Trotz aufwendiger Ermittlungen steht die Polizei vor einem Rätsel, was den tödlichen Surfunfall im Münchner Eisbach verursacht haben könnte. Polizeitaucher sind am Mittwochmittag in den Eisbach im Englischen Garten gestiegen, um das herauszufinden. Vor zwei Wochen hatte sich die Sicherungsleine einer Wellenreiterin, die Leash, aus ungeklärten Gründen im Bach verfangen. Die 33-Jährige hatte sich nicht davon befreien können und war unter Wasser gezogen worden.
Erst nach einer halben Stunde konnte die Frau von Strömungsrettern der Feuerwehr befreit werden. Eine Woche später starb sie in einem Münchner Krankenhaus. Das Unfallkommando der Verkehrspolizei und die Staatsanwaltschaft München I ermitteln seither gegen unbekannt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.
Den Einsatz am Mittwoch beginnen Polizei und Feuerwehr am Mittwochvormittag damit, die Umgebung der Eisbachwelle abzusperren, um Schaulustige vom Einsatzort fernzuhalten. Etwa 100 Menschen haben sich hinter den Absperrungen eingefunden, um doch irgendwie einen Blick auf den ungewöhnlichen Einsatz und den an diesem Tag nur noch dahinplätschernden Eisbach zu erhaschen. Mehr als 50 Polizistinnen und Polizisten sind im Einsatz.

Surf-Unfall im Eisbach:„Das Wasser wird immer stärker sein als der Mensch“
Wie konnte es zu dem schweren Unfall auf dem Eisbach kommen? Was muss sich ändern? Professor Robert Meier-Staude steigt selbst gern aufs Board und hat mehrere künstliche Wellen entworfen. Was er der Szene jetzt rät.
Die Prinzregentenstraße bleibt während des Einsatzes für den Autoverkehr geöffnet, obwohl sie unmittelbar an der Surfer-Welle vorbeiführt. Die Brücke über den Eisbach, von der aus sonst Hunderte Schaulustige die Wellenritte der Surfer bestaunen, ist verwaist. Blau bespannte Sichtschutzwände halten vom Blick auf das Geschehen unten im 14 Grad kalten Nass ab. Neben den ermittelnden Beamten sind auch Experten für Bilddokumentation zum Unfallort gekommen. Eine Drohne der Polizei surrt über dem Eisbach, direkt über dem Bach schwirren Abertausende Mücken.


Die Strömungsretter der Münchner Feuerwehr sind auch wieder am Unfallort. Sie wollen bei Tag noch einmal sehen und verstehen, was in jener Unglücksnacht vor zwei Wochen passiert sein könnte, als sie die verunglückte 33-Jährige zwar retten und zunächst wiederbeleben konnten, ihr lebensgefährlicher Einsatz aber dann letzten Endes doch vergeblich war.
Auch Franz Fasel ist gekommen, der als Vorsitzender der Interessengemeinschaft Surfen in München die Belange der etwa 3000 Münchner Wellenreiter vertritt. Sie würden auf eine baldige Wiederöffnung der derzeit gesperrten Welle hoffen, sagt er in die zahlreichen Mikrofone. Die Surfer haben aber auch Vorschläge gemacht, wie mit einfachen Mitteln die Sicherheit verbessert werden könne. Fasel vergleicht die Eisbachwelle mit einer Felswand. Die Frage sei, ob man eine gesicherte Kletterhalle daraus machen wolle. Das Ergebnis der Ermittlungen interessiert die Münchner Surf-Community in mehrfacher Hinsicht.
Ob sie an diesem Mittwochnachmittag erste Antworten bekommen werden? Vier Münchner Polizeitaucher in roten Schutzanzügen tun ihr Bestes. Bis zur Hüfte stehen sie im knapp 15 Grad kalten Eisbachwasser, suchen mit einer Art Sehrohr Quadratzentimeter für Quadratzentimeter des Bachgrundes ab. Einen großen Fremdkörper – etwa einen in den Bach geworfenen E-Scooter oder ein Verkehrsschild, wie manche gemutmaßt hatten – finden sie zwei Wochen nach dem Unfall nicht. Eine Art Einfüllstutzen wird aus dem Wasser gezogen und von Ermittlern in eine Tüte verpackt.



