehrenamtlichen, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, wendet sich gegen eine Kriminalisierung des Kirchenasyls. Politischer Protest sei wichtig, sagt Hoenen, "wenn begonnen wird, an den Fundamenten unserer Verfassung zu rütteln, und Menschenrechte nicht mehr für alle gelten".

Die "Menschenrechtsbewegung Ausgehetzt" und die "Bürgerrechtsbewegung noPAG", zu deren Münchner Kundgebungen im Sommer jeweils etwa 40 000 Menschen kamen, haben sich in München zusammengetan im Rahmen eines "Herbstes der Solidarität", so erklärt es Thomas Lechner, Mitorganisator der Kundgebung vom Juli. Ähnliche Großdemonstrationen finden am kommenden Samstag in Hamburg und zwei Wochen später in Berlin statt. Mehr als 55 zivilgesellschaftliche Organisationen, Gruppen und Parteien haben sich in München dem Aufruf bisher angeschlossen - "angesichts der schockierenden Eskalation von Hass, rechter Hetze und Gewalt". Einer Eskalation, die auch in München zu bemerken ist: Allein in den Wochen seit den Ausschreitungen in Chemnitz registrierte die Polizei hier fünf mutmaßlich rechtsradikale oder rassistische Gewalttaten.

"Wir werden auch nach den Wahlen nicht aufhören"

Doch die Organisatoren der Kundgebung sagen, es genüge nicht, sich gegen Rechtsextremisten und gegen die AfD zu stellen. "Einen radikalen Politikwechsel", fordert Sprecherin Laura Pöhler - und den Rücktritt von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Der Rechtsruck sei inzwischen kein gesellschaftliches Randphänomen mehr. Der Münchner Termin, elf Tage vor der Landtagswahl, ist bewusst gewählt. Man wolle die Unentschlossenen ermutigen, wählen zu gehen, sagt Lechner - "und zwar demokratisch". Man wolle das bürgerschaftliche Engagement "im Dialog mit den Parteien" stärken und zusammen mit den vielen Menschen auf die Straße gehen, die zwar in Bayern leben, aber kein Wahlrecht haben. Und schließlich, sagt Lechner, wolle man mit der Großkundgebung, zu der Veranstalter wie Polizei erneut Zehntausende erwarten, allen Parteien signalisieren: "Wir werden auch nach den Wahlen nicht aufhören." Wer immer sich nach dem 14. Oktober in welcher Form an einer Regierung beteilige, müsse mit dieser neuen Bürgerbewegung rechnen.

Vertreter dreier Parteien, die den Aufruf unterstützen, sitzen mit bei der Pressekonferenz und hören die Ansage. Ates Gürpinar von den Linken sieht in der Kundgebung am Tag der Deutschen Einheit eine "Vereinigung des bayerischen Widerstands"; man müsse eine Politik verändern, die sich gegen die Schwächsten in der Gesellschaft richte. "Die Freiheit stirbt scheibchenweise", warnt Katharina Schulze von den Grünen. Jetzt gelte es, Dinge zu bewahren, "die wir viel zu lange als selbstverständlich betrachtet haben". Die SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen pflichtet ihr bei: "Wir dachten immer, Demokratie ist selbstverständlich." Jetzt müssten sich "die Anständigen" zu Wort melden und die Hetzer überstimmen.

"Jetzt gilt's!" Kundgebung am Mittwoch, 3. Oktober. Beginn um 13 Uhr auf dem Odeonsplatz. Anschließend Demonstration durch Brienner, Arcis-, Theresien- und Ludwigstraße. 15.30 Uhr Schlusskundgebung auf dem Odeonsplatz.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2018
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