Eklat bei Vorstandswahl:Maximale Eskalation in der Münchner CSU

Eklat bei Vorstandswahl: Illustration: Alper Özer

Illustration: Alper Özer

  • Die CSU wählt gerade auf allen Ebenen ihre Vorstände neu, erst waren es die Orts-, dann die Kreis-, jetzt die Bezirksverbände.
  • Beim Bezirksparteitag der Münchner CSU kam es zum Eklat, als sie ihre bisherige Vizechefin mit derart schlechten 42 Prozent wählte, dass es nicht zur Bestätigung im Amt reichte.
  • Bezirkschef Ludwig Spaenle hat den Machtkampf gegen Mechthilde Wittmann damit quasi gewonnen - allerdings hat er bei seiner Wiederwahl selbst schlecht abgeschnitten.

Von Andreas Glas und Frank Müller

Horst Seehofer ist ein Mann, der schon vieles gesehen hat: Intrigen, Rücktritte, auch das Waschen schmutzigster Wäsche. An diesem Montagabend aber steht Seehofer im Treppenhaus im Münchner Hofbräukeller und ist fassungslos. So etwas habe er "überhaupt noch nicht erlebt", sagt Seehofer. In seinem Gesicht steht Ratlosigkeit und der Ansatz eines hilflosen Lächelns, wie es der CSU-Chef manchmal zeigt, wenn er nicht weiß, wie es weitergehen soll. Tief in ihm gärt wahrscheinlich die Wut. Aber die lässt er nicht raus.

Niemand hat so etwas schon einmal erlebt. Die CSU wählt gerade auf allen Ebenen ihre Vorstände neu, erst waren es die Orts-, dann die Kreis-, jetzt die Bezirksverbände. Im November ist dann auf dem großen CSU-Parteitag Seehofer mit seinem Vorstand selbst an der Reihe. "Durchwahlen", heißt das in der Partei, alle zwei Jahre sind sie fällig. Oft ist das einzig Spannende an ihnen, wie hoch ein Ergebnis ausfällt. Daran lässt sich ablesen, ob ein Stern leicht sinkt oder ein anderer aufgeht.

Üblicherweise ist das ganze Tableau im Hinterzimmer längst ausgemauschelt, bevor es zur Wahl geht. Kampfkandidaturen sind die Ausnahme, die spektakulärste der jüngsten Zeit fand vor vier Jahren statt, als Peter Gauweiler Peter Ramsauer im Kampf um den Vizevorsitz unterlag. Man kann achtbar verlieren, wenn man einen Mitbewerber hat, war damals die Botschaft. Aber kann man auch verlieren, wenn man überhaupt keinen Gegenkandidaten hat? Dieses nicht für möglich gehaltene Schauspiel hat am Montagabend die Münchner CSU bei ihrem Bezirksparteitag inszeniert, als sie ihre bisherige Vizechefin mit derart schlechten 42 Prozent wählte, dass es nicht zur Bestätigung im Amt langte. Dafür wäre die Hälfte der Delegiertenstimmen erforderlich gewesen. Unter dieser Hürde zu bleiben, das muss man erst mal schaffen.

Maximale Eskalation in der Münchner CSU

In der Münchner CSU ist damit wieder einmal ein Konflikt auf maximal mögliche Art und Weise eskaliert. Ein Erdbeben, das sich über Monate in einer immer heftiger werdenden Serie von Vorbeben angekündigt hatte. Erst waren es nur die Tricksereien einiger Nachwuchs-CSUler auf Ortsebene, die sich mit den üblichen Mauscheleien untergeordnete Posten sichern wollten - weil auch der kleinste Ortsverbandsvorsitz irgendwann ein wichtiger Teil eines Netzwerks werden kann, der die eigene Parteikarriere entscheidend voranbringt.

Gemessen an dem, was kriminelle Energie in der Münchner CSU schon zustande gebracht hat an Wahlfälschungen, handelte es sich um kleine Fische. Aber die Folgen waren gravierend. Bezirkschef Ludwig Spaenle auf der einen Seite wähnte seine Autorität in Gefahr. Denn im Kampf genau gegen solche Machenschaften war er einst an die Macht gekommen. Andere, für sie steht Mechthilde Wittmann, sahen die üblen Netzwerke aus der Zeit um die Perlacher Wahlfälscheraffäre vor zehn Jahren nie richtig zerschlagen und schon wieder aktiv.

Spaenle hat die Kraftprobe gewonnen - aber er lächelt nicht

Ein böses Wort ergab das andere, Spaenle und seine Leute hatten Wittmann im Verdacht, die Presse mit Details zu füttern. Es ist kurz nach halb zehn, als die Stimmen ausgezählt sind, als Bezirksgeschäftsführer Frank Gübner den Saal betritt, auf die Bühne steigt und Wahlleiter Hans Podiuk ein Blatt Papier in die Hand drückt. Neben Podiuk sitzt Spaenle, die Lesebrille tief auf der Nase, er spitzt neugierig auf den Zettel mit dem Wahlergebnis. Ein kurzes Nicken, dann nimmt Spaenle die Brille ab und reibt sich die Augen, als könne er nicht glauben, was er da liest: 42 Prozent, zu wenig für Wittmann.

