Eklat im Mordprozess Charlotte Böhringer:"Ich trete in den Hungerstreik"

Der Angeklagte Benedikt T. bricht nach zwei Jahren U-Haft sein Schweigen. Am Montag erhob er massive Vorwürfe gegen das Gericht.

Alexander Krug

Mit einem Paukenschlag endete am Montag der 67. Verhandlungstag im Prozess um den Mord an der Parkhaus-Millionärin Charlotte Böhringer. Der angeklagte Benedikt T., 33, brach erstmals sein Schweigen und kündigte an, in den Hungerstreik zu treten. Er habe alles versucht, seine Unschuld zu beweisen. Nun gebe es nur noch den "passiven Widerstand".

Charlotte Böhringer wurde am 15. Mai 2006 in ihrer Wohnung in der Baaderstraße erschlagen. Nur drei Tage später nahm die Polizei ihren Neffen BenediktT. fest, er sitzt seither in Untersuchungshaft. Die Anklage wirft ihm Mord aus Habgier vor. Er soll seine Enterbung befürchtet und deshalb seine Tante mit einem "stumpfen Gegenstand" erschlagen haben; freilich haben die Fahnder die Tatwaffe nicht gefunden.

Zum Prozessbeginn am 2. Mai vorigen Jahres hatte T. die Vorwürfe pauschal zurückgewiesen, danach aber beharrlich geschwiegen. Am Montag platzte es förmlich aus ihm heraus, als das Gericht soeben die Verhandlung für diesen Tag schließen wollte. "Seit jetzt mittlerweile fast zwei Jahren bin ich im Gefängnis für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe", rief der 33-Jährige. Er "vegetiere" in seiner Zelle dahin und fühle sich hilf- und mutlos: "Ich bin völlig am Ende."

"Er ist ein äußerst angenehmer Gefangener"

Er verstehe zwar, dass es einen Verdacht gegen ihn gebe, doch "alles andere verstehe ich nicht". Er frage sich, wie er noch seine Unschuld beweisen solle, wo er doch das Gefühl habe, "ich könnte genauso gut mit der Wand quatschen, an der würde das genauso abprallen". Deshalb habe er sich entschlossen, "von heute an in unbefristeten Hungerstreik zu treten".

Die Ankündigung kam selbst für seine Verteidiger Peter Witting und Stefan Mittelbach völlig überraschend. "Wir haben erst am Morgen davon erfahren", meinte Witting, der sich über die Entscheidung seines Mandanten "nicht sehr glücklich" und "in hohem Maße besorgt" zeigte: "Es geht ja schließlich um die körperliche Unversehrtheit unseres Mandanten. Eine solche Situation kann sich kein Verteidiger wünschen." Es sei "absurd", dass ein Angeklagter seine Unschuld beweisen müsse, die Staatsanwaltschaft müsse vielmehr seine Schuld beweisen.

"Ich trete in den Hungerstreik"

Überrascht von der neuen Entwicklung wurde auch die Gefängnisleitung in Stadelheim. Der stellvertretende Leiter der Justizvollzugsanstalt, Hans-Jochen Menzel, erhielt die Nachricht am späten Vormittag. Benedikt T. habe sich in der Untersuchungshaft bisher immer vorbildlich verhalten. "Er ist ein äußerst angenehmer Gefangener", so Menzel. T. zeige sich stets respektvoll gegenüber den Beamten und helfe als gebürtiger Ungar mitunter auch einmal beim Übersetzen aus.

Zwangsernährung nur bei Lebensgefahr

Für Menzel, der seit 31 Jahren in Stadelheim arbeitet, gehört ein Hungerstreik in der jüngsten Vergangenheit der JVA zu den Ausnahmefällen. Wirklich "ernsthaft" habe er in letzter Zeit nur den eines Rumänen in Erinnerung, der sich gegen seine Abschiebung wehrte. Menzel nimmt die Ankündigung von Benedikt T. jedoch keineswegs auf die leichte Schulter. "Wir nehmen das ernst", so der Regierungdirektor. Zuerst einmal müsse man aber abwarten, wie er sich verhalte: ob er beispielsweise nur die Nahrungs- oder auch jede Flüssigkeitsaufnahme verweigere.

Sollte Benedikt T. "nur" nichts essen, beginne "in etwa 14 Tagen der hellrote Bereich", will heißen, es gehe in Richtung Lebensgefahr. Menzel legt Wert auf die Feststellung, dass in der JVA die Gesundheit und das Leben der Gefangenen an allererster Stelle stünden. Eine "Zwangsernährung" aber werde nur bei Lebensgefahr vorgenommen, für eine solche würde der Häftling in eine externe Klinik verlegt. Grundsätzlich, so Menzel, sei man in der Haftanstalt auf "alles vorbereitet". Sollte Benedikt T. ernst machen, würde er jeden Tag einem Anstaltsarzt vorgeführt werden, der seinen Gesundheitszustand überprüft.

Die Verhandlung kann auch ohne den Angeklagten weitergehen

Über das weitere Prozedere im Schwurgericht herrscht noch Unklarheit. Am morgigen Mittwoch soll - wie vorgesehen - der nächste Termin stattfinden. Ein Hungerstreik wäre für die Richter Neuland, bislang gab es einen solchen Fall hier noch nicht. In der Strafprozessordnung (StPO) ist die "Anwesenheitspflicht des Angeklagten" im Paragraphen 231 geregelt. Danach kann die Verhandlung auch ohne den Angeklagten weitergeführt werden, wenn er sich dem Termin "eigenmächtig" entzieht, indem er sich "in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand" versetzt.

Das Gesetz fand schon 1976 den Segen des Bundesverfassungsgerichts. Anlass der Entscheidung war der Stuttgarter Baader-Meinhof-Prozess. RAF-Mitglieder hatten einen Hungerstreik angetreten, der Prozess wurde ohne sie fortgesetzt. Weil sie darin ihre Menschenwürde verletzt sahen, riefen sie die Verfassungshüter an. Die ließen die Terroristen abblitzen: Niemand habe ein Recht auf Anwesenheit im Prozess, wenn er "das Erfordernis seiner Verhandlungsfähigkeit dazu missbraucht, die Verhandlung in seiner Gegenwart zu vereiteln und damit dem Gang der Rechtspflege entgegenzutreten".

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