Reportage:Zauber der Verknüpfung

MUENCHEN: Digitalanalog-Festival

Performance für Elektronische Musik im alten Gasteig.

(Foto: Leonhard Simon)

Als Wanderzirkus ist "Digitalanalog" aufgewachsen, mittlerweile hat sich das Musikfestival voll entfaltet und ist im Gasteig ein Publikumsmagnet - zum vorerst letzten Mal.

Von Dirk Wagner, München

"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." Das hatte erst Hermann Hesse und vergangene Woche zur Eröffnung des Gasteig-Interim HP8 und der Isarphilharmonie der Gasteig-Chef Max Wagner behauptet. Folgt man dem viel zitierten Gedanken allerdings, so scheint es keiner all zu großen Kunst zu bedürfen, um mit Anfängen zu verzaubern. Wahren Magiern ist es indes zu danken, dass eine Woche später im alten Gasteig am Rosenheimer Platz jener anfängliche Zauber noch immer einem Festival innewohnt, das dort immerhin schon mit einem zweitägigen Programm sein zwanzig-jähriges Bestehen feierte. Wobei dessen zauberhafter Anfang außerhalb des Gasteigs geschah: in der Tube im Einstein, in den Kunstarkaden, im Harry Klein, im Haus der Kunst, in der Schrannenhalle und in der Roten Sonne.

Als Wanderzirkus war "Digitalanalog" im Münchner Kulturleben gewachsen, bevor es seit 15 Jahren nun im Gasteig seine wahre Größe entfalten konnte. Zugleich entfaltete es die wahre Größe des Gasteigs, den das "Digitalanalog"-Festival wie kaum eine andere Veranstaltung dort jedes Jahr in einen Ort der lebendigen Stadtkultur verwandelte. Entsprechend ist "Digitalanalog" einer der größten Publikumsmagneten des Gasteig. Trotzdem fehlte der Chef des Hauses beim Jubiläum, das einmal mehr die Möglichkeiten einer gegenwärtigen Kultur auditiv und visuell auslotete. So wurden erneut die Konzerte der Musiker von Visual Artists mit Video- und Lichtkunst-Arbeiten bereichert. Etwa von Futurfoto alias Dieter Schnabel, der zu den Begründern des V-Jing zählt.

Kinolegenden wie Sophia Loren, Vincent Price oder Bette Davis tanzen zur Musik

Schon in den Neunzigerjahren hatte er im Rahmen der Techno- und House-Bewegung Videofilme live zur Musik der DJs gemischt. Auf dem Jubiläumsfest ließ er nun Kinolegenden wie Sophia Loren, Vincent Price oder Bette Davis in alten Schwarz-Weiß-Filmausschnitten zur Musik von The Marble Man tanzen, telefonieren und trinken. Natürlich kann solches Leinwandgeschehen hinter den Musikern auch mal von deren Konzerten ablenken. Im Fall der aus Berlin angereisten Musikerin Elle P. waren Sound und Bild hingegen schon immer eine Einheit. Darum hatte die gebürtige Slowenin ihre Videos mit den unterschiedlichen Frauenbildern selbst vorbereitet. Bevor sie Musikerin wurde, hatte sie an der Münchner Kunstakademie studiert. Dann verließ sie die Stadt, die ihr damals zu clean erschien, wie sie sagt. Das "Digitalanalog"-Festival habe Elle P. dagegen schon früher als einen Ort erlebt, wo sich Künstler begegnen und neue Kunstmöglichkeiten probieren.

Das sieht die Münchnerin Lena Britzelmair genauso, die schon 2009 als 17-Jährige mit ihrer Band Tonwertkorrektur auf "Digitalanalog" spielte. Jahre später brillierte sie dort noch einmal als Rey Lenon. Mittlerweile ist sie nach Wien gezogen und nennt sich als Musikerin Lizki. In der Black Box präsentierte sie heuer neue Songs, die Ende des Monats erscheinen. Songs, die beunruhigend schön sind und gleichermaßen Gefahr und Geborgenheit vermitteln. Vorgetragen mit einer geradezu akrobatischen Gesangskunst, die technisch verfremdet in die elektronische Musik eintaucht, aus der sie sich dann wieder selbstbewusst erhebt.

In einem sargähnlich geschlossenen Bett hörten die Besucher ein Privatkonzert

Draußen im Foyer durften die Besucher derweil selbst auf Synthesizern spielen. Oder sie durften in einem Sonnenbankähnlichen Bett probeliegen, das der Klangkünstler Carl Russell geschaffen hatte. Sobald das Bett sargartig geschlossen war, hörten die darin liegenden über Boxen ein Privatkonzert, das Russell ihnen auf seinen Synthesizern spielte. Keine Visuals beeinflussten in der Dunkelheit die Musik. Darum würde man sie hier besonders intensiv erfahren, verspricht der Künstler. Doch den finnischen Multi-Instrumentalisten Jimi Tenor kann das nicht reizen. Er leidet unter Klaustrophobie. Gleich beide Tage spielte Tenor heuer mit der Bigband Dachau im Carl-Orff-Saal. Zwei verschiedene Sets wohlgemerkt, in denen nur ein paar seiner Hits wiederholt wurden. Ausgelassen tanzten die Besucher zu solch spannender Mischung aus Elektronika, Bläsern und Streichern. Und sie genossen vorerst ein letztes Mal die wunderschönen Veranstaltungsräume des alten Gasteigs. Bis zur tatsächlichen Renovierung des Kulturzentrums sind aktuell darin nämlich keine weiteren Veranstaltungen geplant.

MUENCHEN: Digitalanalog-Festival

Getaucht in Rot und Blau: Besucher beim Auftritt der Band Darcy.

(Foto: Leonhard Simon)

Dabei gäbe es in München genügend Bedarf für weitere Spielorte der Kultur. "Digitalanalog" hat ohnehin bewiesen: Genügend spannende Künstler wären vorhanden, um auch diese nun leerstehenden Räume sinnvoll zu füllen. Vom Festival selbst erhoffte sich der SPD-Stadtrat Lars Mentrup in seiner Festrede auch ohne Gasteig eine Zukunft: "Ich bin sicher, Ihr lasst Euch bestimmt etwas einfallen, das weiter vor Kreativität sprüht", sagte er adressiert an die Veranstalter Claudia und Stefan Holmeier samt Familie.

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