Er weiß jetzt, er hat die Kraftprobe gewonnen, aber er lächelt nicht. Er hat keinen Grund zum Lächeln. Nur Minuten zuvor war er ja selbst mit einem schlechten Ergebnis wiedergewählt worden, mit 86 Prozent, vor zwei Jahren waren es noch 91,4. Podiuk steht auf, tritt ans Rednerpult, und als er das Ergebnis verkündet, wird es mucksmäuschenstill, auch am Tisch von Kreisverband acht, wo Mechthilde Wittmann sitzt. Wittmann schüttelt nur den Kopf. Es ist kein ungläubiges, eher ein höhnisches Kopfschütteln, ein Kopfschütteln, das sagt: Ich weiß genau, welches Spiel hier gespielt wird.

"Ein Zufallsprodukt war das nicht", sagt hinterher nicht nur ein CSU-Funktionär. Spaenle habe ja hintenrum für Wittmanns Abwahl geworben, sagt ein anderer. Nur einer will an diesem Montagabend nichts wissen von einer Demontage, die von langer Hand geplant war: Spaenle selbst. Kaum ist Wittmann abgewählt, steht er an ihrem Tisch und hebt die Hände, als habe er absolut keine Ahnung, was da gerade passiert ist. Das sagt er auch am Tag danach: "Das war ein souveränes Votum des Parteitags. Da sitzen ja keine Apparatschiks drin." Das sehen andere ganz anders. Ein solch verheerendes Votum sei ohne eine vorherige Ansage innerhalb der Kreisverbände an die jeweiligen Delegierten gar nicht denkbar. Dann aber hätte es sich um eine gesteuerte Aktion gehandelt, um eine Vernichtung mit Ansage.

Wittmann wollte sich nicht abschieben lassen

Ob der Zusammenprall vermeidbar gewesen wäre, ob man ihn heilen kann, fragen sich am Tag danach viele in der Partei. Es hatte im Vorfeld einen Versuch gegeben, Wittmann auf den Posten des Schriftführers abzuschieben. Für den hätte sie wahrscheinlich viele Stimmen bekommen. Das lehnte sie jedoch ab - verständlicherweise. Auch Seehofer soll sich intern dafür eingesetzt haben, Wittmann im Amt zu halten.

Spaenle wäscht die Hände in Unschuld, das fängt schon an, als er nach der Wahl neben Seehofer auf der Treppe steht. Er spricht von einer "Überraschung", mit der auch er selbst nicht gerechnet habe. "Überraschung", sagt Spaenle und wiegt den Kopf, während Seehofer ratlos neben ihm steht. In Wahrheit denken Spaenles Leute ganz anders: Die einzige Überraschung an Wittmanns Wahlergebnis sei noch, dass es so gut ausgefallen sei, so sieht man das in der verbliebenen Führung.

So sind es die kleinen Episoden, die verraten, was an diesem Abend in der CSU wirklich gespielt wird. Alle zur Wahl stehenden Führungsmitglieder werden jeweils von einem anderen führenden Mitglied vorgeschlagen. Spaenle selbst übernimmt es, seine drei weiteren Stellvertreter dem Parteitag anzupreisen und um ein überzeugendes Votum zu bitten. Bei Wittmann bringt er das nicht übers Herz, den Vorschlag muss dann der Nordwest-Kreischef Joachim Unterländer machen.

6081 Mitglieder

hat die CSU in München. Zum Vergleich: Vor zwölf Jahren waren es noch 9125, dann kam die Perlacher Wahlfälschungsaffäre - und es ging stetig bergab. Die Hauptursache, heißt es in der CSU, sei aber die Altersstruktur. Die alten Mitglieder sterben, aber junge kommen fast keine nach. Ein Problem, mit dem die CSU freilich nicht allein ist. Vom Mitgliederschwund sind in Deutschland praktisch alle Parteien betroffen.

Spaenle schafft es noch nicht einmal, im Saal zu bleiben. Er geht hinaus, als Unterländer ans Mikro geht. Und er kommt genau in dem Moment zurück, als Unterländer fertig ist. Spaenle gibt sich gar nicht erst die Mühe, die Aktion dadurch zu kaschieren, dass er etwa auf die Toilette gehen würde - ein beliebtes Mittel in der Politik, wenn man sich unangenehmen Vorgängen entziehen will. Nein, Spaenle bleibt einfach an der großen Flügeltür im Eingang stehen. Jeder kann sehen, wie sich der Chef gerade distanziert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: