Süddeutsche Zeitung

Elektro-Fahrräder in München:Rückenwind für E-Bikes

Lesezeit: 3 min

Von Marco Völklein

Bei der Post setzen sie schon seit Jahren auf E-Antrieb. 157 Elektrofahrräder und 141 E-Trikes, also Dreiräder mit Elektromotor, sind bei den Münchner Briefzustellern im Einsatz. Etwa 40 Prozent der Briefzustellbezirke würden mit E-Fahrzeugen beliefert, sagt Dieter Nawrath von der Münchner Post-Niederlassung. Der Vorteil: Die Zusteller müssen weniger kräftig in die Pedale treten, um die schweren Räder von Hauseingang zu Hauseingang zu steuern. Wo genau ein Rad oder ein Trike mit E-Antrieb zum Einsatz kommt, ist unterschiedlich. "Das hängt ab von den insgesamt zu fahrenden Kilometern sowie von Topografie und Struktur eines Zustellbezirks", sagt Nawrath. In einem Viertel mit vielen schmalen Bürgersteigen könne kein breites Trike fahren.

Was Postlern die Arbeit erleichtert, gönnen sich mittlerweile auch immer mehr Normalbürger. Die Zahl der bundesweit verkauften Pedelecs, S-Pedelecs und E-Bikes ist von 110 000 im Jahr 2008 auf etwa 410 000 im Jahr 2013 gestiegen. Für das vergangene Jahr liegen noch keine verlässlichen Daten vor, der Zweirad-Industrieverband (ZIV) schätzt aber, dass rund 450 000 Stromer abgesetzt wurden. Und eine Trendwende sei nicht in Sicht: Mittelfristig will die Branche 600 000 E-Fahrräder pro Jahr verkaufen - das wäre ein Marktanteil von gut 15 Prozent. Auch wenn E-Fahrräder zwischen 500 und 2000 Euro mehr kosten als normale Räder.

E-Bike wird zum Massenprodukt

"Das Elektrofahrrad hat das Image des 'Schummelfahrrads' mit Reha-Touch verloren", sagt Anja Smetanin vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD). Boten die Unternehmen anfangs überwiegend City- und Trekking-E-Bikes an, wird die Modellvielfalt immer größer: Selbst bei Mountainbike-Puristen löst ein Rad mit Elektrounterstützung keine Verachtung mehr aus. "Durch das breitere Spektrum an Produkten und Anbietern werden neue Zielgruppen erschlossen", glaubt ZIV-Chef Siegfried Neuberger.

Tatsächlich findet man mittlerweile kaum noch einen Fahrradhändler in München, der nicht zumindest eine kleine Nische in seinem Laden für Elektroräder reserviert hat. Zudem eröffnen mehr und mehr auf E-Mobilität spezialisierte Händler Läden - etwa die Starnberger Unternehmer Jörg Simm und Oliver Weiss, die seit 2013 einen Laden für E-Mobilität in Starnberg betreiben und nun versuchen, die Münchner mit einem Laden am Nordbad für E-Autos, E-Roller und E-Fahrräder zu begeistern. In Starnberg habe bereits gut jeder vierte Käufer das Elektrorad für den Weg zur Arbeit nutzen wollen, sagt Simm. "Ich erwarte, dass dieser Anteil in München weiter steigt." Gerade als Pendlerfahrzeug sei das E-Bike interessant.

Wer sich bei Simm oder einem anderen Händler ein Testrad ausleiht, wird schnell merken: Der Spruch vom "eingebauten Rückenwind" beim E-Bike ist keine billige Reklame. Mit einem Pedelec oder dem schnelleren S-Pedelec legt man tatsächlich weitere Strecken in deutlich kürzerer Zeit zurück. Und hat danach noch die Puste, um die Treppe statt den Aufzug ins Büro zu nehmen. Umweltschützer wie VCD-Expertin Smetanin setzen daher darauf, dass das E-Rad helfen könnte, "den Umstieg vom Pkw im Alltag zu unterstützen".

Etwa jede zweite Pkw-Fahrt für kurze Strecken unter fünf Kilometern könnte durch das Fahrrad ersetzt werden. "Allein damit würden jährlich fünf Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden", rechnet das Umweltbundesamt vor. Ein ähnliches Potenzial sehen die Forscher auf Strecken bis zehn Kilometer Länge: "Für diese Distanzen scheint das Fahrrad vielen keine Alternative zum Auto zu sein", sagt Smetanin. Etwa weil sie nicht verschwitzt im Job ankommen wollen. Mit einem E-Bike aber sei dieses Problem zu lösen. Und innerstädtische Distanzen bis zu neun Kilometern "können mit dem Elektrofahrrad schneller als mit dem Pkw zurückgelegt werden", sagt Smetanin.

Genau da allerdings stößt so mancher E-Rad-Praktiker in München an Grenzen. Der Gesetzgeber hat die Pedelec-Nutzer - anders als die Fahrer der schnelleren S-Pedelecs - dazu verpflichtet, die Radwege zu benutzen; zumindest dort, wo dies das entsprechende Schild mit weißem Rad auf blauem Grund vorschreibt. Damit aber steigt das Konfliktpotenzial auf den ohnehin schon teils sehr engen Radwegen, meint Martin Glas vom Radfahrerverband ADFC. "Angesichts der rasant gestiegenen und weiter steigenden Fahrradnutzung ist die Radverkehrsinfrastruktur ohnehin längst am Limit." Breitere Radwege oder - noch besser - markierte Radstreifen auf der Fahrbahn seien dringend nötig.

"Die Unfalllage ist unauffällig"

Völlig unzureichend ist aus Sicht des ADFC daher, was die schwarz-rote Rathausspitze in der Rosenheimer Straße plant: Um dort den Autos keinen Platz wegzunehmen, wollen CSU und SPD Radstreifen von 1,50 Meter Breite anlegen - das ist für Radaktivisten wie Martin Hänsel vom Bund Naturschutz (BN) "viel zu schmal". Insbesondere dann, wenn künftig noch mehr schnelle Pedelec-Fahrer auch auf den großen Straßen unterwegs sein werden. Auch Andreas Gerstner, E-Bike-Experte beim TÜV Süd, ist davon überzeugt, dass es wegen der E-Bikes in Zukunft zu mehr Konflikten auf den Straßen kommen wird. Auf stark ausgelasteten Strecken, beispielsweise auf dem Radweg an der innerstädtischen Isar, "ist man jetzt schon mit 20 Stundenkilometern eigentlich zu schnell unterwegs". Pedelec-Fahrer aber schaffen locker 25 Stundenkilometer, S-Pedelec-Fahrer sind noch schneller.

Vorerst aber ist das nur eine Befürchtung. Für die Polizei jedenfalls ist "die Unfalllage bezüglich Pedelecs und S-Pedelecs unauffällig", wie Marianne Gottwald vom Münchner Präsidium sagt. So verzeichneten die Statistiker im Jahr 2014 exakt 29 Unfälle mit Elektrorädern. Bei durchschnittlich 2700 Radfahrerunfällen pro Jahr mache das gerade einmal ein Prozent aus. Die Beamten seien aber "sensibilisiert", sagt Gottwald. Angesichts steigender Verkaufszahlen werden man "damit zusammenhängende Entwicklungen genau beobachten".

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SZ vom 03.03.2015
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