Eisbärenzwillinge im Münchner Zoo:Süß war gestern

Munich Zoo Presents Twin Polar Bear Cubs

Eisbärenzwillinge Nela und Nobby aus dem Tierpark Hellabrunn.

(Foto: Getty Images)

Den Zenith der Süßheit haben die Münchner Eisbärenzwillinge schon überschritten. Biopsychologe Peter Walschburger erklärt, was an Knut so besonders war. Und warum Nela und Nobby dagegen nicht ankommen.

Von Katja Riedel

Es waren ganz besondere Bilder, die der Zoo Hellabrunn aus der Geburtshöhle der Eisbärenzwillinge Nela und Nobby zeigte. Im Januar sind sie auf die Welt gekommen. Warum sie nicht mehr so niedlich sind wie zu Beginn, erklärt Biopsychologe Peter Walschburger.

Warum sind die Eisbären nicht mehr süß?

Mit zunehmendem Alter passen sie immer weniger in das Kindchenschema. Konrad Lorenz hat diese genetisch verankerte Tendenz, auf ein kindliches Wesen zu reagieren, zusammengefasst. Wir reagieren vor allem auf kindliche Gestalt- und Bewegungsmerkmale, etwa auf den Kopf, der sehr groß ist im Verhältnis zum Rumpf, die vorgewölbte Stirn, Pausbacken, große Augen, große Knopfaugen, die Extremitäten sind eher kurz und dick. Dazu gehört auch eine rundliche Körperform. Hinzu kommen tollpatschige Bewegungen sowie Gesten der Unterwerfung, zum Beispiel Weinen und Betteln. Wir reagieren nicht auf das einzelne Kind, sondern auf den Prototyp.

Und wozu ist das gut?

Menschen haben, wie andere soziale Säugetiere auch, den Hilflosesten einer Gruppe gegenüber eine Fürsorgetendenz entwickelt. Die kindlichen Merkmale regen den Wunsch und das Gefühl an, das kindliche Wesen zu behüten, zu streicheln, zu bemuttern. Wir müssen nicht lange nachdenken, um zu spüren: Das kleine Wesen braucht meine Hilfe. Bei Menschenkindern gilt das in ganz besonderem Maße, weil sie als physiologische Frühgeburten mit unreifem Hirn viele Jahre auf die Fürsorge der Erwachsenen angewiesen sind. Aber auch dann, wenn wir Zootiere betrachten, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf alles, was kindliche Merkmale hat.

Heißt das, je hilfloser ein Lebewesen ist zum Geburtszeitpunkt, um so süßer muss es sein, um zu überleben?

Das Wort süß engt den Sachverhalt zu sehr ein auf eine sentimentale Regung, die leicht ins Kitschige abgleitet. Ach, so süß, ich möchte es als Plüschtier haben! Dass Kinder aber eine umso fürsorglichere Haltung in uns auslösen, je kleiner sie sind, ist äußerst zweckmäßig. Es gibt nämlich zwei Arten, wie man in einer Gruppe Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Kontrolle ausüben kann: Einmal im Sinne einer sogenannten Alpha-Hierarchie, durch Machtdemonstration also. Dazu gehören alle Merkmale, die nicht gerade kindlich sind: die große, starke Gestalt, die breite Brust. Aber es gibt interessanterweise auch die Omega-Hierarchie: Die betrifft die Kleinsten, die Hilflosesten. Wegen unserer angeborenen Freundlichkeit zu kleinen hilflosen Wesen gewinnen Kinder eine überraschend große Macht, eine ganze Gruppe für sich einzunehmen. Wäre das nicht so, würden Kinder sicher weniger gut behandelt. Und auch Tierbabys profitieren von dieser Grundhaltung.

Und ganz besonders die süßen Eisbären?

Ja. Am stärksten ausgeprägt war das sicher bei Knut. Besser: beim medialen KnutHype. Bei Knut kam ja zum niedlichen Aussehen noch die Legende des Verstoßenseins hinzu. Und der Umstand, dass ein menschlicher Pfleger sich aufopfert. Hier hat sich das Kindchenschema zum globalen Medien-Hype entfaltet. Das führte dazu, dass der ältere Knut, der schon gar nicht mehr dem Kindchenschema entsprach, immer noch genauso geliebt wurde. Es kam zur Knutomanie, dabei war die Medienlandschaft ein unglaublicher Verstärker dieser elementaren Zuwendung. Selbst politische Sendungen in der ganzen Welt haben über Knut berichtet. Das ist jetzt im Falle der Münchner Eisbärenkinder nicht mehr so. Sie sind eher ein Regionalphänomen geblieben. Wer die Bären immer wieder besucht hat, der sieht auch hier noch das Kindhafte. Wenn man sie aber erst zu Gesicht bekommt, wenn sie schon größer und älter geworden sind, dann fällt das zunehmend schwerer.

Sehe ich als Mensch im Jungtier das Menschenbaby?

Ja, unsere intuitive Zuwendung ist zumindest so ausgerichtet. Menschen sind lange auf Hilfe angewiesen, werden anders als unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, erst sehr spät flügge. Deshalb ist für uns Menschen ein stabiles fürsorgliches Verhalten gegenüber unseren Kindern besonders wichtig. Es geht um Behütung, um Bindung, die aber gerade dann, wenn sie gelingt, dafür sorgt, dass Kinder sich in der Pubertät ablösen und eigene Familien gründen können.

Können Zootiere die fremden Tierbabys im Nachbargehege auch niedlich finden und sie behüten wollen oder wirken deren Schlüsselreize nur beim Menschen so gut?

Solche Adoptivelternschaften werden immer wieder beobachtet. Vor allem dann, wenn ein erwachsenes Wesen in einer bestimmten Stimmung ist. Zum Beispiel, wenn eine Löwenmutter ihr Kind verloren hat. Auch Hundemütter lassen Katzenkinder saugen. Ich habe auch schon gesehen, wie eine riesige Collie-Hündin eine intime Freundschaft entwickelt hat zu einem kleinen Kätzchen. Sie hat es in den Mund genommen, und das Kätzchen hat sich wohl gefühlt. Das klappte deshalb so gut, weil es sich um ein Katzen-Baby handelte.

Sprechen unterschiedliche Individuen unterschiedlich stark auf das Kindchenschema an - etwa Frauen stärker als Männer?

Ja. Frauen tragen als Mütter seit Millionen Jahren die befruchtete Eizelle aus, sie haben stärker in die Fürsorge für die Kinder investiert als Männer. Das hat vielfältige genetische Spuren hinterlassen. Unter den Knut-Fans waren übrigens besonders viele ältere Frauen. Viele lebten allein. Die haben dann ihr Herz Knut geöffnet.

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