Vielleicht gibt es Risse oder Spalten, in denen sich die Leash verfangen haben könnte. Immer wieder geht einer der Taucher zurück zum Ufer, eine Kollegin trägt dort jede Auffälligkeit in einen Plan ein. Der gesamte Bereich zwischen der Bachschwelle und den etwa 30 mal 30 Zentimeter großen Betonblöcken, die im Normalfall die Welle erst erzeugen, wird abgesucht. Etwa zehn Bachmeter sind das. Manchmal gehen die Taucher direkt nebeneinander in einer Viererreihe, damit ihnen auch wirklich nichts entgeht.
Die Stadt München, die 50 Meter Eisbach vor 15 Jahren vom Freistaat eingetauscht hat, um das Surfen dort zu legalisieren, hat sich bislang nicht um die Aufklärung der Unfallursache gekümmert – man wolle die polizeilichen Ermittlungen abwarten, hieß es aus dem Umweltreferat. Vor einer Woche hat die Stadt jedoch eine neue Allgemeinverfügung erlassen, nach der das Wellenreiten im Eisbach „bis auf Weiteres“ untersagt ist. Ob damit der Abschluss der polizeilichen Ermittlungen gemeint ist, ist unklar.
Auf Nachfrage der SZ wiederholt eine Sprecherin des Umweltreferats lediglich die Formulierung „bis auf Weiteres“. So lange gilt: Wer dennoch surft, muss mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 Euro rechnen. Das Umweltreferat kündigte auf SZ-Nachfrage Vor-Ort-Kontrollen durch die Stadt an: „Verstöße können von der Polizei aufgenommen und durch die Landeshauptstadt München geahndet werden.“ Die Absperrungen würden erst wieder abgebaut, „wenn die Ermittlungsergebnisse vorliegen und die Unfallursache geklärt ist sowie die daraus ggf. zu ziehenden Schlussfolgerungen umgesetzt wurden“, schreibt eine Sprecherin der Behörde. „Ein konkretes Datum kann nicht genannt werden.“
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte nach dem Tod der Münchner Surferin versprochen, die Stadt werde alles tun, „um den genauen Hergang des Unfalls herauszufinden und alles, was notwendig ist, veranlassen, um solche tragischen Unfälle in Zukunft so weit irgend möglich zu vermeiden“.
Unmittelbar nach dem Unfall hatte sich das städtische Kreisverwaltungsreferat, zu dessen Aufgaben die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Millionenstadt München gehören, für nicht zuständig in Sachen Eisbach erklärt. Um den baulichen Unterhalt der Münchner Bäche kümmert sich das Baureferat, um den Eisbach als Gewässer und Ökosystem das Umweltreferat.
Gegen neun Uhr waren am Mittwoch die Schleusen des Fabrikbachs gegenüber der Praterinsel teilweise geschlossen worden. Von einem unterirdischen Betriebsraum neben der Lukaskirche wurde das Absenken des Wasserspiegels gesteuert. Mitarbeiter des Baureferats waren vor Ort. Von der Mariannenbrücke aus war zu beobachten, wie am Zulaufrechen zum Fabrikbach die Strömung immer schwächer wurde, schließlich ganz nachließ. Fische erkundeten sofort das ungewohnte Terrain.


An der Mariannenbrücke wird von der Isar jenes Wasser abgezweigt, das das 1789 künstlich geschaffene Bachsystem im Hofgarten und im Englischen Garten speist. Der Bach fließt weitgehend unterirdisch durch den Münchner Stadtteil Lehel, gabelt sich und kommt erst im Innenhof des Wacker-Hauses, unmittelbar vor dem Zusammenfluss von Stadtmühlbach und Stadtsägmühlbach zum Eisbach, wieder an die Oberfläche.
25 000 Liter Wasser pro Sekunde schießen dann normalerweise unter der Prinzregentenstraße hindurch ins Freie und bilden am Südende des Englischen Gartens den Eisbach. Etwa 20 Betonblöcke im Bachbett erzeugen die bis vor zwei Wochen bei Surfern legendäre, weltweit berühmte Welle. Für die Ermittlungen musste der Wasserstand im gesamten Bachsystem abgesenkt werden. Allerdings nur kurzfristig und auch nicht vollständig, weil sonst das Ökosystem im Bach geschädigt worden wäre.
Nach mehreren Stunden beendet die Münchner Polizei am Mittwoch ihren Einsatz im Eisbach. Die Taucher verlassen das Wasser, die Kanäle und Bäche können wieder geflutet werden. Etwas, was den schrecklichen Unfall vor zwei Wochen auf Anhieb erklären könnte, haben die Männer in den roten Overalls an diesem Nachmittag nicht gefunden.