Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel in München:Kein McDonald's im Rathaus

Lesezeit: 3 min

Von Philipp von Nathusius

"Ich hätte keine acht Tage überleben können", sagt Heinz Reiter, "wenn ich marktübliche Preise hätte bezahlen müssen." Geworden sind es 44 Jahre, so lange existiert sein kleines Fotogeschäft im Rathaus mit Blick auf den Marienhof. Vermieterin ist die Stadt München. Sie verlangt so geringe Mieten wie sonst niemand in der Innenstadt - und ermöglicht damit kleinen inhabergeführten Läden wie Foto Reiter überhaupt erst, dort zu überleben. Zum Monatsende ist nun Schluss. Im bogenförmigen Schaufenster, in den Vitrinen, im Regal mit den analogen Filmrollen - überall liegt nur noch wenig Ware aus. "Es ist jetzt an der Zeit aufzuhören", sagt Reiter. Er ist 72 Jahre alt.

Von April an steht der Laden leer. Erst mal wird renoviert, dann können sich Interessenten mit ihren Geschäftskonzepten bewerben. Reiter hätte es gerne gesehen, wenn weiter ein Fotogeschäft an gleicher Stelle existierte, vielleicht sogar den Namen seines Ladens fortführte. Ein großes Münchner Fotogeschäft habe das sogar angeboten, sagt er, doch die Stadt lehnte ab. Die Begründung: Gibt es keine Erben oder Gesellschafter, die den Mietvertrag übernehmen, muss eine Neubesetzung nach EU-Recht ausgeschrieben werden.

"Ziel der Stadt ist es, ein McDonald's im Rathaus zu vermeiden"

Herr über die städtischen Immobilien ist Kommunalreferent Axel Markwardt. Für ihn steht fest, dass Reiters Nachfolger auf jeden Fall keine Kette sein wird, aber auch nicht unbedingt ein Fotogeschäft. "Ziel der Stadt ist es, ein McDonald's im Rathaus zu vermeiden", sagt Markwardt. Der Name der Fast-Food-Kette stehe stellvertretend für etwas, dessen Bekämpfung erklärtes Ziel der Stadtpolitik ist - seit vielen Jahren und über alle Parteigrenzen hinweg: die Filialisierung der Innenstadt zu bremsen. "Die großen Filialisten machen sich immer mehr breit, und dann geht der individuelle Charme von kleinen und mittelständischen Läden in diesem Bereich unter", sagt Markwardt. Man könne jedoch zweckgebunden - etwa um bedrohten Branchen zu helfen - Ausschreibungen so gestalten, dass eben nicht automatisch der Höchstbietende zum Zug kommt.

Neben den Läden im Rathaus gehören der Stadt zum Beispiel auch das Thomass-Eck (Marienplatz 1) oder der Ruffiniblock am Rindermarkt, der bald komplett saniert werden muss. Nach der Renovierung werden dort gleich mehrere Läden auf einmal neu zu vergeben sein. Normalerweise sind Wechsel bei den derzeit 54 Mietern in diesen Häusern höchst selten. Kaum ein Inhaber gibt freiwillig die günstigen Verträge auf. Wenn doch mal etwas frei wird, ist es dem Kommunalreferat nach eigenem Bekunden wichtig, auf den Branchenmix zu achten, auf die Attraktivität und die Tragfähigkeit des Konzepts.

Einheitsbrei vieler deutscher Innenstädte

Im bundesweiten Vergleich ist der Anteil der Ketten am Geschäftsmix in der Innenstadt niedrig. Im Jahr 2010 lag München gerade mal auf Platz 15 bei der Filialisierung der Einkaufsmeilen, berichtete das Branchen-Magazin Der Handel. Hamburg, Berlin oder Frankfurt am Main weisen ganz andere Quoten auf. Ohne die Ladenflächen im städtischen Besitz sähe dies anders aus. Gleichwohl gibt es Stellen, wo auch München den Einheitsbrei vieler deutscher Innenstädte bietet - in der Kaufingerstraße zum Beispiel. Dort liege der Anteil der überregionalen Ketten bei mehr als 90 Prozent, sagt Markwardt.

Fotohändler Reiter hat sein Geschäft im Jahr 1971 eröffnet - lange bevor es Media-Saturn oder das Internet gab. Er spezialisierte sich auf zwei Kundentypen: Touristen und kaufkräftige Einheimische. Viele Urlauber kamen in sein Geschäft - früher, um Filme zu kaufen, heute, um die Akkus ihrer Digitalkameras aufzuladen. Und für die Stammkunden, wie Franz Beckenbauer einer war, hatte Reiter edle Amateurkameras. Doch selbst so hätte er gegen die Konkurrenz von heute ohne die Hilfe der Stadt schon längst aufgeben müssen.

Angaben über die Höhe der Mieten macht Markwardt nicht. Nur so viel: Zwischen 10 000 und 300 000 Euro pro Jahr kassiere die Stadt, abhängig von Lage, Größe und Umsatz des Geschäfts. "Sie können sich gar nicht vorstellen, mit welchem Preisdruck die großen Ketten uns begegnen", sagt Markwardt. Übersetzt heißt das: Der Stadt geht durch die geringen Mieten viel Geld verloren. An dieser Form der Subventionierung hat im Stadtrat aber noch nicht einmal die sonst stets auf freien Wettbewerb pochende FDP etwas auszusetzen. "Das ist eben der Preis, den wir für den Erhalt der traditionsreichen Geschäftskultur in der Stadt zahlen müssen", sagt ihr Fraktionschef Michael Mattar.

Laut der Düsseldorfer Immobilienfirma Comfort liegen die Mieten auf dem freien Markt am Marienplatz bei etwa 360 Euro pro Quadratmeter, zumindest für kleinere Geschäfte. Für seine 40 Quadratmeter Verkaufsfläche müsste Reiter also mehr als 170 000 Euro im Jahr zahlen. Doch die hohen Preise erklärt Comfort gerade damit, dass es einen "vergleichsweise hohen Anteil lokaler Einzelhändler und Traditionsunternehmen" gebe. Ein heterogenes und attraktives Angebot an Läden in München, "das seinesgleichen sucht".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2387016
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.03.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.