Hertzkammer:Schichtarbeit

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Als "Grandbrothers" finden Lukas Vogel und Erol Sarp seit Jahren die perfekte Schnittstelle zwischen Klarviermusik und Electronica.

Von Vivian Harris

Wer auf Youtube unterwegs ist, dem ist sicher schon mal das Lofi-Girl begegnet: ein illustriertes Mädchen im Anime-Look, das mit dicken Kopfhörern konzentriert am Schreibtisch sitzt. Das Livestream-Video ist hinterlegt mit gediegener Musik, die als besonders gut zum Lernen oder Entspannen betitelt wird. Geklickt werden solche Videos, nicht nur die des Lofi-Girls, millionenfach. Das Genre ist dabei fast Nebensache, was zählt ist die Dauer: mal sind es vier Stunden Chopin, mal zehn Stunden "Deep Focus Jazz", oder eben ein endlos langer Hiphop-Stream.

Ein bisschen fühlt sich die Musik der Grandbrothers auch nach dieser "Lernmusik" an: Die elektronisch angereicherten Pianosounds sind mitreißend aber nicht aufdringlich, und halten sich in ihrer Virtuosität an ein Schema, das jedem Stück eine gewisse Ruhe gibt. Erol Sarp, ehemaliger Jazzpianist und ein Teil des deutsch-schweizerischen Musikerduos, ist dabei für den analogen Part zuständig: Er kreiert die oft melancholischen Klavierklänge, während sein Bandkollege, der Schweizer Lukas Vogel, diese elektronisch manipuliert. Es wird bearbeitet, verfremdet, geschichtet und auch direkt am Klavier modifiziert - mit einer Art Trigger, durch den Vogel vom Laptop aus mit dem Konzertflügel agieren kann. Entwickelt hat er diesen zu Studienzeiten in Düsseldorf, wo das Projekt Grandbrothers auch entstanden ist. Das Vorbild: John Cage, der als Vertreter der Neuen Musik sein Klavier so präparierte, dass dieses Percussion-Klänge erzeugen konnte.

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Bei den Grandbrothers sind es elektromechanische Hämmerchen, die auf verschiedene Teile von Sarps Steinway klopfen. So entsteht jeder Ton am oder im oder durch oder mit dem Konzertflügel. Und so schaffen es die beiden Pianobrüder, die zarte Melancholie der Klaviermusik mit der technischen Intensität elektronischer Clubmusik zu vereinen und ihren ganz eigenen, zeitgenössischen Sound zu designen.

Am Anfang haben sie sich dabei noch strengere Regeln auferlegt: Jedes Geräusch musste live aus dem Klavier kommen. Inzwischen haben die Grandbrothers sich lockergemacht, zum Beispiel beim jüngsten Langspieler "All the Unknown": Vogel legt nun voraufgezeichnete Klavierpatterns übereinander. Das macht den Sound viel komplexer. Da muss man dann schon genau hinhören, da ist "deep focus" gefragt. Zum Hören im Hintergrund ist die Musik ja allemal zu schade.

Grandbrothers, Mittwoch, 1. Februar, 20 Uhr, Muffathalle , Zellstraße 4

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